Handke lesen
In all dem banalen Geschrei, dem lieblos dahergequatschten Wortbrei, dem ausgetretenen, albernen Geschwätz, das einem tagtäglich aus Titelseiten, Überschriften, Zeitungsspendern, Werbeprospekten hervorquillt, aus dem Radio, dem Fernseher entgegenbrüllt, aus der Supermarktbeschallungsanlage tönt, quietscht, albert, in all diesem zum Davonlaufen vergnüglichen, lustigen, vor Ödnis überschnappenden Gewäsch, Geleier, Getröte, Gequieke ist ein Buch wie Handkes Mein Jahr in der Niemandsbucht eine herzwärmende Linderung. Mit vor Überraschung ungläubigem Staunen, ja, Ehrfurcht folgt man dieser so feinen leisen, vielverzweigten, tönenden, summenden, schauenden, schöpfenden leuchtenden, irisierenden Prosa, oder müßte sie so lesen, wie sie dort farbig und erdwarm aufschimmert, mit einem tiefen Atemholen. Ein Raum der Stille tut sich auf, in dem man statt Gewäsch plötzlich wieder Wörter hören darf und jedem Wort und seinen Beziehungen zu den anderen Wörtern die ihm eigene Schwere zufließt; Ausstrahlung, Verästelungen, Wirbel und Bögen werden zwischen diesen Kristallisationskeimen von Bedeutung ertast- und ablauschbar, ein Raum entsteht, der die Wörter erst zu Wörtern macht, sie von allem Gerummse und Mißton befreit, sie abschält und bis zu den Wurzeln herunter freilegt, und so verwandeln sie sich, Urwörter, Gesteinswörter, Erdwörter entstehen so, die sich in einem ruhigen Strom, einer Anrufung gleich, einer Liturgie fast, zu einem ebenso mächtigen wie ruhigen Strom nicht aneinanderreihen, sondern: aneinanderfügen. So etwas zu lesen ist wie eine kühle Salbe auf wundgescheuerter Haut. Eine Oase in der Sprachwüste. Ein Klang. Eine Offenbarung. Ein Trost.