Donnerstag, 21. Oktober 2004

Schlampermäppchen

Gerade beim Stöbern in verschiedener Autoren Mottenkisten hier fündig geworden. Ich lese das Wort, stutze, und dann verstehe ich, und eine verschüttete Welt öffnet sich. Ein einzelnes Wort führt mich zurück in eine tintenbekleckste Holzbank. Ich habe Sand in den Sandalen und Filzstiftkleckse an den Fingern, und die Hefte und Stifte und Bücher duften fremd und aufregend und ein bißchen gefährlich. Frau Mayer-Ullmann dirigiert, und 30 Kinderkehlen plärren: „Auto fahren, Auto fahren, heute wolln wir Auto fahren“ Eine neue Seite vom „Fehlerteufel“. Eine neue Seite im Lesebuch, groß und bunt und zur Eroberung freigegeben, wie ein fremdes Land. Hefte, Ordner, rauschendes, glattes, sinnlichweißes Papier, Plastikumschläge, Schulranzen. Und: ein Mäppchen. Man kann es aufschlagen, und darin schimmern, wie Schmuckstücke auf Samt, Stifte, Füller, Radiergummi, sogar ein kurzes Lineal.

Eigentlich langweilig. Ich weiß nicht mehr, wo ich dann das andere zuerst sah, wer es hatte, wem es gehörte, wer es haben durfte, das verruchte Ding, die Verführung zur Sünde, der Feind jeder blitzenden Ordnung, herrlich und wild und viel schöner als der öde aufgereihte Schmuck der Stifte. Wie konnte ich das vergessen! Der Inbegriff aller Arten, seine Stifte zusammenzuhalten. Die ungestillte Sehnsucht meiner ersten Schuljahre und laut den Erwachsenen Anfang aller Verwahrlosung. Schlamperei eben. Was für ein schönes Wort: heute, wo ich eines habe, ohne verwahrlost zu sein, hätte ich gar keinen Namen mehr dafür gehabt. Jetzt weiß ich ihn wieder.

Das Schlampermäppchen!

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