post scripta

Donnerstag, 23. März 2006

Paul-Schallück-Straße

ich stelle mir vor, daß dort die schwarzweißgeringelte tasse immer noch steht, auf dem klavier, und daß eben erst der dumpfe, saitenverstärkte hall verklungen ist, mit dem sie dort aufkam. ich stelle mir vor, daß alles so ist, wie es war, als ich ging. vielleicht mit ein wenig staub überall, mit lustig wirbelnder leichtigkeit vor den morgendlichen fensterscheiben, einem duft nach unbewohnheit, oder nach ebengegangensein; daß das licht eingefroren ist über den blüten des ahorns; daß gegenüber die menschen überm schreibtisch sitzen, weder unbeweglich noch in bewegung, gerade nur so, wie jemand still steht, den man mit einem raschen blick erfaßt und wieder fortstößt, starr, obwohl vielleicht inmitten einer fließenden bewegung.
ebenso dieses zimmer, starr inmitten von bewegung, erfüllt von tanzendem staub, behängt mit träge wippendem papier, beschriebenem, das mit einer reißzwecke angepinnt ist; stille inmitten von klang, das knarzen des futons, das hohle poltern, mit dem die tasse aufs klavier trifft, verhalten, um eine schlafende nicht zu stören. das eine wird für immer eben erst gewesen sein, das andere wird für immer noch sein. gleich. jeden moment.
dieser raum hat sich abgelöst von allen räumen, die ich nun bewohne oder nicht bewohne. nur mehr zugänglich der vorstellung, verharrt er nun ewig in einem augenblick, kurz bevor jemand fragt, soll ich dir einen kaffee machen? und dennoch liegt staub über den noch fußwarmen sportschuhen am fenster, das handtuch ist noch feucht, die stretchhose zerknüllt unter dem zerschabten lederrucksack, der sich nicht mehr schließen ließ. ein sonnenstrahl liegt quer über einem mit georgischen schriftzeichen bekritzelten blatt papier, das nicht mehr vergilben wird. am klavier biegen sich die photographien. und werden sich immer biegen, die farben dazu verdammt, immer frisch zu bleiben, die gesichter immer strahlend. hier kann es nicht nacht werden und nie richtig tag; es herrscht ein ewiger morgen, mit dem immer im selben winkel verharrenden licht, dem staub, der tasse, in der noch der duft des kaffees ruht, eingefangen zwischen feuchter wärme und eintrocknung, und ein faden flüssigkeit spannt sich über die keramik, schwarz und weiß geringelt.

Freitag, 17. März 2006

Nittel

ein regen schlief. ein fenster stand weitauf. leise stahl der mond der nacht eine stunde. lichtrauten schufen die wände wieder, während … und jetzt –
(einmal …. )
da
war sommer …
da war noch einmal: ein aufschub. ein weg. eine helle kreuzung. die man hätte nehmen können, die man nicht nahm. man streut es hin mit einem achselzucken und ein vogel kommt und pickt es auf. das ist alles.
sonne schien rechts, links stand der fuß auf schattenkühle. der hasel flatterte gegenüber. eine brise war. sonne war. menschen waren, unaufmerksam in eine ecke geweht, stimmen waren, und erwartung. der garten lag leer einen halbsommer. immer noch schwebte der fuß, bis er warm wurde in der sonne, immer noch hafteten links die zehen am stein, vergeblich kühle von sich streifend. um die andere ferse schloß sich gras weingedämpft. da zuckte die pupille, und sonne brandete und stirn schwamm davon über grünzerspelltes funkeln. lider senkten sich, lider schirmten. mit so einem schritt vornüber tauchend ins sonnenlicht fallen, aus dem schatten geneigt, einen hellen schritt. und immer. und immer.

und ewig. (sekt schaukelt in der hand)

zischende holzkohle, linkerhand spülte die sonne um finger, stimmengewirr hob sich und fiel ringsum, trunkener blick stolperte übers gras. eine großmutter schnarchte bedrohlich im liegestuhl, zuckte die achseln übers ersticken. feuchtigkeit schlug sich am wein nieder, wobei fett aus dem eschenahorn austrat. es tat gut, die hände vor sattheit niederfallen und ruhen zu lassen, es tat gut, zu schweigen, es tat gut, einfach alles ruhen zu lassen, mucksmäuschenstill. es tat gut, nicht zu denken, untätig zu sein, auch wenn es feststand, daß später das denken über uns kommen würde wie ein helleuchtender wirrer sturm. es tat gut, zu atmen.
ich war muchsmäuschenstill.
irgendwann jener tage steckte ich mir einen apfel ein und ging alleine in den wald. unruhige pläne geisterten herum, doch war man froh und voller vager zukünfte. träge blätterte man in büchern, schläfrig vom mittag. dann gab es essen. oben im haus warteten keusche nächte der liebesruh, und ein vertrauendes antlitz, das später in absurde gleichgültigkeit sich lösen sollte und vieles löschen auf immer: später, jahrhunderte später, als einmal herbst war.
da weiß man nicht: soll man vielleicht lachen? das weinen blieb im hals stecken, während die rosen wieder ausschlugen.
als wäre nichts gewesen, haben zwei jahre und ein bißchen mehr zeit die augen geschlossen.

ein regen schlief. ein fenster stand weitauf. leise stahl der mond der nacht eine stunde. lichtrauten schufen die wände wieder, während … und jetzt –

Dienstag, 20. Dezember 2005

Sæby (1)

(Alouette, gentille Alouette …)

erinner dich an jene stunde.

erinnere dich an hütte, fenster, wald. an die dunkelheit, die gegen das fensterglas anstieg, an die dunkelheit, die kühl und ein wenig fremd unter deinen fingerspitzen kribbelte. an die andersseitige dunkelheit, den weiten raum, die verhüllten kiefern. an die dunkelheit, die den gesang barg, freigab und dann wieder in sich zurücknahm.
erinnere dich. du warst das. du standest am fenster, du preßtest die nase an die scheiben, du hörtest die stimmen, wie sie jenseits sangen und verklangen, die leuchtenden stimmen.
(Alouette, gentille Alouette …)
da beugtest du dich vor, atmetest einen nebel aus, stießest mit der nase gegen die nacht draußen und wußtest nicht ein noch aus vor schönheit. du hattest noch keine worte, alles stellte sich unmittelbar vor dir auf, wuchs dir
(Alouette, je te plumerai …),
direkt ans herz, und doch … und doch … (je te plumerai la tete …) fühltest du damals schon, daß du nicht ganz warst. daß die schönheit von dir getrennt, dir entfremdet war. wem hättest du es sagen können? im nebenraum, meilen entfernt, schliefen die eltern, denen du es am morgen erzähltest. aber hatten sie denn verstanden? hätten sie es dir deuten, hätten sie es dir auflösenkönnen? du fragtest sie nach dem lied, summtest es ihnen vor, glaubtest, es damit erworben und beherrscht zu haben, wenn du nur einen namenhättest. als könntest du dem schönen näherkommen, indem jemand das lied für dich sänge, wieder und wieder! als könntest du das schöne begreifen, wenn es wiederholbar geworden wäre … doch in demselben augenblick, da du
(Alouette? – Alouette!, Ooooh …),
da du begriffst, daß es schönheit gab, spürtest du schon ihre unerreichbarkeit und den schmerz, und auch, daß du allein sein würdest im angesicht des schönen. und später:

da erfandest du worte: behelf, meßgerät und prothese. aber näher würdest du ihm niemals kommen.

Donnerstag, 15. Dezember 2005

...

s
o viel tagessteine und jahresringe ich mir auch angehäuft hab, zum blumenstolz meiner fußspuren, ich kann die stimmen, die

sirenenstimmen

nicht niederleben. doch auch das bescheidene wachs ist mir gällig, das machen, das machten andere zuhauf zuunwerthauf, das ist nicht meins, lieber, ja, lieber zerschellen und stolzes unglück tragen wie ein prachtgewand.
hab mich doch einst, wiedergekehrt aus der stadt am ende des jahrtausends, nach leidendem mute benamst. nun will ichs dulden.

immer mehr himmel fahren sich auf, und sind immer fremdere himmel. ich kehre zu den fernen inseln zurück, unerreichbar wie je, kythera, thule, ogygia, doch nun tragen sie andere masken vor den lieblichen gestaden. ich kenn sie ja gar nicht. selbst die phantome wechseln das antlitz. frei zu sein glaubte ich. nun hat mir ein dieb nächtens die träume gestohlen, sie weitergeschenkt, vergraben, in göttereschen gehängt, nun bin ich ohne sie frei. bin so schrecklich frei, daß ich gehen kann, wohinimmer ich will. ich schmecke den pollen, ich sehe die weite, ich verachte das wetter, ich stemme die wolken, ich höre die stimmen, neue und neue, ich muß es dulden.

auf dem weinfarbenen meer.

...

in den tiefen fältelungen einer lang nicht getragenen jacke: finde ich heute morgen unter vielen zetteln, leihquittungen der bibliothek im schumannhaus (mozart orgelwerke, vivaldi concerti grossi, widor orgelwerke), kassenzetteln von edeka (milch, pepperoni mild, hefe, mehl, wein) auch die quittung. café ehrenstraße. 02.01.2002. zweitausendzwei. ich muß nicht lang überlegen, ich gehe ja nie in cafés.
um mich ein bißchen selten zu machen, hatte ich das institut gemieden und die mail an o. von einem internetcafé aus geschrieben. bis zur verabredung hatte ich nun noch zwei, drei stunden zeit, die ich nicht wußte, wie füllen. was zu denken war, war alles bis an die grenze der angst gedacht, was zu hoffen war, gehofft, nun ging das bangen los, wohin mit all dem in den drei stunden, bis ich das jüngste vom tag zuvor (orgelflimmern im dom, seil ohne bahn, frühstück, dann die blaue kälte über den schnurgeraden wegen im königsforst, der mann mit dem opi-parfum, die getrennt frierenden handpaare) endlich o. würde erzählen können?
also ein café, ein beliebiges, und ich gehe ja doch nie in cafés, also egal. zum zweiten oder dritten mal in meinem leben mit der neuen währung zahlen. zuckerkrümel zählen. passanten beobachten. bang sein. hoffen. irgendwie ging es vorbei. las ich was? schrieb ich was? ich weiß nicht mehr wie, nicht einmal an das unangenehme, das zähe, wie es doch gewesen sein mußte, erinnere ich mich. die stunde kam, die stunde ging, ich zahlte in der neuen währung und ging hinüber zum neumarkt. damals fuhr die linie 16 noch nach mühlheim.

Mittwoch, 25. Mai 2005

Vielleicht der peinlichste Moment meines Lebens

Einst in meinem 14 Lenz, vielleicht war es sogar der 15. kam mein Vater abends zu mir ins Zimmer, mir eine gute Nacht zu wünschen, trat an mein Bett, ließ sich in die Hocke nieder und sprach: Mein Sohn ... nein, so wars nicht, er sagte einfach, sinngemäß: Wenn ich mal nachts wach werden sollte und mein Bett sei naß, dann solle ich mich nicht beunruhigen, weil, das sei dann Samen. Er sage mir das, da er selbst zu seiner Knabenzeit furchtbar erschrocken sei; das wolle er mir ersparen.

Ich schluckte und nickte. Er verschwand.

Der Gute tat es in der besten Absicht, ich weiß, und leicht wird es ihm auch nicht gefallen sein. Ebensowenig wie seine eigene Pubertät leicht gewesen sein wird. Nur machte er meine eigene damit ein gutes Stück schwieriger, und außerdem kam er ein gutes Jahr zu spät; und auch sonst war seine aufklärende Beruhigung völlig überflüssig, denn ich habe mich nie über ein nasses Bett erschreckt. Dazu konnte es auch kaum kommen. Weil ich nämlich ein Taschentuch benutzte. Als mein Vater aufklärerisch in Aktion trat, da bestimmte ich schon lange selbst darüber, wann mein Bett wenn überhaupt naß werden sollte, indem ich der Spontanfreisetzung meiner Gameten meist zuvorkam. Da lag ich nun, zwar nicht hochroten Kopfes (dazu war ich viel zu panisch), wohl aber hämmernden Herzens. „Das ist dann Samen“, hallte es in meinem Kopf wieder. Ach nein, wirklich, ich dachte das sei Vanilleeis.

Das schlimmste aber war danach die Sorge, er könne das tun, worum ich sämtliche mir bekannten und unbekannten höheren Mächte bat, er möge es unterlassen: mich zu fragen, ob es denn schon soweit sei. Was hätte ich ihm da antworten sollen? „Weißt du, Papa, wenn man sich da unten anfaßt, das ist dann ein total schönes Gefühl, ja, und wenn mans richtig anstellt, dann ...“? Ich war wochenlang in wilder Angst. Aber er hat geschwiegen.

Donnerstag, 3. März 2005

Vor Jahr und Tag ...

weil
das
Weil
zum
Obwohl
und
das
Obwohl zum
Weil
geworden ist
liebe ich dich

(für E. S. 1995)

Freitag, 30. Juli 2004

Post scripta. Frühjahr 1999

Manche Orte haben ihre eigene Zeit. Manche Orte altern nach ihren eigenen Gesetzen. Manche Städte gehen dahin, unmerklich und jahrhundertelang, gemäß dem Zeitschlag ihres Herzens, manche Plätze, von Menschen wimmelnd und ungeachtet der vielen Füße, die über sie schlurfen und trampeln und schreiten und trippeln: ihr Antlitz wandelt sich, unwahrnehmbar, mit dem Schlagen ihrer innewohnenden Uhr. Und es gibt Orte, die sich nicht wandeln. Sooft du wiederkommst, es erwartet dich immer derselbe Ort; dieselbe Katze hockt auf der Fensterbank und sieht deinen Schritten mißtrauisch entgegen. In der Dämmerung schimpfen die Amseln in sich verdunkelnden Büschen. Ein Laden klappert, ein Hund bellt, die Glocken läuten, und plötzlich wird dir klar, daß Abend geworden ist, und es ist, als habest du dein Leben schon hinter dir. Der Ort, an den du zurückkehrst, starrt dich, alterslos, an, und die dich doch erwarten wollten, am Herd mit der Schürze die Mutter, und du siehst sie schon von der Straße, ein fleißiger Schatten im dampfhellen Fenster, der Vater, groß und ruhig wie die schützende Welt, als seist du wieder ein Kind, die, die dich erwarten sollten, sie sind lange tot. Und dennoch hallen deine Schritte in den Gassen wie jedesmal, der Flieder und der Liguster duften in den Vorgärten, überm goldüberstreiften Grün siehst du die Mücken tanzen. Die Häuserflure stehen hell, irgendwo qualmt Kartoffelgeruch aus der Glut, von ferne trägt der Wind das Tuckern der Kanalschiffe heran, und vielleicht erwarten dich wirklich die Mutter und der Vater, und du setzt dich mit ihnen in den Kreis der Lampe. Aber wo du warst damals und welche Wege du gegangen bist, das ist fort, das holst du nicht mehr ein; du folgst den Schatten der Jahre und dem Kind, das du warst. Aber der Ort, mag er so langsam altern, daß er dich weit überlebt, gibt dir nichts wieder, und einmal kehrst du zum letzten Mal vergebens zurück, und dann weißt du plötzlich, daß die Straßen dunkel sind, die Sonne lange untergegangen und Nacht ist.
Dann stehst du am Morgen an der Bushaltestelle, und während du noch nicht weißt, wohin du gehst, bist du schon eingestiegen, und über dein Gesicht am Fenster schiebt sich das Spiegelbild der Häuserzeilen, die du für immer verläßt. Die Sonne blitzt auf dem Glas, wenn der Bus eine Wendung macht; dann ist er fort, über die Brücke und um die nächste Kurve, und es ist, als hallten die Straßen noch nach von seinem Lärm.

VOCES INTIMAE

... for we have some flax-golden tales to spin. come in! come in!

Kommt herein, hier sind auch Götter ...

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