Wem nie durch Liebe Leid geschah

Montag, 5. Februar 2007

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es gibt geister, von denen kommt man nicht los. wahrscheinlich nie mehr.

da heißt es tragen tragen tragen, und gehen, und weitertragen. an sich selbst. an sich selbst schwer tragen. sich selbst eine last.

mit dem finger den wein auf der tischplatte malen, einen namen, einen schwanenhals, einen kiesel. dem rätsel so nahe sein wie nie, aber nie mehr so wie damals.

in der winterkälte bogen sich immer die photographien. wie sich etwas einbrennen kann: ich weiß noch genau, wie sich das bett anfühlte, der stuhl, der widerstand der tür beim öffnen und schließen, schränke, spüle, die gegenstände, die geräusche.

aufsehen vom tisch und den schwarzen pferdeschwanz wippen sehen, draußen im licht, draußen. ich bin gefaßt auf das zusammenzucken, und dennoch kommt es jedesmal unerwartet.

geister kündigen sich selten an.

Freitag, 24. März 2006

manchmal

was ersehnt diese sehnsucht eigentlich? … wenn man so sehr und so lange etwas will, bis das, was man will, zurücktritt und unsichtbar wird und schließlich ganz aus dem wollen verschwindet. allein, daß man will, bleibt: eine hohles gefäß wollens, in das man so komplett hineingewachsen ist, daß man es vollkommen ausfüllt.

Mittwoch, 8. März 2006

1981

das ist einfach grotesque, widernatürlich, unanständig. ich möchte nicht von sabbern sprechen, aber letzten endes ist es dieses wort, das in den gewölben widerhallt.
es kommt mir wie ein wahnsinn vor. was habe ich da zu suchen, nichts. elf jahre, ein augenblick, ein schicksal. zwei reisende in sich kreuzenden zügen, die einander für die schreckliche dauer eines wimpernschlags ins antlitz schauen und sich dann verpassen auf immer. doch in meinem fall, denke ich mit bitternis im herzen, hat es nicht einmal einen solchen augenblick gegeben; denn wir haben uns schon vor unserer geburt verpaßt; von anfang an konnten wir einander niemals mehr begegnen. (wenn es denn überhaupt beide gewollt hätten, versteht sich.) elf jahre. ein leben. sterblich sind wir von geburt an.
was für ein morgen ist das wieder, denke ich. jetzt mußte ich auch noch davon träumen. ein kuß. ein gemeinsames bad. ein sonnengebräunter rücken mit den hellen blässen des badeanzugs darauf sich kreuzend. ihre hände, die sie nicht schön findet, aber ich. ein traum: und noch im traum plötzlich die unumstößliche gewißheit, daß es nur ein traum war. ja, aber sie hat mich doch geküßt? wehre ich mich gegen mich selbst, aber ich muß es doch einsehen. und dann erwache ich, und es war wirklich nur ein traum, und der briefkasten ist wirklich wieder leer.

Mittwoch, 13. April 2005

...

Oh ich verstehe. Ich würde das auch nicht mehr wollen. Warum nicht? Damit ich späterhin nicht in die Verlegenheit käme, es ihm erzählen zu müssen. Und wer wollte schon eine Liebe mit Heimlichkeiten beginnen … Und weil ich es verstehe, mehrt es mir den Schmerz. Meine eigenen Bedürfnisse, so wie ich sie in ihrer Haut hätte, finde ich ja in ihr wieder. Das erlaubt den Schluß auf Gefühle in ihr, die mich schon ausschließen aus dem innersten Kreis.

Wenn nicht die letzten Monate sowieso einer Illusion anhingen. Ich war ja längst draußen.

Wieviele dieser Abschiede und kleinsten schrittweisen Ausschließungen muß ich noch erleben? Das letzte Mal ihr Körper auf mir; dann die Nachricht; ein letztes Mal Händchenhalten im Kino (was für eine Illusion auch dies!); und nun das letzte Mal wenigstens neben ihr, an ihr fernes Atmen gedrückt, einschlafen, ach, und schon dieses letzte Mal war zu viel, ein bitterer Nachtrag. Reuen muß mich das. Zuvor wäre ein schönes Letztesmal gewesen. So aber steht als frischester und wohl bleibender Eindruck nun dieses Erzwungene da. Das zu denken, und auch, daß ich die Grenze überschritten, lästig geworden bin, macht mich noch viel trauriger.

Noch einmal trinke ich nun aus dieser Ringeltasse. Ich frage mich plötzlich, ob sie ein Geschenk an mich war? So sehr gehört sie in diese Wohnung, an dieses Bett, zu dieser Stunde, ist verbunden mit E.s halbschlafender Stirn („Soll ich dir einen Kaffee machen?“), an den Duft der Decken, daß ich es nicht mehr weiß. Jedenfalls kann ich sie nicht mitnehmen. Auch wenn sie ein Geschenk war, es ist unmöglich. Ich kann wohl dies Stück gebrannten geformten Tons mitnehmen, diese Tasse aber, an der die Monate hängengeblieben sind, die nun mehr ist als sie selbst, die hätte ich dann nicht mehr in den Händen.

Was steht nun aus? Der Tag, an dem der Herold eines schwarzen Frühlings ihr Glück mit dem Anderen verkünden wird.

Fast wünsche ich ihn herbei, diesen Tag, damit endlich Ruhe ist.

Samstag, 2. April 2005

...

Nichts tritt aus der Nacht. Überall ist Dort, ist Jenseits. Die Füße kommen nirgendwohin, die Arme, ausgestreckt bis in die Fingerspitzen, berühren nichts. In den Handgelenken, in den Schläfen, in den Füßen pocht es ganz leise, hörbar nur, wenn man die Augen schließt und geneigter Stirn den Atem verhält. Der Kopf bebt vorm Ansturm des Bluts, Schlag auf gesammelten Schlag. Kühlschrankbrummen zittert an den Beinchen des Weberknechts, die Kochdünste von gestern, der Schimmel von vorgestern, das ist fast schon ein Trost, ein Leben, eine Stimme. Geisterstühle tragen Riesenschatten unter sich. In der Weinflasche schwimmt drei Sehnsüchte hoch der Mond. Vorhin enttraten Amselschnäbel der Dämmerung, den letzten Wind wollen die Eiben aufgesogen haben, man steht plattgedrückter Nase am Fenster und breitet aus sich Nebel über die Welt, und das Herz so müde und drangegeben an Dunkel und Vollmond und die Schatten in der Küche, im Rücken, im Raum, daß nicht einmal mehr Worte, die letztgebliebenen Geister, sich vom Dunkel entkleiden.

Ich freue mich auf den Tag, wo ich mir wieder Melancholie leisten kann. Und ich fürchte diesen Tag. Ich sehe ihn voraus, ich sehe die Abende voraus, am Fenster, durchwetterleuchtet von Erinnerung und Süße, sehe es voraus als dasselbe, das ich jetzt schon von anderen Geschichten heraufziehe und nach-fühle. Was für ein bitteres Erschauern, bitter, weil es dann nicht mehr bitter ist … bei Kerze, Tee und Schubert. Und noch eine Geschichte, groß wie ein ganzes Leben, und noch eine. War das wirklich alles, was davon übrig sein wird, ein wohlig-trauriges Erinnern an frühen Herbstabenden? War das alles? Ich werde einreihen, diese Geschichte zu den anderen, und sie wird sich gesellen und den anderen gleichwertig, ja ähnlich werden. Dieser Gedanke ist voller Wehmut. Vergänglichkeit nennt man das wohl, was da so schmerzt.

So oft ich besuche, gutlaunig bin, zu zweit lache, Schatz sage, eingehakt durch die wohlig geneigten und lauschenden Straßen, „Erzählst du mir eine Geschüschte?“, im Café, Hand auf Schulter und Wange, „Und was noch?“, ists ein Erinnern. Eine Geste voller Nostalgie, eine Nacherzählung. Jede Minute ein Seufzer aus meinem Mund, ein Geschmack unter der Zunge, weißtdunoch.

Rückwärtsgewand die Hände nach vergilbten Lenzen auszustrecken, so dämmert mir dieser Lenz herauf, lauthals, voller absurder Fanfaren.

Dienstag, 15. März 2005

...

Daß allenthalben die Vögel vor Licht wie verrückt sind und ihre Stimmen die Dämmerungen durchweben; daß die Weiden endlich ausschlagen, und die Krokusse, nein, an die will ich gar nicht denken … daß der Himmel wieder weit wird und die Fenster klein, und die Zimmer eng und von Frischluft wie zersprengt; das

stimmt alles nicht.

Es kann doch jetzt gar kein Frühling sein, wie soll das gehen. Es war doch Herbst, damals, und wir gingen auf dem Friedhof spazieren. Es war doch Herbst und ist immer noch Herbst.

Montag, 28. Februar 2005

Aufarbeitung (6): Nicht mehr da

Sie, meine Liebe, verliebt, andernwärts, andernaugs. Das trifft mich ganz tief drinnen, wo es wahnsinnig schmerzt, an einem Ort, vergraben in mir, wo jede Vernunft fehlt und fehlgeht. Schmerz, übelkeitstiftender Schmerz.

Sie wird nicht mehr da sein. Sie, die ich anrufe, immer wenn es schlimm ist und ich was zu tragen und eine Trauer hab. Zusammen gehören wir eigentlich schon seit längerem nicht mehr; aber eigentlich, in meiner Vorstellung, waren wir es doch die ganze Zeit, in Keuschheit beisammen und füreinander und versprochen einander. Ja. Einander.

Sie, meine Liebe, verliebt, andernwärts, andernaugs –

Aufarbeitung (5): Wildrosen, Mahler

Erwacht ruckartig aus schütterstem Schlafe, emporgezuckt und gewuchtet in schwärzestem Schrecken: Es ist wahr. Esistwahresistwahresistwahr. Herzgehämmer, Atemlosatem, einen Moment Schweben, dann Sturz in Übelkeit, der Magen verknotet zu hartem Dingsda. Die Zeit: Nichtvornichtzurück. Elendewig.

Sichhochkrallen, emporknistern, die Finger in die Luft geschlagen, den Fuß überm Licht. Wie soll das, wie soll das nur gehen, weiter auch noch, weiter und weiter, wie nur?

Später: schreiben. Das Wunder stellt sich auch diesmal wieder ein. Es hilft.

Noch später Gustav Mahler. Das Lied von der Erde. Der Einsame im Herbst. Im Frühling, haha, es ist Frühling, wer jetzt kein Haus hat, stimmt alles nicht, ist alles verschoben und falsch.

Gedanken an meine Großmutter, deren eigenes Leid ich jetzt gerade nicht zu teilen, nicht zu umgreifen vermag, verstrickt wie ich bin ins Selbst. Wann duften die wilden Rosen auf Sylt, habe ich sie gefragt.

Den ganzen Sommer über, antwortete sie.

Aufarbeitung (4): Der Andere

„Ich hab halt seit ein paar Wochen gedacht, wir könnten … einander wieder näher kommen.“

„Oh … aber nein … aber nein…“

Faustworte in Bittermagengrube.

Ich war im Grunde, stelle ich rückblickend fest, überzeugt: Wir gehören eigentlich, komme was wolle, zusammen, und alles ist nur schwierig, aber nicht endgültig, zu Ende schon gar nicht. Ich stelle fest, daß ich die ganze Zeit im Grunde nicht geglaubt habe, daß es vorbei sei. Ich habe es gar nicht begriffen, und schon gar nicht das Ausmaß all dessen, was es heißt, wir sind nicht mehr zusammen. Nämlich, daß das bedeutet, wir gehen jetzt ein jeder unserer Wege, getrennter Wege. Nämlich, daß das bedeutet: Sie und er, wer auch immer es ist, haben ein Leben zusammen. Er, nicht ich. Das ist unvorstellbar.

Eifersucht? Nein, das hat damit nichts zu tun. Der Schmerz ist ein Verlustschmerz und kommt aus dem glasharten Bewußtsein, daß sie nun fort ist. Aus-meinem-Leben-entfernt ist. Daß uns keinerlei Ausschließlichkeit mehr unter sich aufnimmt und die Welt draußen sein läßt. Ich bin nun bloß noch Welt und draußen. Und drinnen, irgendwo, in irgendeinem warmen Raume, der diese Welt ausschließt und Erinnern und Wärme und Geborgenheit schafft, da ist sie – und das fremde Herz, mit dem sie dieses Drinnen nun teilen will.

Alleinsein heißt: Draußen sein, und von draußen in einen verwehrten Raum sehen, wo man selbst einmal war.

Aufarbeitung (3)

Alteram Venerem tecum habere volebam, novam Venerem et quae nos renovare posset. Alteram Venerem volebam tecum, non nullam. Pristinam ferocitatem corporis animique, qua olim iungebamur, redinvenire volui.

Nunc autem cor tuum vagatum est longe et vidit quem amare vult. Meum ipsius cor quoque vagabitur per planities et silvas et montes; at videbit amabitque nullam.

VOCES INTIMAE

... for we have some flax-golden tales to spin. come in! come in!

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