Mittwoch, 14. Juni 2006

Das Opfer (2)

plötzlich ein Schimmern von poliertem stein.

über bemooste felsen war er mühsam gestolpert, weitab vom hauptweg, war geklettert über vermodernde stämme, halbvereisten tümpeln ausgewichen, auf schlüpfrigem grund mehrfach augeglitten, hatte sich das gesicht im unterholz zerkratzt, wollte die abkürzung schon drangeben und umkehren, als plötzlich, emporgewachsen aus fichtenreisig und bräunlich verkrümmtem farn, sich vor seinem blick ein geglätteter stein erhob. es war ein schmuckloser, scharfkantiger quader mit sanft schimmernden flächen, etwa tischhoch und etwas kürzer als ein mensch hochgewachsen ist, oben in einer vorspringenden, glatten platte abschließend. die kanten waren scharf geschnitten und ebenmäßig; die flächen eben; nur der untere rand, wo das moos begann, wölbte sich etwas vor und bildete einen abschließenden reif, der den sockel vollständig einfaßte.
überlaut knackte das reisig unter den stiefeln, als er um das gebilde herumspähte, noch einen schritt, noch einen schritt, und der grund zu kippen schien, sich aufzurichten schien gegen seinen schritt. dann stand er auf der andern seite, und die wipfel der fichten schwangen wild herum in einer plötzlichen bö. die andere seite des steins war ebenso glatt und schimmernd poliert. sonnenlicht stürzte hinter den wolken heraus, über ihn hinweg, zwischen die stämme und auf dem altar vor ihm lag sein schatten. auf der wie saubergewischt glänzenden, einem opfertisch nicht unähnlichen platte war etwas, wie ein fleck, eine störung: er trat näher: dort eingegraben in der mitte, im sonnenlicht dunkel hervortretend, ein merkwürdiges gebilde, das er nicht zu deuten verstand, der einzige schmuck: etwas rundes, molluskenhaft gewundenes wie eine muschel oder eine schnecke hob sich halb aus dem stein und war halb in ihn eingelassen, der obere rand emporgewölbt und leicht eingeschlagen, im umlauf flacher und unten in einem füßchen oder läppchen auslaufend. er berührte die rundung, fuhr den windungen nach, tastete mit dem finger in die mulde, in die im gegenlauf der äußere wulst spiralförmig hineinleitete; näherte sein gesicht bis auf eine handspanne; wurde nicht schlau daraus, ließ ab, trat einen schritt zurück. er hob den arm, winkte und wiegte den oberköper ein wenig hin und her. sein schatten auf dem stein tat es ihm nach, griff sich an den kopf, krümmte sich wie in plötzlichem schmerz, stand wieder zögernd aufrecht. er wollte noch einmal ganz um den altar herumgehen, als ihn ein unbehagen beschlich. etwas kribbelte plötzlich an seinem rechten ohr, daß er heftig daran kratzen mußte. rasch wandte er sich ab und verließ den ort. unterholz knackte, die kleidung raschelte vernehmlich im auf und ab der schritte, sein atem rauschte. nach ein paar schritten ertrug ers nicht mehr und drehte sich um: da schimmerte der stein unter den fichten in schwachem widergeleucht; mittig lag immer noch ein schatten, der, von einem baum geworfen, leicht hin- und herschwang. dann erlosch die sonne und mit ihr der schatten; der stein trat ins zwielicht zurück, wo er sich auflöste und eins wurde mit dickicht und dämmerung.

erst als er wieder auf dem hauptweg angelangt war, hatte er aufgeatmet. Kurze zeit später war er auf die hütte gestoßen; da hatte es schon zu dämmern begonnen.



(3)
(1)

Atalante (11)

warum sollte ich
noch essen, wenn ich doch
von deinen blicken
dicke stücke speisen kann

warum sollte ich
noch trinken, wenn ich doch
von deinen lippen
süße schlucke nehmen kann

warum sollte ich
noch ruhen, wenn doch
statt der träume du
mit meiner seele spielst

und wenn ich dich doch –

wie ging noch mal atmen?

>>supra

<<infra

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