Freitag, 29. Mai 2009

Noch einmal Haariges

Vor einigen Tagen wieder ein Gespräch über das Achselhaarproblem, und wie schon bei früheren Gesprächen fand O., und hier gebrauchte sie die STANDARDFORMULIERUNG, nein, das hätte sie immer schon so gemacht. Seit der erste Flaum in ihrer Axilla sichtbar und kenntlich geworden sei, habe sie ihn sofort entfernt. Ich entgegnete, daß vielleicht ihre Generation die erste gewesen sei, die mit der Ausmerzung haariger Stellen angefangen hätte; die Älteren (Frauen meiner eigenen Generation und Ältere) hätten sich dann angesichts der jugendlich glänzenden Achsel der viel Jüngeren sich plötzlich barbarisch und unschön empfunden und unter Attraktivitätsdruck, der immer von den Jüngeren ausgeht, zum Nachahmen aufgefordert gefühlt, so daß sich die Unsitte von den gerade pubertierenden Mädchen allmählich über die jungen Erwaschsenen schließlich auf alle Frauen durchgesetzt habe. Die Jüngsten seien, so meine Idee, Vorbild für die Älteren gewesen. Nein, widersprach O. vehement, umgekehrt sei es gewesen, sie selbst habe es ja auch nur den anderen abgeschaut, beispielsweise bei ihrer eigenen Mutter (eine Generation vor mir), die es ihrerseits auch schon immer so gemacht habe.

Jetzt frage ich mich, ob meine Wahrnehmung oder ihre schräg ist. Ich glaube ja, daß es einen allgemeinen Künstlichkeitstrend gegeben hat, irgendwann auf dem Weg von den 90ern zur Jahrtausendwende. Es gehen ja auch heute Frauen nicht mehr ohne Büstenhalter aus dem Haus, derweil es noch nicht so lange her ist, daß manch eine ihn auch mal nicht trug, wenn sie ihn störend oder unbequem fand oder sie zu faul war, ihn anzuziehen. Oder bin ich einfach nur merkwürdigen Frauen begegnet? Das mit der Behaarung indes konnte man ja auch an wildfremden Frauen beobachten, ohne entschuldigen Sie ... darf ich mal … zumindest im Sommer.

Merkwürdig, das alles. Andererseits auch nur eins von vielen Phänomenen derselben Gruppe. Das verweist auf das Modephänomen, auf das Phänomen der Stilgemeinschaft, der Kunstepoche. Warum finden auf einmal Scharen von Menschen Plateauschuhe geil? Oder weiße Slipper? (bäh) Wie konstituiert sich das gemeinsame Empfinden, daß nun Albertibässe schick seien, oder doppelpunktierte Rhythmen? Es kann ja keine Eigenschaft der Dinge selbst sein, weil ein und derselbe Gegenstand, je nachdem, in welcher Zeit man ihn betrachtet, schick oder schnöde sein kann.

Bleibt noch das Phänomen des Vorbilds. Aber das bringt neue Erklärungsschwierigkeiten mit sich.

Wissensblabla

Was mir zunehmend auf die Keimdrüsen geht, das ist dieses ständige Gerede von irgendwelchen neuen Gesellschaften, in der wir jetzt angeblich leben, der Informations-, der Wissens-, der Global-, der Blablagesellschaft … Nerven kann auch, daß aus diesem Umstand immer verschiedene Forderungen und Folgerungen gemacht und gezogen werden, die alle darauf hinauslaufen, daß ja in der modernen globalen Blablagesellschaft die Dinge fürderhin soundso … niemand mehr sich berufen … nicht mehr ausruhen auf … ständige Flexibilität … und was der Dinge mehr sind. Besonders in Rage bringt mich der Begriff Wissensgesellschaft. Reizwort, rotes Tuch. Bringt mich in Rage wie Lebensqualität und Globalisierung. Gott ja, Wissen, sicher. Was aber , bitteschön, soll es damit jetzt wieder auf sich haben oder was ist daran neu? Liebe Vorhutintellektuelle, verschont mich mit diesem Scheiß. Was sich ändert, sind immer nur Oberflächen und Eisbergspitzen. Oder was glaubt ihr? Wissen kann man nicht essen. Das ganze Wissensgedöns kann man gut und gerne in die Tonne kloppen, das ist spaßig, klar, aber macht nicht satt. Das Wissenswirtschaftsgedöns und globale Netzwerkblabla nützt uns gar nichts, wenn der Bildschirm hell, der Magen aber leer ist. Was glaubt ihr eigentlich, wovon wir leben? Von Wissen und vom Webzwonull? Luft und Liebe, wie? Sind das die Spintisierereien einer Generation, die als Kind geglaubt hat, Kühe seien lila und gäben Kakao?
Da können wir noch so wichtige Dinge zu erledigen haben zwischen Dax und Dow-Jones, da können wir noch so fiebrige Aktivität an den Tag legen an Wallstreet und auf der Datenautobahn, und ob wir jetzt mobil vom Strand aus eine furchtbar wichtige Konferenz übers Händie abhalten oder unser Geld mit Mouseklicks verdienen, es gilt weiterhin, was schon den Alten klar war. Drei Dinge. Non esurire, non sitire, non algere. „Nicht hungern, nicht dürsten, nicht frieren.“ (Seneca, Epistel 4) An unseren Grundbedürfen ändert sich vorläufig nichts, dürfen wir annehmen. Und es sind Grundbedürfnisse, eben weil sie das wichtigste sind, die Basis. Der Rest kommt irgendwo dahinter, weit dahinter. Das Wissen aber, das diesen ganzen aufgebrachten Stimmen zufolge schon so wichtig ist, daß sich unsere Gesellschaft danach benennen darf, was ist daran so besonderes? Wie man Wolle spinnt, wie man ein Feld bestellt, wie man Brot backt, wie man ein Haus baut, ist überall und seit Jahrhunderten bekannt, das Wissen darüber verfügbar. Brot wird man auch in hundert Jahren noch essen, Häuser wird man immer brauchen und im Winter ist man froh um einen Pullover. Ich sage nicht, daß das schon alles ist. Nein, das wahre Leben geht los, wenn für all das gesorgt ist. Aber eben erst dann, und insofern man von den Grundlagen spricht, sind wir immer noch eine Bauerngesellschaft und werden es auch immer sein. Falls wir nicht eines Tages es dahin bringen, vom Dudelknopf im Ohr satt zu werden.

VOCES INTIMAE

... for we have some flax-golden tales to spin. come in! come in!

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