Dienstag, 27. April 2010

sprachkritikastereien

Vor einigen Jahren konnte man in der taz einen Artikel der Kategorie "Sprachkritikastereien" lesen. Nun sind solche Artikel ohnehin zum Zähneziehen; dieser aber hat es besonders in sich, weil der Ärger des Autors sich aus einer etwas anderen Quelle speist als bei, sagen wir, Raddatz und verwandten Geistern, die die von ihnen festgelegte Unterscheidung zwischen "gutem" und "richtigem" Sprachgebrauch und "falschem" oder "schlechtem" als soziales Abgrenzungs- und Identifikationskriterium mißbrauchen. Anders unser Autor, der, wies scheint, seiner Angst, nicht dazuzugehören und überrollt zu werden, Ausdruck gibt. So beklagt der Verfasser unter anderem, daß der Ausdruck "Selters" für "Mineralwasser" nicht mehr gebraucht wird, daß man seit einiger Zeit "KITA" sagt statt "Kindergarten", daß der "Sonnabend" dem "Samstag" weichen mußte und manches mehr.

Aber Sprache verändert sich nunmal. Fortwährend. Alte Ausdrücke verschwinden, neue Ausdrücke tauchen auf, werden entlehnt, neu gebildet, erfunden. Endungen schleifen sich ab, an ihre Stelle treten periphrastische Formen, die wiederum verkürzen sich zu neuen Endungen, und so weiter. Laute verändern sich in bestimmten Kontexten. Redewendungen wandeln sich. Höfliches wird unhöflich, Unhöfliches höflich, Distanziertes vertraut, Freundschaftliches formell. Dieser Sprachwandel ist aus wissenschaftlicher Sicht völlig neutral und wertfrei. Wenn Sprache sich verändert, hat das nichts mit Verfall, Niedergang oder Zersetzung zu tun, und ebensowenig ist irgendeine Sprache „besser“, „reicher“, „vollkommener“ als eine andere. Jede Sprache befriedigt exakt die kommunikativen Bedürfnisse ihrer Sprecher. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und diese Bedürfnisse sind nicht nur von Sprecher zu Sprecher, sondern auch bei demselben Sprecher in verschiedenen Situationen verschieden. Viele landläufige Mißverständnisse die Sprache betreffend verdanken sich einer Auffassung, die Sprache als ein von ihren Sprechern losgelöstes, ein Eigenleben führendes Etwas betrachtet. Eine Sprache konstituiert sich aber ständig aus den Äußerungen ihrer Sprecher und den darin sich manifestierenden Regelmäßigkeiten neu. Deswegen können auch Anglizismen nicht „in die deutsche Sprache eindringen“, weil sie keine Wesen sind, die irgendwie zu handeln, keine Körper, die einen anderen Körper zu befallen oder in ihn einzudringen in der Lage wären. Sprachen handeln nicht, Menschen handeln, unter anderem, indem sie sprechen. Die Verwendung von Anglizismen ist heute weiter verbreitet als vor 20 Jahren, aber es sind Sprecher, die sie verwenden und auch verwenden wollen. Sich gegen den Sprachwandel wehren zu wollen mit dem Ziel, diesen Vorgang aufzuhalten, ist töricht. Warum Sprache sich wandelt, ist nicht so leicht einzusehen. Aber die Beobachtung mag aufschlußreich sein, daß Ausdrücke „ausbleichen“. Wenn wir begeistert sind oder angewidert, uns freuen oder todtraurig sind, reicht es eben nicht mehr, „traurig“ oder „froh“ zu sagen. Wir fühlen mehr als diese abgeschliffenen Wörter hergeben wollen. Also sind wir „happy“ und „depri“ und hoffen, damit sprachlich der Stärke unseres Gefühls nähergekommen zu sein. Durch den häufigen Gebrauch verblaßt aber auch die Wirkung dieser frischen Wörter, und abermals müssen neue her. Und so weiter: In diesem Sinne ist der Sprachwandel nicht unähnlich dem Wandel in der Mode. Es gibt kein „richtig“ und „falsch“ in der Sprache, ebensowenig wie in der Mode. Das, was die Menschen sagen, ist „richtig“, und nicht, was irgendeine Akademie, oder der Rundfunk, oder ein Regime als „richtig“ deklariert. Heißt es „wegen dir“ oder „deinetwegen“? Wenn man feststellt, daß „wegen dir“ gesagt wird, dann muß es wohl richtig sein, weil es offenbar zur praktizierten Sprachwirklichkeit gehört. Eine Form wie „dirwegen“ ist dagegen „falsch“ (besser: ungrammatisch), einfach deshalb, weil es niemand sagt.

Das ist das eine. Das zweite betrifft die ganz persönliche Wahl, Vorliebe oder auch die Ablehnung eines bestimmten Ausdrucks. Wenn jemand „deinetwegen“ statt „wegen dir“ verwendet, dann ist das eine Entscheidung, zu der eine ganze Reihe von Gründen führen können: Der Sprecher kann sich mit einer Form, die dabei ist, sich endgültig aus dem Sprachgebrauch zu verabschieden, zu einer bestimmten Generation von Sprechern bekennen; er kann darauf hoffen, sich mit „deinetwegen“ gegen eine Mehrheit abzusetzen und sich damit überlegen zu fühlen; er kann, umgekehrt, davon gehört haben, daß es „besser“ sei, die Genitivkonstruktion zu wählen, und hoffen, nacheifernd zu einer „besseren“ Welt zu gehören; er kann schließlich ästhetische Gründe haben, die rein persönlicher Natur sind; oder er hat es immer schon so gesagt, weil er die Sprache in einem Umfeld erworben hat, in dem nie etwas anderes zu hören war. Alle diese Gründe aber sind keine objektiven Gründe, die erklären, wieso „deinetwegen“ vorzuziehen sei. Mit anderen Worten, man kann nicht sagen, „deinetwegen“ sei EIGENTLICH richtig, ebensowenig wie man sagen kann, Schweinebraten sei EIGENTLICH mit Knödeln, nur weil es einem zufällig so schmeckt. Wie aber in der Mode, so gibt es auch in der Sprache subtile Regeln, die darüber entscheiden, wer in welcher Situation „dazugehört“ und wer nicht, Konventionen, die festlegen, was „gehoben“, „formell“, „freundschaftlich“ und „verpönt“ ist. Aber auch in der Mode gibt es kein objektivierbar Richtiges. Und wie in der Mode muß man nicht jeden Mist mitmachen. Man kann aber, wenn es so gefällt. Natürlich haben die Konventionen eine soziale Kraft, und ihre Einhaltung oder Übertretung zieht bestimmte soziale Konsequenzen nach sich; meist aber richten sie nichts weiter an, als daß sie Geschmack, Alter, Geschlecht und Herkunft des Sprechers bestimmen lassen. Wer sich darüber echauffiert, weil jemand Samstag statt Sonnabend sagt oder umgekehrt, oder gar das eine als „hochsprachlich“, das andere als „dialektal“ betitelt, ist einfach nur albern.

Und ein letztes zu den Anglizismen: Ich glaube, die Mehrzahl derer, die sich über Anglizismen aufregen, verwechselt Ärger über die fremden Ausdrücke (die man ja nicht zu benutzen braucht) mit Ärger über die –- vermeintliche oder tatsächliche -– kulturelle Hegemonie des englischen Sprachraums, und besonders der vereinigten Staaten von Amerika. Das ist aber etwas, das mit Sprache nur insofern etwas zu tun hat, als sich in ihr kulturelle Entwicklungen widerspiegeln. Dasselbe ist beim immer noch heftig ausgetragenen innerdeutschen Ost-West-Kulturstreit zu beobachten. Auch hier gilt: Wenn die Menschen Ausdrücke, die nur im Westen verwendet wurden, plötzlich toll finden, weil alles, was aus dem Westen kommt, toll sei, dann kann man mit Sprachpflege überhaupt nichts gegen das Faktum ausrichten, daß die Menschen so reden, WEIL sie den Westen toll finden, und nicht umgekehrt. Auch unser taz-Autor verwechselt da etwas. Sprache ist nur das Symptom. Was ihn ärgert, ist etwas ganz anderes.

Übrigens: „Kindergarten“ sagt man natürlich immer noch, genau dann nämlich, wenn man auch „Kindergarten“ meint. „KITA“ ist eine Kindertagesstätte (Ganztagsbetreuung mit Essen und so), und das ist nun mal was anderes. Daß immer mehr Familien so wenig Zeit für ihre Kinder aufzubringen bereit sind, daß die Kindertagesstätte und nicht der Kindergarten zum Normalfall wird, ist ebenfalls durch Sprachgebrauch nicht zu verhindern. Wie überhaupt durch Sprachpflege oder Korrektur der Sprachgewohnheiten die Mißstände nicht aus der Welt geschafft werden können, die der Sprachgebrauch lediglich abbildet. Es werden nicht mehr Frauen Professor, indem man überall und ständig Professor/in sagt und schreibt, und die Probleme von Ausländern lassen sich nicht lösen, indem man sie "Mitbürger mit Migrationshintergrund" nennt. Aber das ist ein anderes Thema.

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