Fasti

Dienstag, 21. Juni 2011

Solstitium

Schwaene

Montag, 1. November 2010

Allerheiligen

Und der Teddy am Rand des schwankenden Lichttümpels der Kerze, und das Kreiseln der Flamme, und wie sich das in ein Kreiseln der ins Enge, Umgrenzte der eigenen Schrittweite eingefaßten Dunkelheit übersetzt, an deren Rand der kleine Teddybär, mit Wollmützchen und einem roten Halstuch, der Glanz in den Kunsstoffaugen beinahe lebendig, in diesem vor- und zurückspringenden Zucken sich zu bewegen scheint, wenn man nicht genau hinsieht, sondern knapp und wie absichtslos daneben, auf die frischen Blumen, das Feuchte der im Kerzenschimmer verfälschten Farben, die Pflanzengattungen nur durch ihre Form kenntlich, und wie die Schrift auf dem Stein so ist wie immer, fremd, aber nicht abweisend, höchstens den Anschein von schamhaftem Vorwurf vermittelnd, der an mich, den Unbeteiligten geht, und warum ich denn so oft hierhergekommen bin, um mir am Zeugnis fremden Leides einen wohltuenden Schauer zu holen? Aber vielleicht stimmt das gar nicht, oder doch, oder halb: Der Schauer tut wohl, aber es ist ein Schauer des Trostes, widersprüchlicher Besänftigung, die ich, wer wollte sie jemandem verweigern? aus Licht und Teddybär beziehe (manchmal ist es auch ein verkitschter Engel, manchmal haben die Figuren ein Schneemützchen, stets sind die Blumen frisch, einmal habe ich eine halbe Stunde lang einer Amsel zugehört, niemand war außer mir auf dem Friedhof), und daraus schöpfe, daß da jemand tapfer gedenkt, und daß die Liebe, die sich da in Blumen und Teddy und Engel zeigt, ebenso wahr ist wie der allzu frühe Tod der unbekannten Jennifer, und dieser Gedanke bringt mich von den trauernden Liebenden zurück zu dem fremden, ewig neunjährigen Mädchen, an dessen Grab ich manchmal verweile zum Stillsein und Nachdenken und widersprüchlich Tröstenlassen, um dann still und leise wieder zu verschwinden, ein vorübergehender Eindringling, der niemanden stören will und gleich wieder weg ist, und ich denke, sie hätte gewiß nichts dagegen.

Dienstag, 22. Juni 2010

Solstitium

Atemholen der Zeit am Halbpunkt des Schwungs, nach dem Anstieg

gegen die Wucht des Lichts, träger, je
steiler das Jahr.

Sonntag, 1. November 2009

Hieroglyphen im Kristall

Die Hand in der Sonne und der kleine Schatten, den die Finger ins Laub werfen, und zu den anderen Schatten, im Ohr das ganze Jahr, und die bunten Mützen drüben an der Hecke, Limonadenflaschen unter dem Vergessen der Weißbuchen, das ganze Jahr, die Vorgärten mit ihren Marmorstimmen, ein ganzes Jahr, die Wolken im See und dann wieder übers Jahr und übers Feld, die Raben, der Bausch Dunkelheit am Feldrain, das Wort wieder denken, und die Schritte über den Kies knirschen lassen, langsam einen jeden. Nach einem Stein suchen, seiner glatten Kälte, den Adern und Hieroglyphen im Kristall. Die Hände an der Hose abwischen, stehenbleiben. Blumen in den Tonnen, so viele Blumen, die ihr Buntes verschenkt haben, Jahr um Jahr, ihre geliehenen Farben der Erde zurück, diese Töne von Ocker, Schilfhell und Tabakbraun, von Seeschlamm und Kastanienbleich, von Eichelglanz und Eckernstumpf, eine Erinnerung an eine Erinnerung an Farbe. Die Püppchen blicken ins Laub, und die bleichen Photographien, der Marmor mit den Schattentümpeln, es ist, als hätten selbst die Bäume den Blick gesenkt. In den Pfützen regt sich der Schimmer, knapp an den Rand geflackert, von Flämmchen. Ein jedes ein Fensterchen, das ein einsamer Wanderer aus der Ferne des dunkelnden Hanges erblickt, zu spät, rings neigt sich das Tal, das holst du nicht mehr auf. Es riecht der Acker nach Kaminrauch, dir aber bleibt nur der Weg, übers Jahr und übers Feld, morgen war schon, wieder nichts gemerkt, paß auf, nichts wird schneller reif als das gestern, das der heutige Tag sich so mühsam erringt.

Donnerstag, 23. April 2009

Anmerkungen zum Welttag des Buches

Die Bücher haben uns überholt.
Mehr Bücher zu produzieren, als man zu lesen vermag, kann dreierlei bedeuten. Erstens, schnell war es vorbei damit, daß ein einzelner Mensch, wenn er lange genug lebte und die Schwierigkeiten in der Beschaffung und Information meisterte, die gesamte literarische Produktion der bekannten (bzw. der Latein oder Griechisch sprechenden) Welt nicht nur überblicken, sondern auch lesen und begreifen konnte. Die aktuelle Produktion, sowie alles, was bislang überhaupt geschrieben worden war. Der Punkt, wo dem Leser die Menger der insgesamt vorhandenen Bücher über den Kopf wuchs, dürfte schon in der Antike selbst erreicht worden sein. Da wurde zum ersten Mal der Einzelne von den Büchern überholt, unaufholbar: Die Bücherzahl im Wachsen, die Lebenszeit im Schwinden begriffen, libri multi, vita brevis.
Heute, zweieinhalb tausend Jahre später, haben wir uns mit so vielen Büchern umgeben, daß, selbst wenn ab sofort kein weiteres Buch mehr erschiene, die Menschheit für Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, Lesestoff hätte. Und, da ja, die uns nachfolgen, den ganzen Stapel frisch nachzuarbeiten haben, müßte man eigentlich gar keine Bücher mehr schreiben. Ja, womöglich haben wir mit der Produktion von Büchern schon einen Punkt erreicht, wo sie uns zum zweiten Mal ein- und überholen, wenn es nämlich stimmt, daß wir nicht einmal mehr gemeinsam die Menge an entstehenden Büchern stemmen könnten.
Das bedeutet etwas Trauriges und Beunruhigendes: Einige bleiben ungelesen. Und zwar, weil ja ständig noch weitere Bücher nachwachsen, für immer.
Die dritte Welle der Überholung wäre dann erreicht, wenn die Menge der für immer ungelesenen Bücher die Menge der gelesenen oder noch lesbaren übersteigt. Man stelle sich mal die stumme Flut an Personen, Welten, Landschaften, Ereignissen vor, wie sie, unentdeckt, ungeschaut, verborgen hinter haus- und turmhoch gestapelten Buchdeckeln, ja, was? existieren? Latent sind? Abrufbereit warten? Liebesaffären, Verrat, Intrige, Freundschaft, verrückte Erfindungen, traurige Entdeckungen, glitzernde Waghalsigkeiten. Reisen zum Andromedanebel, sprechende Austern, Barackensiedlungen in den Slums von Köln, die Reisebeschreibungen des Pseudo-Apollodor. Wälder, Städte, Straßen. Sprechende Pudel, denkende Gartenpfosten, Zauberer, tiefste Vergangenheit und unsere eigne Zukunft. Wahres, Falsches, Geträumtes. Nacht der drei Monde, die Veilchen des letzten Sztumbanen … Verschlossen hinter Buchdeckeln, vom banalsten Liebesgestöhn bis zum Stein der Weisen, absichtlich oder unabsichtlich zu entdecken.
Angesichts einer solchen ins Unermeßliche wachsenden Geschichten- und Weltenflut darf man wohl sagen, daß sich unsere eigene, sogenannte wirkliche Welt immer kleiner ausnimmt und bedeutungsloser, marginal im Wortsinne, eine Randnotiz zu einem gigantischen Roman der Romane, eine Fußnote im 135.811.374.374ten Erzählband, eine in Parenthese geäußerte Vermutung in irgendeiner Essaysammlung, wo war sie noch gleich …? Ein Geschmier, das man zuerst für Pennälergekrakel hält, ein Anhang zum ersten Prolog des Inhaltsverzeichnisses, immer kleiner und winziger wird die sogenannte wahre Geschichte, entpuppt sich als Nebensache, gerät zwischen fremde Seiten, rutscht nach unten, bis sie irgendwo in der Flut der Publikationen verschwindet, drei Punkte, ein Auslassungszeichen …
„Hast du das gelesen?“ – „Was?“ – „Na, dieses Büchlein hier …“ –„Nee, keine Zeit, du weißt schon.“ – „libri multi …?“ – „… vita brevis…“



Freitag, 23. Mai 2008

...

so ein feiertag, acht uhr in der früh, noch vor den wimpeln und glocken, das licht, ausgeruht und kühl und wie gehämmerte folien in den straßen, das licht und die weite über den pferderücken, das hallen der schritte, das man sonst nicht hört, amsel und zaunkönig, hummeln; und ein schauer von tagesanbruch in den baumhaseln; die mauern glänzend und scharfschattig, ein murmeln aus den gullis, auch das unhörbar sonst, und die luft, und der raum, und der himmel, und die wolken, so still, so wunderstill, daß man ganz ganz tief luft holen muß.



Donnerstag, 1. November 2007

Allerheiligen

Am Grab von Jennifer Heid, wie jedes Jahr. In Gedanken zumindest.
Diese elf Tage des Jahres, Verspätetes und Letztes, zwischen Allerheiligen und Martini, wo der Herbst sich geschlagen gibt und zurücktritt aus den Kronen der Bäume wie ein sanftmütiger Riese. Er schüttelt das greise Haupt: Ein Schritt nur ist es ins Nichts, in den Rest, ins Dunkel, das selbst die Raben verschmähen, die plötzlich, seid wann? verstummt sind auf ihren lautlosen Bahnen. Heute noch waren wir hier zu Hause, hier, inmitten der Astern, hier haben wir ins Laub geatmet, uns mit Eicheln beworfen, über den Nebel gestaunt und gelacht über unseren Atemdunst, wie Kinder, hier waren wir Freunde, Paare, Geschwister, und nun? Stehen wir allein, mit diesem Wundsein an den Fingerspitzen, das eine andere Hand uns ließ, und haben eine harte Münze unter der Zunge, seit unsrer Geburt. Und wir tun so, als wüßten wirs nicht. Nicht war? Schön wars auf der Erde. Nur daß wir nicht einmal diese Erinnerung behalten dürfen. Und über der Tonne aus kohlefaserverstärktem Kunststoff liegen die Blumen. Und über den kleinen, eingefaßten Gärtchen kreist der Kerzenschein. Als ginge es immer so weiter stellt man den Mantelkragen auf, fröstelt behaglich, riecht das eigene Leben in den Achseln, und mit diesem Gedanken ist man fort über Straße und Feld. Ein Blatt kreist in müdblauen Tonnen. Und am Horizont dröhnen die Türme. Und dröhnen und dröhnen.



Montag, 1. November 2004

Αγίων Πάντων

Wieder einmal gehe ich hinauf zu dem kleinen Friedhof in Ippendorf, oberhalb des Melbbachs; zum Grab der unbekannten Achtjährigen, Jennifer Heid, die diesen Juni 17 geworden wäre.

Erst, als ich über die Straße bin und mir die kleinen roten Flämmchen über die Mauer hinweg entgegenleuchten, geht mir auf, daß es der richtige Tag ist für einen solchen Besuch. Allerheiligen. Was für ein schöner Brauch: Nie ist der Friedhof sonst so festlich, so voll von heimlichem Licht, so voll stillen Trostes. Befangen nähere ich mich Jennifers Grab am Ende des Weges.

Es ist bei weitem das hellste Grab des kleinen Friedhofes. Die Flamme einer Schalenkerze flackert still und mutig über der dunklen Erde. Zwei Grablichter strahlen ein ruhiges Rot über die dämmervoll erloschenen Farben der vielen vielen frischen Blumen. Eine Kerzenlaterne steht an der Ecke. Menschen haben an sie gedacht, nicht nur heute, aber heute besonders, und ich möchte gerne denken, auch wenn ich nicht daran glaube, daß sie es spürt und sich dort, wo sie jetzt ist, nicht so einsam fühlt. Der Gedanke ist zu tröstlich um ihn nicht denken zu wollen. Ich trete näher heran, suche kurz die sorgsam geharkte Erde ab, und da, verborgen unter dem hellen Schimmer der Schalenkerze, da sind sie: die kleinen Marienkäferchen aus Holz, in einem Kreise eng zusammengerückt, die größeren äußeren den kleinen inneren Schutz spendend.

Wie trostlos aber sind die Dunkelheiten: Hier und dort ein Grab, dessen Inschrift langsam im Dunkel zerfällt, das schnell hereinbricht, schwarze, einsame Löcher in all dem festlichen Glanz der anderen Gräber. Tote liegen dort, die niemand mehr kennt, an die keiner mehr denkt, die niemanden mehr haben in der Welt der Lebenden. Kein Licht flackert auf ihrer Erde. Keine Blume süßt das Bittere der Winterluft. Ich blicke noch einmal zurück zum Grab der Achtjährigen. Die kleine große Flamme zuckt und flimmert, aber sie geht nicht aus. Wie wenig doch genügt, damit alles gut wird, denke ich, und wie wenig auch, um alles niederzureißen, und in diesem Augenblick möchte ich nichts ertragen müssen und wünsche ich mir, daß am Ende alles gut wird.

VOCES INTIMAE

... for we have some flax-golden tales to spin. come in! come in!

Kommt herein, hier sind auch Götter ...

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