Donnerstag, 19. Januar 2006

Köln, Agnesviertel

Das sind ja nun Orte, die ich selten aufsuche, daher waltet an ihnen immer noch emsig die Erinnerung. Wie lang es auch her sein mag. Nichtabgeschlossenes wirkt viel in mir. Die Jahre schieben sich dazwischen, aber es ist als fließe das Alte, das Gelebte, Stunden des Glücks und des Unglücks, jedenfalls aber des Reichtums, widerströmig zurück. Nichts ist so fern, daß es blaß würde. Im Gegenteil ist es so lebendig, daß es mich schreckt, wenn ich mir die lange Zeit vergegenwärtige. Wie lange bin ich schon hier in dieser Stadt, beispielsweise, und die Orte, wieviel haben sie schon gesehen, und sind immer noch die alten orte und ich immer noch da.

an C., im juli 2005

Während ich Deinen Brief lese, oder dies hier schreibe, muß ich an etwas denken, das nunmehr völlig bedeutungslos ist; aber nun hast Du im Grunde Dir eine Welt gebaut, die ich immer hatte fliehen wollen. MannKindHaus, ohne das geringschätzen zu wollen. Bist Du glücklich? Wie fühlst Du Dich? Von außen betrachtet sieht es wie ein Ankommen aus, ein Erreichthaben, eine Verwirklichung von lange Erträumtem, obwohl das wahrscheinlich nie so ist, und immer weitere Dinge erstrebenswert und erträumbar scheinen und scheinen werden. Aber es interessiert mich, wie Du das siehst. Auch, weil wir einmal einen gemeinsamen Weg für möglich gehalten haben, und mein eigener Weg nun äußerlich wie innerlich so gänzlich verschieden ist von Deinem.
Und ich denke an das, was ich einen alternativen Lebensentwurf habe nennen wollen. Alternativer Lebensentwurf (alternativ aber wozu?), der vielleicht gar kein Entwurf ist, sondern eine Not, die ich mir, umgedeutet als eigene Entscheidung, zur Lebensführung auspräge. Hatte ich eine Wahl? Gab es jemals den Ort und die Zeit, wo ich mich entschieden hätte, im Großen? Rückblickend stellt sich der Ort, an dem ich mich jetzt befinde, als Ergebnis einer Kette von unscheinbaren Entscheidungen dar, deren jede einzelne im Grunde unwesentlich war.
...

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