Köppnick - 28. Apr, 20:10

Jede Sprache befriedigt exakt die kommunikativen Bedürfnisse ihrer Sprecher.Es gibt Menschen, die sehr gut in verschiedenen Sprachen zu Hause waren oder sind. Von diesen weiß man, dass sie in verschiedenen Kontexten in verschiedenen Sprachen gedacht haben. Das weist darauf hin, dass nicht alle Sprachen die kommunikativen Bedürfnisse in bestimmten Kontexten gleich gut befriedigen können und im Extremfall bestimmte Gedanken in einigen Sprachen überhaupt nicht gedacht werden können.

Auch die weiter unten im Text angesprochene Wandlung der Sprachen weist darauf hin, dass Sprachen in Bezug auf ihre Nutzer ein gewisses Eigenleben entfalten. Abgesehen davon zeigt ja gerade die Veränderung einer Sprache sehr deutlich, dass sie in ihrem vorherigen Zustand für ihre Nutzer nicht ausreichend gewesen ist.

Talakallea Thymon - 28. Apr, 22:18

Die Möglichkeit, verschiedene Sprachen zum Ausdruck eines Gedankens verfügbar zu haben, ist im Normalfall nicht gegeben. Was aber immer gegeben ist, ist die Möglichkeit, die Grenzen der Ausdrucksfähigkeit der eigenen Sprache auszuweiten, mit "eigenen" Mitteln (Wortbildung, Worterfindung, Onomatopoetik, Wortkomposition, etc) oder "fremden" (Entlehnung). Da jede Sprache nur ein beschränktes Mittel zur Übermittlung von Gedanken (und ebenso wichtig zum Ausdruck von Gefühlen) ist, gibt sie den Gedanken, wie er im Kopf des Sprechers vorsprachlich, nun ja, gedacht wird, nur unzulänglich, in einer Abstraktion, einer Verschlüsselung, wieder. (Fast hätte ich "bildet ihn ab" geschrieben, aber das ist es ja eben nicht.)
Vielleicht hätte ich es anders formulieren sollen: "Die Sprecher streben bei der Auswahl ihrer sprachlichen Mittel danach, ihre kommunikativen Bedürfnisse zu befriedigen." Was schon fast tautologisch ist. Der springende Punkt dabei ist, daß es kein objektives Richtig oder Falsch gibt. Ein Ausdruck muß sich an seiner Verständlichkeit und ähnlichem messen lassen, nicht daran, ob die Regeln, die ihn formen, im DUDEN stehen. Die Sprachkritikaster aber erheben Regeln wie "wegen mit Genitiv" in den Stand einer absolut geltenden Regel, und das ist nichts als Willkür -- und hat mit den kommunikativen Bedürfnissen und ihrer Befriedigung nichts zu tun.

Sprache verändert sich auch noch aus anderen Gründen, nicht nur aus den von mir angedeuteten. Und ebenso wie für den Wandel der Mode (die auch nicht immer funktionaler wird), lassen sich auch für den Sprachwandel keine guten (funktionalen) Gründe nennen, nur einige Pfade aufzeigen, entlang denen er meistens erfolgt. Oft lassen sich tatsächlich funktionale Änderungen beonachten, die aber ihrerseits nur durch vorher erfolgten Sprachwandel nötig wurden. Solche Ketten bilden dann einen unendlichen Regreß.

Die kommunikativen Bedürfnisse sind auch nicht nur auf das Problem der Übermittlung von Gedanken bezogen; der Informationsaustausch steht wahrscheinlich nicht einmal im Mittelpunkt menschlicher Kommunikation, sprachlicher oder nicht-sprachlicher Art.

Ich bin nicht der Ansicht, daß sich das Denken in Sprache vollzieht, habe allerdings keinerlei Belege dafür, nur soviel: Introspektion (ich denke nicht sprachlich, warum sollte es bei anderen anders sein?) und Geschwindigkeit. So schnell, wie wir denken, kann man gar nicht formulieren. Außerdem muß es etwas geben, das formuliert werden kann, also muß der Gedanke seiner sprachlichen Formulierung vorausgehen. Die Vermutungen von Sapir und Whorf, um dem gleich zu begegnen, sind entweder (in ihrer schwachen Auslegung) trivial oder gelten heute (in ihrer starken Auslegung) als falsch.

Die Vermutung, daß es Gedanken gibt, die sich nur in bestimmten Sprachen ausdrücken lassen, ist reizvoll, aber mit Sicherheit falsch (siehe oben). Welche Gedanken sollten das sein, und warum sind sie in Sprache X nicht ausdrückbar? Und wie sollte man dann Sprechern dieser Sprache eine andere Sprache vermitteln können, kraft derer sie dann auch den "undenkbaren" Gedanken denken könnten? Nicht über ihre eigene Sprache als Mittlersprache: Denn der Gedanke ist ja nicht in ihr ausdrückbar. Aber auch nicht über die neue Sprache: Denn alle einfachen Ausdrücke, aus denen sich der komplexe Ausdruck des "undenkbaren" Gedanken zusammensetzt, müssen dafür aufzeigbar sein; ebenso die Regel des letzten Zusammenfügens; und also der Ausdruck selbst. Gäbe es Gedanken, die nur in Sprache A, nicht aber in B gedacht werden können, wären diese Sprachen in bestimmten Ausdrücken nicht ineinander übersetzbar. (Die Übersetzung ist oft schwierig, diese Schwierigkeiten sind aber anderer Natur, und vor allem lassen sie sich intersprachlich erklären.) Die Vermutung, daß es Gedanken gibt, die in überhaupt keiner Sprache ausdrückbar sind, ist davon unberührt.
Köppnick - 2. Mai, 10:03

Ich bin nicht der Ansicht, daß sich das Denken in Sprache vollzieht, habe allerdings keinerlei Belege dafür
Vielleicht taugen die folgenden Dinge als Belege:
Kekule sah den Benzolring beim Aufwachen aus dem Schlaf, Mendelejew das Periodensystem der Elemente. Auch Maler werden ihre Bilder im Kopf haben, bevor sie sie malen, Komponisten werden Töne hören und nicht in Notensprache denken. Aber man übersieht leicht nichtsprachliche Denkprozesse.

In unserem Kopf gibt es nur Neuronen. Was wir als innere Sprache erleben und (häufig mit dem Denken verwechseln) ist das bewusste Abbild der Tätigkeit einer kleinen Anzahl von ihnen im Sprachzentrum. Die Art der Verarbeitung ihrer Signale unterscheidet sich aber in nichts von der aller anderen Neuronen. Die Tätigkeit einiger wird uns bewusst, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf sie fokussieren, anderes bleibt im selben Augenblick vorbewusst, das meiste auf immer unbewusst.

Vielleicht verwechseln wir diese innere Sprache so leicht mit dem Denken, weil wir so häufig nicht sprechen, während die anderen Sinne voll beschäftigt sind, weil wir ja immer sehen, hören, riechen oder schmecken. Das lässt sich nicht so leicht abschalten wie das reden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir, wenn wir reden, keine innere Stimme mehr hören können, weil hier die innere Stimme "durchgeschaltet" ist und ident mit unserer äußeren.

Die Vermutung, daß es Gedanken gibt, die in überhaupt keiner Sprache ausdrückbar sind, ist davon unberührt.
Das führt unmittelbar zum Privatsprachenargument von Wittgenstein. Seine Meinung hier ist eigentlich, dass es keine Privatsprache geben kann, weil Sprache immer der Kommunikation mit anderen dient. Wenn es aber Gedanken gibt, die wir anderen nicht mitteilen können (z.B. Empfindungen, Bilder), dann ist auch das ein Beleg dafür, dass Denken sich nicht in Sprache vollzieht.

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