die geburtstagsfeiern, damit man die worte nicht vergißt.
die straßenbahnen, damit man die blicke nicht vergißt.
die blicke, damit man das verlangen nicht vergißt.
die nächte, damit man den mond nicht vergißt.
die uhren, damit man den tod nicht vergißt.
das schreiben, damit man die unsterblichkeit nicht vergißt.
>>supra
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von:
Talakallea Thymon - am: 3. Mai, 10:48 - in: Victrix Atalanta corona
erwacht aus tiefstem schlaf.
zwischen den stimmen im hof und dem radiosprecher von heute keine erinnerung. ich weiß noch, daß ich das fenster zuschmiß, verärgert über das palaver von unten, das in den schon beginnenden schlummer hineingewachsen war und mich wieder emporgetragen hatte. ich weiß noch, daß ich mich ärgerte. als ich abermals erwachte, war es schon hell, und die luft im zimmer stickig.
nicht einmal in meinem eigenen heim mehr geschützt und sicher. erst die invasion der mofa-jungs, die nun schon seit über einem jahr den hof besetzt halten mit ihrem motorgedröhn, dem alarmanlagengepfeife, dem werkzeugklirren, dem rufen, dem lachen, dem pfeifen, ja schon die schritte stören mich. dann die waisenkinder von gegenüber, die sonntags früh im sommer etwas, das sie vermutlich als musik bezeichnen würden, mit stillschweigender billigung der heimaufsicht aus den offenen fenstern quellen lassen, so laut, daß auch ein geschlossenes fenster keinen schutz bietet, und wer will schon an einem sommermorgen das fenster schließen? die waisenmädels nicht. ich auch nicht, aber ich verbreite ja auch keinen lärm. und nun kommt man auch noch überein, daß der hof sich trefflich eignet, um daselbst nachts zu plaudern und sich dem drogenkonsum zu widmen; der zigarettenqualm drang bis in mein zimmer. ich weiß ich weiß. manche menschen haben um 21 uhr feierabend. ich aber nicht. ich liege zu der zeit schon im bett und gehe hoffentlich bald darauf schlafen.
gibt es eigentlich noch menschen, die die heilige STILLE zu schätzen wissen? oder sind sich mittlerweile alle einig, daß allerorts nur noch der geschäftige LÄRM zu herrschen habe?
immerhin bin ich so früh dran, daß werktags nicht schon beim kaffe unerwünschte geräusche auf mich einprasseln. lange geht das aber nicht so, und gerade jetzt, wo ich noch nicht wieder fahrrad fahre, beginnt das martyrium schon lange, bevor ich im zug sitze. was treibt eigentlich einen menschen dazu, sich morgens um halb acht, unausgeschlafen und einen langen, ermüdenden tag vor sich, einen höllenlärm mittels eigens dafür ersonnener kopfhörer in den gehörgang zu hämmern? es wäre mir ja egal, aber das geprassel ist leider im ganzen bus hörbar und ausgesprochen nervtötend. tut mir leid, daß ich nicht so viel widerstandskraft habe wie dieser junge mann neben mir und mich schon durch das vergleichsweise leise rauschen aus der fassung bringen lasse. aber ich kann nicht aus meiner haut.
obwohl ich die dinger selbst benutze, verfluche ich ihre erfindung; streichholzschachtelformat und -gewicht, speicherkapazität von mehreren stunden musik und ebensogroße batterieleistung haben dazu geführt, daß pro zug, bus oder straßenbahnwagen drei bis fünf der dinger anzutreffen sind. alle in betrieb, versteht sich. ein abflauen dieser tendenz ist nicht zu erwarten. umsonst hoffte ich schon ende der neunziger jahre bei den mobiltelephonen. die sich leider auch nicht als bloße modeerscheinung entpuppten. einmal nahm ich meinen eigenen kopfhörer aus dem ohr und legte das ding neben mich. es war kein laut zu vernehmen. wie machen das die anderen?
und so geht es weiter. gebimmel, gefiepe und neuerdings auch regelrecht musik (oder was die urheber so nennen würden) aus mobilfunkgeräten, getute aus spielcomputern, autolärm und mp3-spieler sind nur einige beispiele für eine um sich greifende verlärmung des öffentlichen und nun auch des privaten raums, die dazu führt, daß ich mich zunehmend vertrieben fühle aus einem (imaginären?) paradies der stille.
von:
Talakallea Thymon - am: 3. Mai, 10:48 - in: O tempora, o mores!