orte. wege

Mittwoch, 24. August 2011

Nostos kai algos

Wäre man erst gar nicht weggefahren, hätte man es nicht bemerkt, nicht in solch gräßlicher Schärfe. So aber kommt dem aus der Stille der abgelegenen Insel Heimgekehrten angesichts der brausenden Fahrzeugströme, der überfüllten Pendlerzüge, des polyglotten Elends allenthalben überscharf zu Bewußtsein, in was für einer mühseligen, stampfenden, lärmenden und banalen Tretmühle er sein tagtägliches Dasein fristet.

Fern von hier kann man, wenn man den Kopf dem Sand nähert, so daß das Meeresrauschen hinter die Dünen zum Gemurmel zurückfällt, die Sandkörner hören, wie sie sich an den Halmen des Strandhafers reiben. Am morgen war das. Da hatte man noch Schlick an den Füßen und die Sonne im Haar, und nichts stand dem Auge im Weg. Es gibt wenige Dinge, die so elementar sind, so unprätentiös machtvoll, wie die See. Und es gibt weniges, was so trivial ist wie eine Millionenstadt.

Langeoog

Ich habe mir einmal geschworen, es nie so zu machen wie meine Eltern. Vergebens, ich stecke schon mittendrin im Mist.

Besser, man fährt erst gar nicht weg. Wenn der einzige Effekt einer Urlaubsreise der ist, einem die Trübsal des Alltags durch Gegensätze zu Bewußtsein zu bringen, bleibt man besser zu Hause. Dann bleibt einem auch der Schmerz des Heimkehrens, die Nostalgie in ihrer Schattenbedeutung erspart.

Mittwoch, 3. August 2011

Am morgen, später

Schon früh, gegen sechs Uhr, im Wald. Abends hat man ihn noch gehört, am Morgen bin ich mir nicht mehr sicher: Kann sein, daß eine seiner glockenhellen Kaskaden im Halbschlaf wahrnehmbar wurde. Als ich loslief, herrschte Schweigen straßauf und straßab. Losgelaufen mit dem Gefühl, zu spät dran zu sein.
Man bewegt sich zu den Rändern der Stille. Die Laternen an der Straßenbahnhaltestelle stehen wie Scheinwerfer über einem Gefängnis und tauchen die Schranken und Bahnsteige in natriumgelbes Licht. Alles, was fährt, bewegt sich wie außerhalb einer Demarkationslinie. Jeder Laut ist fern, als wäre das in dieser Stunde die einzige Möglichkeit für ein Geräusch, überhaupt zu existieren: hinter Verschachtelungen des Raums, in einer absolut gewordenen Dahintrigkeit, abseits von allem, vielleicht sogar von sich selbst.

Das Grau ihres Lockenschopfs sieht aus als hätten das Haar seine Farbe heute Nacht irgendwo abgelegt und dann vergessen. Das Grimmige in den Zügen der Frau (die Lippen ein Nein-Strich, die Nase mißmutig, wie schnüffelnd zu Boden gerichtet) scheint es zu bestätigen. Nur der Hund, der vor ihr an der Leine watschelt, ist guter Dinge und schaut mit einem Blick an mir hoch, der wohl sagen soll, ich dürfe Frauchens Schrullen nicht so ernst nehmen.

Später der Wald. Der Pfad hat die Jahreszeiten von sich geworfen. Er ist absolut gewordener Pfad, jenseits von zeiten und Abläufen, nichts geht ihm voran, nichts wird ihm je folgen. Unbestimmbar ist der Reifungs- oder Zerfallsgrad von Blattwerk, Blütenstand und Pupa. Der Himmel hängt farblos als etwas, das zwischen den Baumkronen eben auch noch da oder übrig ist, eine Ahnung von einem Zustand der Welt, in dem alle Dinge plötzlich fehlen und nur noch eine Sichtbarkeit ohne Farbe zurückbleibt. Plötzlich kommt mir der Wald begrenzt vor, seine Wege laufen in sich selbst zurück, hinter dieser Ilexreihe gibt es nur noch diesen farblosen Himmel, sonst nichts, aber die Grenze erreichst du nicht. Dein Schritt wird langsamer, du stolperst über eine Wurzel, ein morscher Zweig gibt unter dir nach, und wenn du wieder aufschaust, liegt vor dir der Weg, den du eben verlassen hattest.

Zurück, ist es Tag geworden. Die Straßen sind aufgewacht, die Scheiben blinzeln in den Himmel. Ein Automotor springt an. Unwirsch hängt Zigarettenrauch in der Hecke fest. Ein Baugerüst blitzt, Rufe gehen hin und her, Hammerschläge treiben Spalten ins Gehör. Sie sind wieder da, denkt man, die Schaffer und Häuslebauer, die Pläneschmieder und Zirkusdompteure der Langeweile, und die ganze Fauna nimmt reißaus und geht schon mal in Deckung.

Heute, Tage später, hat man endlich Gewißheit erlangt: Die Buchfinken haben ihr Jahreswerk vollbracht. Was neulich noch in den morgendünnen Schlaf ragte, war ihr letzter Ton, und vielleicht hat man auch dieses nur mehr einer Erinnerung nachhängende Zwitschern bloß geträumt. Der Sommer schaut auf die Uhr, die Sonne blickt verlegen drein. Man tritt vor die Tür zu einer Stunde, die gestern noch Sechs Uhr hieß, der Buchfink ist Geschichte und man läuft wieder los, mit dem Gefühl, zu spät dran zu sein.

Mittwoch, 1. Juni 2011

Handelnde Orte

Menschen interessieren mich nicht. Geschichten interessieren mich. Rätsel. Das Unheimliche. Nicht was Menschen tun, sondern was geschieht. Und Orte. Vielleicht ist es deshalb so schwer für mich, beim Schreiben Personen zu formen. Vom Handelnlassen ganz zu schweigen. Motive sind mir selten klar. Trotzdem fesseln mich Geschichten. Obwohl Geschichten ohne Personen, keine Geschichten wären. Spannend finde ich nicht die Menschen mit ihren Ticks, absonderlichen Bedürfnissen, Antrieben oder Ängsten; der Auslöser für den Wunsch zu schreiben, ist meistens der Ort, nicht der Mensch, ist ein Geheimnis, das in einem Ort verborgen liegt, ist eine Atmosphäre, ist eine Erinnerung, die aus einem Ensemble von Begrenzungen, die einen Ort definieren, aufsteigt, eine Erinnerung, die sich anfühlt, als wäre es gar nicht meine eigene. Aber wessen Erinnerung ist es dann? Vielleicht die des Ortes selbst. Das kann ein ganz trivialer, langweiliger Ort sein. Ein Hof. Eine Straßenkreuzung in einem Vorort. Ein öder Kinderspielplatz mit zusammengestürzter Schaukel. Ein Wellblechverschlag. Seine Besonderheit erlangt er durch die Beziehung, die er zu anderen Orten hat, die ihm gleichen, ihn ergänzen, ihm in der Erinnerung vorausgegangen sind, die ähnliche Ereignisse mit ihm teilen, oder die, obwohl ganz anders gestaltet, die gleiche Stimmung ausstrahlen, und ihn damit als Verwandten erweisen. Oft lösen Orte den starken Impuls aus, über sie zu schreiben zu müssen. Es ist etwas an ihnen, das mir keine Ruhe läßt. Sie wollen etwas von mir. Oder sie zeigen mir, daß ich etwas von ihnen wollen muß. Nur warum, das zeigen sie nicht, das muß ich herausfinden. Sie geben mir ein Rätsel auf, das ich nur lösen müßte, um glücklich zu sein.
Noch nie hat mich ein Mensch auf diese Weise in Bann geschlagen. Menschen sind notwendig, man braucht sie und interagiert notgedrungen mit ihnen, doch lieber käme man ohne sie aus. Man müßte also von Orten schreiben wie man von Personen schreibt. Man müßte nicht die Geschichte an einem Ort, sondern den Ort in einer Geschichte spielen lassen. Mit Menschen als quasi statistenhaften Bedingungen und Umständen: als eine Art dynamisches Setting für den wahren Protagonisten, den Ort.

Mittwoch, 2. Februar 2011

Greinstraße

Wie sanfte Akkorde ragen die Bäume auf und strecken die Äste in den Himmel, als träumten sie dem Beginn einer mächtigen Symphonie entgegen. Der Tag dauert und läßt sich Zeit beim dauern. Am späten Nachmittag die Sonne, selbst der Dunst beginnt jetzt zu leuchtet, das Astwerk verraucht in die Stille im Schatten des Uni-Centers.

Schläge von Baustellen erschüttern den Raum, klirren gedämpft durch die Scheiben. Zieht ein Bautrupp ab, trifft morgen ein neuer ein. Immer wird irgendwo Erde aufgebrochen, Leitungen versenkt, Absperrbänder entrollt. Gelbe Helme verschwinden in der Erde, von meinem Beobachtungspunkt aus betrachtet schweben und schwanken sie auf Augenhöhe. Es ist unklar, was da soviel gegraben wird. Aber sie graben. Überall. Mit Ameisenfleiß.

In der Dämmerung Leuchtspuren von Autos. In die Netzhaut gezeichnet, wo sie lange liegenbleiben. Ich denke mir, daß dies einmal die Zukunft war. Ich habe stapelweise alte Briefe durchgesehen, gestaunt über die fremde Hand, die einmal meine gewesen ist. Meine gewesen sein soll. Läßt es sich abstreifen, wie eine müdgewordene Haut. Sie ist müde geworden, diese Haut. Es ist einfach zuviel passiert. Zuviel, um noch einmal naiv zu sein. Zuviel gelebt, um in den Tag zu leben. Zuviel, um noch einmal lieben zu können.

Die Arbeiter graben und graben. Mittags leuchtet Butterbrotpapier in ihren schwarzen Händen. Ein Flachmann wird aufgeschraubt, macht die Runde. Der letzte schüttelt sich den übriggebliebenen Tropfen in den Mund. Jetzt graben sie wieder, die Helme auf Augenhöhe, ihre Schläge zerhacken den Abend. Ein Erdhaufen wächst daneben. Steine, verklumptes Erdreich, Stücke von Rohr, Blechsplitter, zerbrochenes Geschirr. Das Absperrband flattert rotweiß, wie ein Reigen spielender Tierkinder.

Hunde schlendern vorbei und lächeln voller Ernst mit ihren langen leuchtenden Zungen. Es gab sie schon immer. Sie waren da, als ich hier meinen ersten Tag hatte. Sie waren schon vorher da. Sie haben mich gleich erkannt, von früher. Viel früher. Vielleicht haben sie auf mich gewartet. Ich habe ihren schlanken Nacken damals bewundert mit dem schimmernden Fell, das seitwärts Schlenkernde ihres Schritts. Die Unbekümmertheit in ihrem Schnauben. Ich bewundere sie wieder. Ich hatte sie längst vergessen. Es ist unglaublich: Ich bin hier. Und wo soll ich auch sonst sein. Aber es ist unglaublich.

Dann kommt die Dämmerung. Die Nacht saugt das Gebäude leer. Oft habe ich an Fenstern leerer Gebäude gestanden wie ein Nachtwächer. Stimmen auf der Straße, die sich entfernten, nach Alaska, nach Boston, nach Hannover, nach sonstwo. Timbuktu, ich habe sie aufbewahrt, die Stimmen, die herrenlosen Worte, Bemerkungen, Rufe, Gekicher, ihr brauchtet sie ja nicht mehr.

Dies ist sie also, die erwartete, die herbeigeträumte, manchmal gefürchtete. Die spätere Zeit. So fühlt es sich also an, in einem Ausblick eingetroffen zu sein.

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Paul-Schallück-Straße

Das läuft neben mir her, ein anderer, ein Deuter vielleicht, oder einfach nur ein Reflex, der entsteht, wenn Erinnerungen und Gedanken interferentielle Brechungen erzeugen. Dann wieder bin ich selbst für Augenblicksbruchteile dieser andere. Es ist ein Schweben zwischen Zeit und Identität, oder besser: Zwischen verschiedenen Stufen oder Schichten oder Schnitten derselben Identität, in Überbrückung und Überlagerung ihrer Zeitlichkeit, ihrer verschiedenen Zeitflächen und -brüchen. Ein Auslöser ist das jahreszeitliche Konzentration typischer Eigenschaften von Luft, Wind und Licht, Laub, Nässe oder auch Geräusch, ein Zusammenkommen, das sich ja nie durchhält über eine Jahreszeit, aber, für jeden je auf andere Weise, durch Vorkommnisse, bestimmte Wege oder Handlungen, Gespräche, kurz durch die ihm eigene Historizität eines gegebenen Zeitpunktes definiert ist und aus dieser Konstellation seine Kraft erhält.
Dies geschieht vermittels dieses changierenden Begleiters, der mal ich ist, mal bin ich er. Ich gehe diese Schritte noch einmal und es kann durch diese Vermittlung geschehen, daß ich sogar in alte Gedanken von mir ein zweites mal hineinspähen kann wie in eine alte, liebevoll restaurierte Tonbandaufnahme; die lichtschwache Daguerreotypie der Vorgänge, die unwiderrufbar den Wachzustand des Geistes durcheilen, mal bewußter, mal weniger bewußt.
Es ist ein Weg, den ich nicht so oft gehe, daß es sich abnutzen würde, daß er sich mit neuem vollsaugen und dann als Auslöser für mächtige Erinnerungsklarheiten nicht mehr zur Verfügung stehen könnte. In ebensolcher Weise vermeide ich das allzu häufige An- und Nachhören bestimmter Musik, mitunter habe ich seit Jahrzehnten ganz darauf verzichtet, aus Angst, die Macht der Klänge könnte sich verlieren, ihre Anbindung an einen ganz bestimmten Augenblick oder eine bestimmte Periode meines Lebens könnte sich lockern. Freilich bedeutet das, daß ich auch nicht mehr die bewußte Herbeiführung eines Erinnerungsblitzes praktiziere, mithin die konservierte Musik nie zur Wirkung gelangen kann. Insofern das, was sie auslösen könnte, schmerzlich ist, muß man sich ja fragen, warum auch? Aber alle Erinnerung, die wir auf solche Weise in Geruch oder Klang eingefangen haben und halten wollen, ist schmerzlich, sonst bräuchten wir eine solche Handhabe gar nicht. Was solchermaßen bewahrt wird, handelt immer von einem Verlust.

Mittwoch, 15. September 2010

Stille

Im Wald, beim Laufen, vor Tagesanbruch: Die Stille ist dann so ungewohnt und unausgelotet, so riesig der Raum, den sie ausfüllen kann und auch ausfüllt, daß die eigenen Schritte überlaut und polternd ins Gewölbe dieser Stille hineinhallen, so laut und fehl am Ort, daß man ständig vermeint, jemand hinter sich zu haben. Die Stille wirft einem das selbstverursachte Geräusch wieder nach, einen Laut, den der gewöhnliche Lärmhintergrund von Menschen bewohnter Orte sofort vernichtet. Man hat ja in Städten gar keine Möglichkeit, sich selbst zu hören, beim Gehen, beim Atmen, beim Arbeiten, man versteht sein eigenes Geräusch nicht mehr. Man begreift erst, wie laut man eigentlich ist, wenn das, was man unvermeidbar an Geräusch verrursacht, von einem tiefen Schweigen entgegengenommen wird. In dieser Weise bringt einem die Stille das Alleinsein zu Bewußtsein, daß man sich, für sich, in einem Raum bewegt, in dem man kaum mehr als eine Koordinate ist. Alles, was man tut, es fällt sofort in Geräuschen auf einen selbst zurück und bringt einen blitzartig zum eigenen Dasein, führt einem das eigene In-der-Welt-Sein vor Augen. Ein polterndes, lautes, ungestaltes Dasein ist das, das gleichwohl, mag es poltern und krachen wie es will, die unendliche und unausfüllbare Eleganz der Stille nicht zu verletzen vermag. Die Stille rächt sich, indem sie dem Läufer nachjagt und Schritte zu hören gibt, die nur seine eigenen sind, und ihn daran erinnern, daß er nicht entkommen kann: Dem Raum nicht, der Stille nicht, nicht einmal sich selbst.

Donnerstag, 22. Juli 2010

Morgen, vogellos

An diesem Tag würden wieder die Hubschrauber knattern, nebenan, zur Unzeit, rauschte schon die Klospülung des Nachbarn, aus den Augen rieselten Schäben, der Schlaf hatte wie Erde geschmeckt. Später die Beeren schon dunkel. Kein Regen, die Wiesen Gefäße voll Himmel. Die Wege hatten fleißig Schatten gesammelt, den spuckten sie jetzt wieder aus. Brennesseln fraßen sich über die Brachflächen. Unterm Stacheldraht Schnauzen, Hörner und Felle von Vieh. Grüfte schliefen ihren Rausch aus, verbissen nüchtern werdend. Weggedreht zuckten die Bäume die Achseln. Ein Später war über die Welt hereingebrochen, war heimlich eingetroffen, über Nacht, von keinem bemerkt außer den wachsamen Vögeln, die sich nicht hatten ergreifen lassen von der dunkleren Zukunft, die sie uns überließen.

Dienstag, 20. April 2010

Zu dicht

Was mich tagtäglich nervt, ist auch in Zahlen darstellbar: Der Rhein-Sieg-Kreis steht in einer nach Bevölkerungsdichte geordneten Liste der deutschen Landkreise mit 519 Einwohnern je Quadratkilometer an neunzehnter Stelle (von 301 Kreisen), und gehört damit zu den oberen 6,3 %. Die einwohnerreichste Region ist der Kreis Mettmann mit 1226 Einwohner/Quadratkilometer. 499193 Menschen teilen sich hier eine Fläche von 407 Quadratkilometern, das sind gerade mal 815 Quadratmeter für jeden Einwohner. Am unteren Ende der Skala befinden sich die Kreise Mecklenburg-Strelitz und Müritz in Mecklenburg-Vorpommern. In beiden wohnen jeweils 38 Menschen je Quadratkilometer (das macht im Schnitt 2,6 Hektar oder 26000 Quadratmeter für jeden Einwohner). Der Kreis Vulkaneifel, der in meiner Lieblingslandschaft liegt und, wenn Arbeitsnöte nicht dagegen sprächen, seit langem meine Wohnstatt wäre, hat 68 Einwohner je Quadratkilometer.

In der Vulkaneifel müssen sich 68 Menschen einen qkm teilen.
In der Vulkaneifel müssen sich 68 Menschen einen qkm teilen

In Städten sieht es natürlich ganz anders aus. Die Liste der deutschen Gemeinden wird von München angeführt: Hier drängeln sich 1,3 Mio Menschen auf knappen 310,40 Quadratkilometern; auf jeden Quadratkilometer kommen somit 4275 Menschen. Wenn man sich vor Augen hält, daß ein qkm der Fläche eines Quadrates mit 1000 m Seitenlänge entspricht, und daß es selbst in einer Großstadt wie München auch relativ leere Flächen gibt, kann man sich das Gewühl vorstellen. Leere Flächen beeinträchtigen natürlich die Aussagekraft solcher Zahlen: So liegt die nach Einwohnerzahl zweitgrößte Stadt Deutschlands, Hamburg, nach Bevölkerungsdichte weit abgeschlagen irgendwo in der Mitte: Hafen, Elbe und ländliche Gebiete sind praktisch unbewohnte Fläche, die die Zahlen nach unten drückt.
Ein Gewimmel wie München ist übrigens gar nichts im internationalen Vergleich. Mehr als dreieinhalb mal so hoch ist die Bevölkerungsdichte in Monaco, dem dichtesbesiedelten Land der Erde: 16620 Menschen müssen sich einen Quadratkilometer teilen (das sind 60 qm pro Person). Schön ruhig ist es dagegen in der Mongolei: Jeder Einwohner hat dort im Durchschnitt einen halben Quadratkilometer für sich.

Mittwoch, 24. März 2010

Greinstraße

Die Schreie schleppen Männer hinter sich her, blaugrauschwarze Schleppen in öligen Overalls, lassen sie übern den Kiesweg schleifen. Die Schreie, derb und ein bißchen frech, schütteln die Männer immer wieder gründlich durch und zwingen ihnen, besonders die langgezogenen, den Kopf in den Nacken. Die Schreie haben dicke Brillen, durch die wilde Augen linsen. Die Schreie haben einen verzerrten Mund und schwarze Finger, mit denen sie auf das Gerüst vor dem Gebäude zeigen, wo ein Getrampel über Gitter und Trittstufen aus Blech an Gummisohlen festgewachsen ist, ein zitternder Schepperbaum. Man sieht nicht, wohin die männernden Schreie zeigen. Den Schreien nach ist es was Wichtiges. Leises Gurren läßt plötzlich Tauben aus den Zwitscherschwärmen herausregnen. Knattern und Dröhnen spuckt einen Traktor über den zerpflügten Rasen hin. Irgendwo rasselt etwas.
Aus dem Schaben und Scharren auf Stein und Asphalt wachsen Rechen und Schaufeln heraus, größer als die Männer der Schreie, baumhoch und verästelt, beherbergen sie Nester aus Schnaufen und Husten, deren gewundene Gerten fransig sind und zerfasert und einen drahtigen Bast absondern, der sich wie ein Röcheln in den unhörbaren Strömungen der Luft bewegt.
Die Fensterscheiben filtern nicht nur das Licht, sondern auch den Schall. Was hier ankommt, ins Souterrain hineinstreut, das hat keine meßbare Entfernung, ist weder hier noch dort, sondern gleich präsent, hat jede Qualität eines Ortes oder einer Richtung verloren und damit auch die Ordnungen von Ursache und Wirkung. Man könnte sagen, alles Geschehen von Klang und Licht in der Zeit spielt sich auf einer einzigen tiefenlosen Ebene ab, der Fläche der getönten Scheiben, durch die alles hindurchmuß, was an Information der äußeren Welt hier hereinströmt. An dieser Fläche bleibt alles haften und bildet zweidimensionale Projektionen nicht nur des vermutlich dreidimensionalen Raumes jenseits, sondern auch des vieldimensionalen Gewebes von Nacheinander, Folge, Entwicklung und Ursache, aller Verschlingungen des Zeitlichen, des Lichtvollen, des Klanges. Aus unserer Höhle betrachtet ist die Landschaft draußen ein merkwürdiges Durcheinander unzusammenhängender Klänge und Bewegungen, deren Verweise aufeinander in mehreren Richtungen Sinn ergeben.

Mittwoch, 24. Februar 2010

Beim Laufen (Heimerzheim, Kottenforst)

gestern wieder im wald laufen, nur noch vereinzelt liegt eis, an wegkreuzungen und lichtungen, wo wegen der fehlenden baumkronen mehr schnee gefallen ist; aber es ist nicht mehr gefährlich, das eis ist mürbe, rauh, rissig und gibt unter den tritten bereits nach, man kommt ganz gut dran vorbei und dran vorüber.
zwar ist das meiste geschmolzen; dafür sind jetzt aber alle unbefestigten wege vom vielen schnee und jetzt durch dauerregen komplett durchgeweicht und verschlammt, der mehrmals gefrorene und wieder aufgetaute boden ist durch die ausdehnung des eingedrungenen und später gefrorenen wassers schwammig aufgedunsen und weich; überall steht das wasser in breiten pfützen, tümpel säumen die wege, raupenfahrzeuge, pferde und autos haben das übrige getan, um die meisten pfade in schlammpisten zu verwandeln, mit einem wort, der wald ist ein einziger sumpf. bis das drainiert und trocken ist, können wochen vergehen. ich bemerke an mir selbst eine merkwürdige gereiztheit, wenn das, was zunächst nur ein paar schritte über matsch schien, fünf schritte später immer noch matschig ist, hundert meter weiter keine besserung eintritt, nach hundert sich nichts geändert hat, bis man endlich mit vom lehm bereits schweren schuhen begreift: so geht es jetzt kilometerlang weiter, und sich der weg übers feld bis in die nebelige weite hinein von pfützen punktiert und von raupenketten gestriemt hinzieht. in solchen augenblicken könnte ich laut schreien vor zorn, und manchmal tu ich es auch.

VOCES INTIMAE

... for we have some flax-golden tales to spin. come in! come in!

Kommt herein, hier sind auch Götter ...

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