Mittwoch, 14. Juli 2004

Wut

Gestern in der Mensa einer großen deutschen Universität. Ich lege die Jacke ab, ziehe den Stuhl zurück, will mich setzen, da höre ich vom Tischende her eine durchdringende Stimme:

„.… und wißt ihr, was ich besonders gern mache? Wenn ich so’n Fahrradfahrer vor der roten Ampel noch überhole: Gaaaanz rechts ranfahren, daß der dann nicht mehr rechts an mir vorbei bis vor die Haltelinie fahren kann. Und wie die sich dann immer aaaaaauuufregen! Köstlich, sag ich euch, zum Schießen.“

Es ist beschämend, aber es gibt Momente im Leben, wo einem Spucke und Worte gleichermaßen wegbleiben. Man möchte weit ausholen und einfach nur reinschlagen. Keine Diskussion, kein demokratisches Abwägen, keine Toleranz und Freiheit-des-Andersdenkenden, nein. Einfach nur eine reinhauen.

Aber es ging noch weiter:

„Und was mich besonders nervt, das sind die Ommas und Oppas, wenn die Fahrrad fahren. Können nicht einmal mehr laufen, aber dann Fahrrad fahren.“

Ich wünschte mir eine Tonne mit Pech und einen Sack mit Federn. Riskierte einen Blick. 20jähriges Mädel. Fährt fort, mit stolzgeschwellter Brust:

„Also ich bin, seit ich 15 bin, nicht mehr Fahrrad gefahren. Da hatte ich meinen ersten Freund mit Auto.“

Wie praktisch, denke ich. Starre auf meinen Teller. Zähle langsam bis zwanzig. Versuche, an etwas Schönes zu denken, einen Rosenstrauch, eine Nachtigall, ein Morgen am Meer. Aber mir fällt leider nur ein, was man mit Pech und Federn anstellen kann, und wie die Dame am Tischende unter Johlen und Pfeifen sämtlicher anwesender Radfahrer und Mittsechziger aus der Mensa getrieben wird. Es ist in hohem Maße beschämend. Aber so war es nun einmal.

Was wäre hier zu tun gewesen? Gesetzt den Fall, man gehört nicht zu den begnadeten Scharfzungen, denen in solchen Augenblicken etwas wunderbar Bloßstellendes einfällt? Angenommen man gehört zu den ernsthaften, zerquälten, verbissenen Argumentkackern? Was bliebe? Die Person in ein sokratisch-ironisches Gespräch verwickeln und langsam aber sicher demontieren? Aber woher die Gelassenheit nehmen, wenn einem die Hände zittern vor Zorn?

Weinen

Es gibt eine Art von katalytischer Musik, die mich innerhalb kürzester Zeit in Tränen ausbrechen läßt. Nach drei Takten beginnt die Kopfhaut zu prickeln, nach noch einmal drei Takten zieht sich der Hals merkwürdig zusammen, überall rieselt es, die Augen beginnen zu brennen. Und dann der Choreinsatz, die Synkope, die Donnerschläge der Pauken, das schon ersehnte Streichertremolo, die sonnenhaft aufleuchtende Wendung nach Dur: und es packt mich, es schüttelt mich durch und durch. Ich weine. Ausgiebig. Herzhaft. Gelöst.

Era el crepúsculo de la iguana … Es ist so schön, als wäre ein Engel vorbeigegangen und hätte mich, unwürdig-niederes Dasein, berühren wollen. Ich weiß nicht warum, eigentlich klingt diese Musik wie von der Sakro-Pop-Gruppe der katholischen Kirchengemeinde. Warum hat sie auf mich diese Wirkung, diese unglaubliche Kraft? Gestern wieder. Lang aufgestaute Sturzbäche der Erschöpfung, der Anspannung, des Vergeblichseins. Yo no voy a morirme/salgo ahora/en este día lleno de vulcanes/hacia la multitud/hacia la vida

Danach ist es gut.
Ganz bestimmte Musik muß es sein, und meistens klappt es zuverlässig: Brahms, Ein deutsches Requiem, Theodorakis, Canto General, Verdi, Requiem, „Dies Irae“ (ja, ich weiß. Trotzdem.), Mozart, Klavierkonzert A-Dur, 2. Satz, Brahms, Klavierkonzert Nr. 1, d-Moll, 2. Satz. Und anderes, von dem ich es vielleicht noch nicht weiß. Ist es beschämend, weil ich so eine Erlösung manchmal brauche und mir nicht anders zu helfen weiß, als es durch ein paar billige Töne herbeizuführen?

VOCES INTIMAE

... for we have some flax-golden tales to spin. come in! come in!

Kommt herein, hier sind auch Götter ...

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