Sonntag, 18. Juni 2006

Atalante (12)

Aha, unterwegs bist du also. Und ich warte eigens lange, zerquäle meine Nagelhaut, lese jeden Satz dreimal, dusche, trinke Wasser, warte und warte, um nur ja nicht anzurufen, ehe du vom laufen zurückbist; und nun habe ich angerufen, und du bist schon wieder weg? Wie kann das denn sein? Du warst zwei Stunden laufen und bist schon wieder unterwegs? Deine Kraft möchte ich haben, Atalante … wenn ich zwei Stunden laufen war, lege ich mich erstmal schlafen. Hat das mit dem Älterwerden zu tun? Sehe ich jetzt Gespenster? Und warum hast du nicht zurückgerufen? Warum bin ich dir nicht einmal eine Erkundigung wert? Klar, du hattest es eilig, um zu deinen Vergnügungen zu kommen. Vergnügungen, pah! Ich habe keine Vergnügungen mehr, seit ich – und du? Du bist schon wieder fort. Und warst schon den ganzen Tag nicht zu erreichen, bist auch schon letztes Wochenende nicht zu erreichen gewesen, Samstag nicht, Sonntag nicht, zwei lange Tage nie da. Beschäftigt. Unterwegs. Tätig. Und bestimmt nicht allein. Während ich zu Hause hocke, letztes Wochenende, und dieses Wochenende, und, wenn ich nachdenke, überhaupt jedes Wochenende, seit ich weiß nicht wie lange; während ich, oh die Erbärmlichkeit! Allein ins Kino gehe, damit die Zeit schneller verrinnt … Du bist fort und amüsierst dich sicher prächtig, so gut, tatsächlich, daß du vorsorglich das Mobiltelephon stumm geschaltet hast. Macht man das, wenn man sich über einen Anruf gefreut hat und vielleicht hofft, daß der andere es mobil versuchen wird? Nein, macht man nicht. Unterwegs bist du, sagt man mir, unterwegs, wie auch schon die letzten Male, wo ich schier den Verstand verlor über der Unmöglichkeit, dich sprechen zu können. Unterwegs letztes Wochenende und unterwegs dieses Wochenende, während ich zwei Tage lang hier in meiner Wohnung sitze, die Stunden durch die Finger gleiten lasse, allein und überhaupt nicht unterwegs, und überhaupt nicht amüsiert Minuten abzählend an Fingern und Zehen. Allein und allein und allein, so allein, wie ich es nie war, ehe ich dich … so allein, daß darüber die Zeit zu einem zähen Brei wird, ein Löffelchen für den Opa, ein Gäbelchen für die Oma … Dein Leben ist so voll, scheint mir, von Menschen und Ereignissen, so reich und bunt, und meins ist leer, und da habe ich gehofft, du könntest diese Leere füllen. Was für eine Täuschung. Und zu meinen, ich könnte für dich jemand sein, der dir etwas bedeutet. Der dir etwas zu geben vermöchte, daß dir fehlt. Aber dir fehlst ja nichts, Atalante, und schon gar nicht ich. Du brauchst nichts, Atalante. Es gibt, habe ich vor Jahren begriffen, nur zwei Arten von Menschen. Die einen rufen an, die anderen werden angerufen. Du gehörst zu denen, die angerufen werden. Daß ich dir begegnen mußte!

Und selbst, wenn du dich mit mir abgeben würdest: Ich könnte dir ja nicht folgen. Ich würde mir die Abende nicht beschäftigt mit dir vorstellen, sondern zu zweit und zuhause. In diesem vielbeschäftigten, bunten Leben, das du zu führen scheinst, würde ich dich ja doch nur stören, denke ich mit Wehmut im Herzen, die dort gleich neben der Bitternis wächst.

In dein riesengroßes Leben würde ich ja gar nicht hineinpassen.

>>supra

<<infra

.
TheSource - 19. Jun, 08:02

Haben Sie schon

einmal daran gedacht, aus dieser Serie die Ich-Erzähler-Form herauszunehmen? M. E. gäbe es dem Text, dem Erzählfluß, mehr Dichte - durch mehr Abstand. Er läuft hier und da ein wenig Gefahr, in einen endogenen Pathos zu ufern und verliert dann seinen Zauber.

Talakallea Thymon - 19. Jun, 09:12

nein

habe ich nicht. das hier ist -- soll ich sagen: leider? -- kein literarisches projekt, sondern persönlicher jammer. ich kann keinen abstand im text erzeugen, weil ich ihn selbst nicht habe. wenn der text aus diesem grund hier und da ins pathetische umschlagen sollte, nun, dann sei es eben so. dann empfinde ich eben auf pathetische weise.
TheSource - 19. Jun, 12:00

Die Bewertung

Ihrer Empfindungen liegt mir nun wirklich fern. Persönlich kenne ich die Schwierigkeit mit Texten, die (derzeit) Durchlebtes natürlich auch. Vielleicht mögen Sie das zu einem späteren Zeitpunkt überarbeiten. Aus Erfahrung weiß ich, dass im Grunde jede Situation - auch und vor allem die zutiefst als eigen empfundene - Studie sein kann und IST für die getriebene Feder.
Talakallea Thymon - 19. Jun, 12:22

@TheSource: So habe ich Ihren kommentar auch gar nicht verstanden ... ich wollte nur dem möglichen mißverständnis vorbeugen, dies sei hier eine fictionale spielwiese. (gibt es hier auch, dann aber unter "verspieltes").

@Elsa: Ich freue mich über dein lob, allein: von optimum möchte ich nicht sprechen. so etwas kann man erst viel viel später beurteilen, wie ich finde. außerdem lähmt mich ein solches lob immer ein bißchen, weil es die furcht auslöst, geweckte erwartungen seitens der leser und leserinnen nicht noch einmal erfüllen zu können.
also: wenn es gefällt, besser schweigend genießen. danke.

@bvl: willkommen auf meinem blog. für die etikettierung mit "lit" zeichne ich insofern nicht verantwortlich, als ich daran keine vorgaben für mein schreiben sehen will; an eine solche freiheit habe ich auch meine teilnahme damals geknüpft.
aber es steht ihnen ja völlig frei, meine texte als rein literarische, von biographischem völlig freie gebilde zu lesen, wenn es ihnen so mehr freude bereitet.
(später) ok, hat sich erledigt. ich fände es allerdings wünschenswert, wenn man keine rückzieher machte ...

bvl - 19. Jun, 17:30

die mache ich

aus prinzip nie. mein kommentar war antwort auf elsas kommentar und anhaengendes verschwindet immer mit loeschung dessen worauf es sich bezieht. ich fuer meinen teil habe nichts geloescht.

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