Ioanna hatte zuviel getrunken. Ihr war übel gewesen. Sie war aus dem Bett gesprungen und hatte sich im Bad erleichtert. Besorgt hatte ich oben im Dunkel der Wände eingeschlossen gewartet, allein mit der Tatsache, daß lange Zeit nichts geschah und alles still blieb. Ich wollte schon nach ihr sehen, da kam sie zurück, glitt stöhnend ins Bett, nahm meine Hand. Ich rückte heran, wie ich es so viele Nächte getan hatte, während derer ihre Hand in meiner war und ich gewartet hatte, bis sie einschlief. Ioanna wälzte sich unruhig und in stiller Aufruhr. Ich streckte den Oberkörper ganz nahe ans Bett heran. Ein Geruch wie von einem Säugling ging von ihr aus. Nach Sauerrahm. Mir schwindelte. Es ist gut, flüsterte ich, alles ist gut. Ioanna wandt sich und wimmerte. Meine freie Hand berührte ihren Arm, und auch das war ja schon vertraut, streichelte ihre Armbeuge, tastete sich bis zum Saum des Ärmels vor. Ioannas Lippen bewegten sich. Das Wimmern hielt an. Ich setzte mich auf die Bettkante. Meine Hände strichen Ioanna das verschwitzte Haar aus der Stirn. Ihre Wange war ganz kühl. alles ist gut, flüsterte ich wieder, alles ist gut. Ioanna bewegte den Kopf und murmelte etwas, das ich nicht verstand. Unter dem Hemd fühlte sich ihre Schulter sehr rund an. Bei jedem Atemzug kam ein Klagelaut aus ihrer Kehle. Eine Weile ruhte meine Hand auf ihrem Arm. Wieder murmelte sie etwas und drehte dabei den Kopf von mir weg. Im schrägen Licht der Straßenlaterne sah ich ihren halboffenen Mund. Als ich ihr Ohr berührte, schloß sie die Augen und schien etwas in ihrer Sprache zu sagen, aber ich ließ sie nicht zu Wort kommen, sondern fuhr meinerseits fort, auf sie einzureden, gut, alles ist gut … Ihre Lippen bewegten sich. Ich neigte mich noch näher herab und hörte, wie sie in einem fort dasselbe murmelte, etwas, das sich anhörte wie kialo … kealo … kiallo …
Auf der Bettdecke lag schräg der Schein der Straßenlaterne. Es schneite; über dem Laternenlicht wirbelten frische Flocken, fielen aus dem Schatten oben heraus, strömten ins Licht, das sie einen Moment in sich aufnahmen und glitzernd streuten, ehe sie träge wirbelnd auf dem matten Weiß der Straße erloschen. Stoff raschelte. ke állo. Das Bett knarzte, als ich mich zu ihr legte. ke állo …
Auf der Bettdecke lag schräg der Schein der Straßenlaterne. Es schneite; über dem Laternenlicht wirbelten frische Flocken, fielen aus dem Schatten oben heraus, strömten ins Licht, das sie einen Moment in sich aufnahmen und glitzernd streuten, ehe sie träge wirbelnd auf dem matten Weiß der Straße erloschen. Stoff raschelte. ke állo. Das Bett knarzte, als ich mich zu ihr legte. ke állo …
Ich hatte keinen Augenblick aufgehört zu reden. Schwiege ich, so würde in der Stille zwischen uns das, was ich tat, einen Namen bekommen. Also mußte ich reden, alles ist gut, alles ist gut … Und während ich weiter auf Ioanna einsprach, sowohl, um sie, als auch um mich selbst von dem abzulenken, was geschah, begannen meine Hände ein Eigenleben zu führen. Verstohlen kitzelten sie Ioannas Handflächen, liefen über die Innenflächen ihrer Arme, kicherten über die Gänsehaut, die das hervorrief, strichen über den Ärmelsaum, fühlten warme Baumwolle über nackter Haut und dann nackte Haut unter warmer Baumwolle und setzten sich so über ewig geglaubte Grenzen von Nähten, Stoff und Säumen einfach hinweg. Und während Ioanna zu seufzen begann und immer wieder ke állo murmelte, verstummte ich; doch jetzt waren meine Finger mutig geworden, umrundeten, ke állo, Ioannas Schulter, wagten sich weiter, schlüpften unter den Kragen des Nachthemds, ertasteten, ke állo, ihr Schlüsselbein, drängten sich bereits, ke állo, in ihre leicht geöffnete Achsel, zupften, ke állo, an dem drahtigen Flaum, waren noch nicht zufrieden, nahmen allen Mut zusammen, zögerten einen Moment, taten es dann und streiften endlich, ke állo, ke állo!, Ioannas Brust.
Die aufseufzte. Und da verstand ich auch, was ke állo bedeutete. Plötzlich las ich von Ioannas Lippen alles ab, was zu wissen war, und wußte es so genau und sicher, wie ich niemals etwas verstanden hatte. ke állo …Mehr … weiter … Gleichzeitig verstand ich gar nichts. Doch nichts zu verstehen, das war herrlich. Ioannas Brust war so voll und rund wie ein Mond. Haut umspannte Weiches, Weiches schimmerte warm, Wärme wogte und das Gewoge wölbte sich, gab Anlaß zu allerlei wilden Alliterationen und wuchs zu einem glattem, elastischen Widerstand, so rund und so prall, als strebe alles hin zu einer harten gestreckten Beere, um dort Ausgang und Erlösung zu finden. Daß Haut so sein konnte. Daß Wärme so sein konnte. Daß eine Frau so war. Unglaublich war das. Voll waren meine Hände mit dieser Haut und dieser Wärme, und hielten die Zeit in ihrem Strom fest. Begreifen – nein, begreifen konnte ich nichts von dem, was meinen Händen da zufiel: Ich wußte ja nicht, wie eine Brust war, deshalb konnte ich auch nicht wissen, daß diese Brust so war. Ich wußte nur, daß es Ioannas Brust war, die ich streichelte, daß es Ioannas rauhe Stimme war, die schluckte, daß es Ioannas Atem war, der meine Wange streifte, daß es Ioanna war, die immer noch ke állo murmelte, sprach und schließlich laut rief. Ich wußte ja nicht, wie diese Brust hätte anders sein können. Es war Ioannas Brust, und das war schon unerhört genug. Ja, das war, wie wenn man ein Heiligtum betrat, etwas Verbotenes erblickte, und eine Grenze für immer übertrat.
Und so war es ja auch. Ich verließ etwas. Ich ging für immer. Ich käme nicht mehr zurück. In dem Augenblick, wo ich alles gewann, hatte ich es auch schon verloren. Nie wieder hat sich eine weibliche Brust noch einmal so angefühlt.
Ich sah nicht hin. Fühlen wollte ich, nur fühlen. Plötzlich waren meine Hände überall auf ihrem Körper, wanderten und lernten die Wörter für Hals, für Schulter, für Bauch, für Nabel neu.
Ich hatte es nicht darauf abgesehen. Nicht einmal, als ich auf der Bettkante saß und alles ist gut murmelte, während Ioanna stöhnte und den Kopf hin und her wandte, nicht einmal da, nicht einmal, als ich verstand, was sie wohl meinte, nicht einmal, als meine Hand unter ihr Hemd glitt, gab es irgendein Ziel, außer dem, es nicht mehr, nie wieder, aufhören zu lassen. Sie zupfte an meinem T-Shirt, kannst du das ausziehen, bat sie flehentlich, als klage sie immer noch, und wirklich war es ja eine sanfte Klage, daß noch immer Stoff zwischen uns sei, und als ich meinen Kopf aus dem Gewebe befreit hatte, öffnete ich die Augen: Ioanna lag nackt bis zur Hüfte im halben Licht der Straßenlaterne, Schaum und Marmor und Haar und Mond wie die kyprische Geburt. Wir preßten uns aneinander. Unsere Hände ein Wald, ein Wind, ein Rudel sanfter Tiere. Im Wechsel strömte der Atem zwischen uns her und hin. Ich roch sie. Ich atmete durch ihren Mund. Eine Ewigkeit verging, während der Schnee fiel und fiel, bis er ein Mäuerchen vor das Fenster gehäuft hatte. Irgendwann klirrte ein Gürtel, Stoff strömte beiseite und fiel zu Boden, und dann, als wir wieder nebeneinander lagen und ich ihre Hand mich fordern fühlte, sprach ich mein erstes Wort in Ioannas Sprache. Ich stützte mich auf den Ellbogen. Meine Hand berührte wieder einen Saum.
Perímene, flüsterte ich, warte …