Mittwoch, 22. November 2006

Greinstraße

vormittag. die bäume streifen den himmel, und das eigene antlitz schwimmt hohlwangig in den pfützen umher. wohin man auch geht. glockengeläut kratzt an den erinnerungen.
und gehen muß man viel, zwischen buch und buch. tastaturengeklimper. aufzüge. und wieder der mittag, schwer, schwankend, kopflastig vornüber geneigt. man dreht einen bleistift träge zwischen den fingern. keine stimmen für gemütlichkeit, ein singen, ein singen. abstoßende sirenen, die der fremde, dem draußen, der weite das entzücken stahlen. bitteres klebt an den illustrierten. feuchtkalt wellt sich das papier auf der toilette. nasse socken, kaltes laminat. spinnengeister erheben sich in den ecken, während der rücken schmerzvoll über der tastatur hängt.
die geschichten verhaken sich.
blut strömt zur leibesmitte, das ist immerhin schöne ablenkung. wärme, wallung, schwellung. um sich selbst kreisen und dabei alte worte wieder auspacken. das klingt wie: es war einmal. gemeint aber ist: so war es. das kann man sich nicht oft genug klarmachen. manchmal vergißt man das jetzt. weil das war nicht mehr gegenwärtig ist.
mich ängstigt die asymmetrie alles lebendigen, aller zeit. die zukunft nimmt stetig ab. die vergangenheit wächst linear. immer mehr gibt es zu erinnern. immer mehr zu wissen. immer mehr zu lernen. irgendwo las ich, daß die kunst des erinnerns in wahrheit eine kunst des gezielten vergessens sei. mit dem alter könne man immer schlechter vergessen. weshalb man immer weniger behielte.
so ist es wohl. alles tritt immer unmittelbarer an einen heran. und bleibt dort hängen. während man geht und geht und geht.
vormittag. und am himmel die zweige … die pfützen sagen nichts. schon gar nicht, wer mein spiegelbild ist.


.
La Tortuga - 22. Nov, 19:21

"mich ängstigt die asymmetrie alles lebendigen, aller zeit."

Genau! Genau das. Letztlich ist das mein Ochsenschwanzsuppenproblem und Deins mit der Sonnencrème, exakt, Du hast nur präziser beobachtet als unsereins. :-) (Ach, könnte ich die Ochsenschwanzsuppe bloss gezielt vergessen...)

Talakallea Thymon - 22. Nov, 20:22

ich erkennen die verwandtschaft im denken und ärgern. nur: was ist denn dein problem mit der ochsenschwanzsuppe? gibt es, wo du lebst, keine metzgereien mehr? kannst du kein rezept ausfindig machen? glaubst du an prionenproteine? habe ich deinen text unaufmerksam gelesen?

La Tortuga - 22. Nov, 22:14

Ach, Bruder, letzteres ganz sicher nicht, zweitletzteres auch nicht. Ich glaube nicht im geringsten an Prionen, ich fürchte, dass die Behörden es tun und deshalb die Suppe aus dem Sortiment verschwand. Um ehrlich zu sein habe ich in Metzgereien nicht nachgefragt. Alles, was über eine Tütensuppe hinausgeht, würde mir zuviel Buchstabenzeit stehlen. Und Gäste stehen meist nicht auf so archaische Gerichte, ich bin der einzige Neanderthaler weit und breit (die Zeit, die Zeit...).
Talakallea Thymon - 22. Nov, 22:36

mit heiterer überraschung nehme ich zur kenntnis, daß es außer mir noch andere menschen gibt, die unseren ausgestorbenen verwandten "neanderthaler" schreiben ...

da ich tütensuppen gerade nicht konsumiere, sondern als ernstzunehmende und des menschen würdige speise sogar ablehne, habe ich das verschwinden nicht bemerkt ... aber es erscheint mir typisch für eine zeit, in der die menschen die verantwortung für ihre gesundheit an die behörden abgetreten haben. ochsenschwanzsuppe ist nicht das einzige, was verschwand ...

La Tortuga - 23. Nov, 15:07

Ausgestorben?! Hey hey! Ich bin (noch) da. Noch ein kleines Weilchen. Und auf dem H bestehe ich mit aller Kraft (danke!).
Meine Gesundheit geht die Behörden natürlich nichts an, ist allerdings auch so am A, dass sich die Lebenserwartung selbst mit Nicht-Tütensuppen nicht ausdehnen lässt. Dann lieber Zeit sparen. Du hast es doch schon erkannt, Menschen sterben nicht an Krankheiten und Unfällen, sondern an der Zeit.
Talakallea Thymon - 23. Nov, 18:39

audehnen läßt sich nichts, schon richtig.

aber gut schmecken darf es schon, wie ich finde.

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