Montag, 16. Oktober 2006

23. September 2006

Ich trete aus dem gebäude, wo die stadtbibliothek untergebracht ist; gelbgrau duften die steine; eine wasserstoffblonde frau mit einem kleinen jungen an der hand fragt an der aufsicht etwas in gebrochenem deutsch; ein missionierer streckt mir an den stufen ein jesusfaltblatt entgegen; auf der litfaßsäule prangt das wort „sex“, ein luftballon schaukelt über die dächer, ein tag wie jeder andere, ein tag für jede jahreszeit, und der himmel drückt schwer wie ein gewicht auf die stirn.
es gibt momente, da ich mich so verlassen fühle, als hätte nie jemand ein wort an mich gerichtet, nie jemand mir die hand auf die stirn, auf die wange gelegt, ein augenblick, als hätte es nie einen freund gegeben. jede erinnerung an so etwas wie wärme ist eine täuschung, und plötzlich bin ich immer schon allein gewesen. einsamkeit verästelt sich in vergangenheit und zukunft, sinnlos laufen die menschen. ein kinderwagen holpert. eine mutter schlägt ihr kind. die häuser stehen ohne schatten. zusammengesunken liegt ein bettler mehr als daß er sitzt im staub, vor den füßen hundekot, seine schwere hand leblos auf dem asphalt abgelegt, zum himmel hin die finger leicht geöffnet. eine taube pickt eine zigarettenkippe auf.
fehlt eigentlich nur noch vivaldis „winter“, wie ihn stümperhaft ein akkordeon dahinklimpert. der klang füllt die stadt, aber man bekommt es nirgends zu gesicht.
dies ist ein solcher moment nacktester verlassenheit. und während ich an den stufen stehe, das jesusfaltblatt in den händen, ist alles in bewegung. die leute laufen, kinder quengeln. aus den bäckereien duftet es, und ich weiß schon, wo meine wohnung ist, aber ist es dort nicht noch einsamer?
es gibt keinen ort mehr. wo du nicht bist, gibt es nur noch stellen, gibt es nur noch koordinaten, trigonometrische punkte, definierbar als kreuzungen, als gemeinsame zahlenwerte, als symptoten in fläche und raum, zufälliges, abstraktes, beliebiges. ein ort indes ist es noch nicht, ein ort, den man fühlen, durchmessen, umspannen könnte, wo man sich klein oder groß, beengt oder frei fühlen könnte.
so gibt es auch den ort, wo wir uns begegnet sind, nicht mehr: ich könnte die stelle wiederfinden, das schiff würde anlegen oder in den haltetrossen knarzen, und auf einer leine säße wieder eine stunde lang eine möwe, ich weiß die stelle, genauso könnte ich mich wieder hinstellen, ans geländer gelehnt, den rücken zur zukunft, die dich enthalten würde, und die züge würden wieder über die brücke donnern; aber ich könnte mich noch so oft umdrehen, du kämst nicht. und der ort hat uns schon längst vergessen. und ist zur bloßen stelle geworden.
einen ort gäbe es ja. wo du bist. da ist ein ort.
die zeit trägt masken.
seit samstag sträubt sie sich mißgünstig gegen unsere sehnsucht, schüttelt die federn aus, nimmt neue naturen an und läuft so viel träger als sonst, träger und lauter und gegen den strom unseres mühsam verhaltenen herzschlags.


.

VOCES INTIMAE

... for we have some flax-golden tales to spin. come in! come in!

Kommt herein, hier sind auch Götter ...

Epistolae electronicae:

talapenthea_thymon ad hotmail punctum com

Spurensucher

 

Web Counter-Modul


Marbach

Dieses Weblog wird durch das Deutsche Literaturarchiv Marbach archiviert.

Metron ariston

Pflichtnennung


Als wären nicht zweimal die Kräfte
An habent et somnia pondus
Astartes Lächeln
Colourless green ideas
Daß alles für Freuden erwacht
Dem geschah auch Lieb durch Liebe nie
Die Stadt am Ende des Jahrtausends
egregie dicta
Fasti
Flaschenpost
hemerolog
In Nemore
Logolog
Ludus Latinus
Mores Ferarum
Nicht mit gar zu fauler Zungen
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren