Freitag, 25. August 2006

...

Was wollten wir?
Frei sein, uns anpassen, Erfolg haben, Geld haben, eigene Wege gehen, unabhängig sein, stolz sein, es recht machen, davonkommen, ein Leben haben. Was sonst. Blöde Frage. Was sonst, war es je anders? Waren wir etwas besonderes, nur weil wir die ersten waren, die das Netz kennen sollten und die Zeit nach dem Netz ebenso wie die Zeit davor erfahren hätten? Daß wir fortan, heimgekehrt in die Alltäglichkeit und unsere alten Leben, mobil würden telephonieren können, ja müssen? Daß es fortan in dem Land, das wir verlassen hatten, verlassen zu haben glaubten, vielmehr, ein Unwort wie Handy gab? War es das, was uns ausmachte? Daß wir Händie sagten? Daß wir zurückkehrten in eine Welt der Achselrasur und der sogenannten Globalisierung, die man uns vormachte wie so vieles? Daß es nun „EU“ und nicht mehr, wie in der Welt, die wir verlassen hatten, aus der wir kurzzeitig ausgetretene waren, „EG“? Daß wir in vielerlei Hinsicht die letzten Unschuldigen waren? Daß wir die ersten (und letzten) waren, die profitierten von dem, was unsere Eltern in Kommunen, Straßenschlachten, Universitätsaulen, in fremden Betten, mit dem Mund zwischen fremden Beinen, Kundgebungen, hinter Flüstertüten und Barrikaden, in Stundenhotels und auf Open-Air-Festivals erkämpft, erstritten, erredet, erdiskutiert, und schließlich auch erfickt hatten (und die dann doch heirateten, Kinder bekamen – uns – und sich eine Reihenhaushälfte zulegten)? Daß wir die Früchte davontrugen als erste und letzte, die wirklich einmal frei gewesen waren, ebenso schwanger wie kinderlos bleiben durften, abtreiben, austragen, nach Schweiß riechen oder Deo benutzen, Beruf, Hausfrau, bärtiger Töpfergesell, Banker, alles drin, die letzten, die sich noch entscheiden durften zwischen BH oder Schwabbeln, zwischen Achselbusch und antiseptischer Glätte, zwischen Holzhütte und danish design, die letzten, die noch eine Wahl hatten, ehe wieder ein neues Diktat sich klammheimlich durch die Hintertür einschlich – das Diktat der sogenannten Freiheit, die längst keine mehr war (wen wundert’s?)? Und das ganze mühelos, ohne Kampf, den ja unsere Eltern ausgefochten hatten … Aber:
Machte uns das aus? War das unsere Generation? Das schon? Waren das wir?
Jetzt, wo ich das schreibe, im Später, an das ich mich in DER STADT fortwährend erinnerte, sind wir schon Historie, haben schon die Jüngeren wie die Älteren den Stab über uns gebrochen, sind wir schon eine Generation, eine Kategorie, beurteilbar und beurteilt, erwägbar und erwogen, kritisiert, verfehmt oder gelobt, jedenfalls seziert, auseinandergenommen, analysiert, bis nichts mehr von uns übrig war, bis nichts mehr blieb als Feuilletonartikel über die „heute 30jährigen“. Geschrieben von Alterslosen, die über jeden Verdacht, sie könnten (auch sie!) einer Generation angehören oder angehört haben, dem Verdacht, auch sie könnten bedingt und Kinder ihrer Zeit sein, wundersam erhaben waren.
Die „heute 30jährigen“ – die plötzlich, ohne, daß uns jemand um unsere hilflose Meinung gefragt hätte, wir waren. Mein Gott, das waren wir selbst! Und wir konnten es nicht einmal leugnen, wir waren ja um die 30. Kein Ausweg. Man brauchte uns nur nach dem Paß zu fragen. Wie auch immer wir uns verhielten, wir steckten in einer verdammten Schublade fest. Nicht auszudenken, was für eine Maske wir plötzlich trugen, eine Maske, die andere heimlich und in aller Stille für uns angefertigt hatten, um sie uns jetzt, wo wir uns nicht mehr wehren konnten (hatte uns jemand gewarnt?), umzuhängen. Und dann mit dem Finger auf uns zu zeigen.

und morgen?

Und morgen?
Ich sehe mich schon, klein und elend und bis in die innersten kammern und gefäße hinunter ungenügend in meinem neuen zum anlasse erstandenen pullover und dem habit-rouge-duft an der s-bahn-haltestelle schlottern, voller ekel über jedes obsolet gewordene attribut der vorbereitung, das mir nun an mir selbst naiv, pathetisch, lächerlich, clownesque, traurig, hilflos und in dieser hilflosigkeit beschämend vorkommen muß –
Ja, so sehe ich mich schon (Noch bevor wir auch nur einen einzigen blick gewechselt haben. Warum? Weil ich ein elender pessimist bin. Warum noch? Weil ich schlechte erfahrungen in letzter zeit habe machen müssen, was dieses thema angeht. Und noch? Weil ich mir nichts zutraue und weil ich mal wieder viel weiter bin, zu weit.) Wie mich wappnen? Stolz sein, stark sein, schön sein? (und genau letzteres bin ich nun mal nicht)? Das haupt erheben, nase in den wind, brüllen vor kraft und donnernd lachen, wenn morgen die sache aus ist, bevor sie begonnen hat?
Nein. Ich bringe das nicht zuwege. Ich bin schwach und fühle mich schwach. Also werde ich in einem neuen pullover an der haltestelle sitzen, den ich mir vom leib reißen möchte, und die chancen stehen gar nicht mal so schlecht, daß es zu allem auch noch regnen wird.



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Flüstern

ist ausgeflocktes dunkel wenn du dich räusperst wackelt der mond manchmal flüstert es aus rohren und ein frosch im hals und finger flüstern manchmal auf haut und eine straßenecke sieht zu wie zweimal mantelkragen unter einer straßenlaterne die in ein anderes zimmer dringt wo gesichter einander unsichtbar auf dem harten teppich vorm bett flüsterzeichen geben wo eben hingesunken die leiber püffe und knüffe von okklusiven und vokalen auf wange und lippen und hals unterbrochen von küssen das flüstern bist du „du“ flüstert es, „du“ flüstern und im blinden der geruch deines speichels in kirchen wird oft, in manchen museen, und morgens um fünf im überlandbus vor der abfahrt wenn der motor noch stumm ist und die sitze knarzen knistern heißt flüstern anorganisch, haare können es, wenn alles sehr still ist im zimmer mit straßenlaterne und weizenfelder können es verwandte sind wispern das ins wortlose hineinreicht oder raspeln scharren und rascheln das können auch kleider beim abstreifen flüstern hat keine farbe nur graustufen flüstern ist der schatten der stimme flüstern trocknet schnell ein und verliert den geruch flüstern ist seine eigene beschreibung flüstern wäre durchsichtig, hielte man es ins licht flüstern können auch blätter und tüten vögel können es nicht der regen vielleicht


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VOCES INTIMAE

... for we have some flax-golden tales to spin. come in! come in!

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