Mittwoch, 25. April 2007

Beim Lesen

Gerade gelesen (ich übersetze aus dem Griechischen):
Er spürte, daß er diese verdichtete Wirklichkeit nicht ertrug, dieses unersättliche Präsens, ohne Widerhall. Er ertrug nicht die Undurchsichtigkeit einer Gegenwart, die von der Vergangenheit des Mythos abgeschnitten war. (M. Lambadharídhou Póthou, Ο Αγγελος της Στάχτης, 302)
Genauso hat es sich angefühlt, als ich durch einen verzauberten Hain geschritten war, einmal und Jahre danach noch einmal, so habe ich es empfunden, später, nachdem ich das alles lange verlassen hatte. Plötzlich gab es nur noch die Gegenwart: dicht, ohne Tiefe, undurchdringlich und unerträglich ausschließlich vorhanden.




Welttag für Weltaktionstage

Ist heute irgendetwas anders als sonst? stiller vielleicht? ich lausche: fahrzeuge holpern über resonantes kopfsteinpflaster, autotüren schlagen ausgiebig, preßlufthämmer hämmern begeistert, anlasser kreischen, und die mädels von gegenüber verlassen unter lautstarkem palaver, fahrradschloßrasseln, schlüsselklappern, den hof. wie jeden morgen. Ist etwas anders als sonst? ich lausche. mir fällt nichts auf.
Heute ist Internationaler Tag gegen den Lärm.
Aha. Ruhiger ist es indes nicht. Auf den baustellen wird gearbeitet wie je, in den zügen klirren die mp3-spieler, und es ist nicht zu bemerken, daß irgendwer heute mal den wagen stehengelassen hätte. Aber warum sollte man auch? Es ist ja auch am frauentag niemand besonders nett zu den frauen, oder zu den kindern am kindertag, oder zur Schwindsucht am Welttuberkulosetag, na ja, höchstens noch, daß man am Tag des Butterbrotes belegte brote ißt. Oder am Weltdrogentag … aber lassen wir das.
Man kommt überhaupt ins grübeln, wenn man sich die illustre liste internationaler aktionstage zu gemüte führt. Was es nicht alles gibt: herzhaftes („Tag des Deutschen Bieres“ am 23. April), lachhaftes („Weltlachtag“ am ersten Sonntag im Mai), alltägliches („Weltwettertag“ am 23. März), wissenschaftliches (Pi Approximation Day, 22. Juli); es scheint kaum einen lebensbereich zu geben, dem nicht ein aktionstag gewidmet ist: so gibt es ebenso einen „Welttoilettentag“ („für die rechte der toiletten! schluß mit dem stehpinkeln!“) am 19. November wie einen „Welternährungstag“ für den umgekehrten fall, und, man höre und staune, einen „System Administrator Appreciation Day“ (letzter Freitag im Juli); Manches ist gar geheimnisvoll, wie etwa der mysteriöse „Tag des Weißen Stockes“ oder der „Tag der Verschwundenen“. Nicht ohne weiteres erkennbar ist auch, was man sich unter einem „Towel Day“ (25. Juni) vorzustellen hat. Der „Welthurentag“ ist wieder klar.
Gibt es eigentlich einen Welttag der Weltaktionstage?
Ich halte das alles für mumpitz. Diese internationalen tage für oder gegen irgendwas oder irgendwen sind oberflächlich, plakativ, zeremoniell und so wohlfeil wie die plitischen bekenntnisse irgendeines politikers. Äußerung statt handlung, sind sie das symptom einer welt, die sich angesichts ihrer massiven probleme lieber im zelebrieren von symbolen gefällt, als daß sie, unauffällig, still und leise, maßnahmen ersinnt – und diese dann auch ergreift. Nicht an irgendeinem Sonntag im Mai, sondern jetzt und überhaupt. Hier wäre auch noch anzumerken, daß es keinen tag des jahres zu geben scheint, an dem kein aktionstag stattfände, mit anderen worten: jeder tag ist aktionstag. angesichts der verhältnisse auf diesem planeten erstaunt das nicht im mindesten.
Aber was wäre schon damit gewonnen, wenn man, was sowieso nicht passiert, aber kann ja mal spekulieren, was wäre also damit gewonnen, wenn man für einen tag gerechtigkeit gegen frauen walten läßt, kindern, bier und butterbroten die verdiente aufmerksamkeit zukommen läßt, oder eben, wie heute bislang nicht geschehen, sich einen tag lang des lärms enthält, baustellen schließt, fahrzeuge stehen läßt, auf musik verzichtet?
Vielleicht dies: wenn ein solcher tag erfolg hätte, würde das bedeuten, daß man für diesen einen tag ein spiel gespielt hat, das sich „bessere welt“ nennt. Und es wäre doch verdammt schwer einzusehen, warum man damit nicht einfach alle tage weitermachen sollte.
Denke ich und schließe das fenster. Draußen dröhnt wieder der preßlufthammer.




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