anfangs strudelte hitze um die beine und sprang aus dem kraut in die wege, sonnenlicht drang auf die stirnen und ermattete die lider, so ging man sparsam und leise, redete viel („hat wohnen einen imperativ?“ „warum tun sich so viele mit latein so schwer?“), aß himbeeren, die wie kleine geschmackssonnen über schattengesträuch schwebten, ließ sich endlich in baumesschatten nieder, still streckte sich der see, eingesunken in sein bett.
(haben seen betten?)
während jedoch schon am himmel sich einiges heimliches streuwolkiges beisammenfand zu grauweißem spiel. bevor es dort ernst wurde, gab es aber nach einigem auf und ab und grünen schatten und über allerlei pferdeäpfel hinweggeschritten, wiesen rechts und links, und immer mal wieder kalkweiß der stille stausee: bergische kaffeetafel.
gesättigt, verklebt von soviel kirsche und eis und zuckriger waffel, nahm man den weg wieder auf, verirrte sich auf der flucht vor der straße, sah pferde unter bremsenstichen leiden, ärgerte sich mal wieder über schokoladenpreise; dann, schon auf abwegen, tat man das einzig vernünftige, nahm denselben weg zurück, den man gekommen, und da hatte es schon zu nieseln begonnen.
viele pferdeäpfel später hatte sich das laubdach der buchen vollgesogen und der regen pladderte mittlerweile munter. das hemd klebte, plitschtropen trafen braue, nacken, ohr, glatze, der weg vermatschte, die pferdeäpfel fielen auseinander. die pferde freuten sich, denn das geschmeiß suchte schutz und war gar nicht mehr zum stechen aufgelegt.
„nicht so schnell, nicht so schnell“, tönte es hinter mir, doch der regen trieb die beinchen von alleine an in richtung parkplatz. am schluß noch brillenloses ausweichen grell aufleuchtend entgegenkommender fahrzeuge, denn zuletzt blieb nur die straße.
in köln deutz angekommen war man fast schon wieder trocken.
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Talakallea Thymon - am: 25. Jul, 11:26 - in: Werke & Tage
der abend freut sich schon auf deine küsse. Um den weiher wogte riedgras schon die ganze mondnacht hin und vorüber, und immer schnabelvoll enten weiterfort, plapperten zu ihresgleichen weggesponnen. da hab ich gewartet einen sternenschein lang. heiser fragt später der morgen, ob du schon gehen mußt. dann vergrabe ich wieder das antlitz im laub. zurückgewiesen deckenwärts zahnt es mir im munde schmerzvoll, ragt sperriges am türangelquietschen vorbei. ach, deine schönheiten sammeln sich zu fliehenden scharen, wenn meine hand nach dir greifen will, ein vogelruf ertönt, und so sind sie davon und haben das mittagslicht zersprengt. es bleibt ein hauch schweiß unter den geschlossenen lidern. es bleibt der abend, der sich auf dich freut.
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Talakallea Thymon - am: 22. Jul, 11:27 - in: Dem geschah auch Lieb durch Liebe nie
im wind, der gestern die fäuste ballte gegen baumeswiderstände, häuserzeilen und augenwimpern, wisperte es schon, wisperten schon die bekannten stimmen. noch ist alles sehr hell; wieder ist die zeit des verschlafenen lichts, des sturms. die städte haben sich gelehrt, die pflichten sind getan, die arbeit ruht, und mit ihr des sommers grelle und lauthalsigkeit. der letzte buchfink ist dem gedächtnis schon entschlüpft und hat die leichtigkeiten und sprühseligkeiten, das fruchtgedüft eines heranbrausenden sommers mitgenommen und eingetauscht gegen das grübeln eines stehenden. die linden haben die süße zusammengerollt und weggenußt, und nun bleibt: des sommers schwere, das schweigen des lichts und das reden des windes, die matten straßen und das warten auf ernte und frucht.
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Talakallea Thymon - am: 21. Jul, 11:40 - in: Werke & Tage
was ihn wieder einmal am meisten befriedigt: (vermutlich) besser gewesen zu sein als die anderen. am meisten freut ihn nicht, daß seine übersetzung stilistisch und grammatikalisch einwandfrei und vielleicht sogar elegant ist; nicht, daß er alle vokabeln, wenn nicht gewußt, so doch richtig geraten hat; nicht, daß ihm keine konstruktion durch die lappen gegangen ist, nein:
er war besser als die anderen, das ist es.
"ganz schön abscheulich", grinst er bei sich.
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Talakallea Thymon - am: 19. Jul, 16:41 - in: Werke & Tage
Die luft so schal und schwer und unbeweglich, als hätte sie ein riese schon einmal geatmet. keine flugbahn erlaubt das stille brüten, keinen vogellaut. schweiß bricht unvermutet aus und füllt den raum zwischen stoff und haut mit poriger klebrigkeit. magenzusammenziehungen künden schwerstarbeit an, greifen voraus auf leere blätter, nehmen sich schonmal siegel und linierung vor. die mauern fenstern grimmig, augenhinterlos, als sei schon über jede zukunft das los geworfen. über den bahnsteig hin wölkt es von schimmernden vokabeln. an den zeigern der uhren versammeln sich seitenzahlen.
die schritte fallen auf einen termin zu. unbesehen kräuselt sich das blut.
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Talakallea Thymon - am: 19. Jul, 09:00 - in: Werke & Tage
so viel tagessteine und jahresringe ich mir auch angehäuft hab, zum blumenstolz meiner fußspuren, ich kann die stimmen, die
sirenenstimmen
nicht niederleben. doch auch das bescheidene wachs ist mir gällig, das machen, das machten andere zuhauf zuunwerthauf, das ist nicht meins, lieber, ja, lieber zerschellen und stolzes unglück tragen wie ein prachtgewand.
hab mich doch einst, wiedergekehrt aus der stadt am ende des jahrtausends, nach leidendem mute benamst. nun will ichs dulden.
immer mehr himmel fahren sich auf, und sind immer fremdere himmel. ich kehre zu den fernen inseln zurück, unerreichbar wie je, kythera, thule, ogygia, doch nun tragen sie andere masken vor den lieblichen gestaden. ich kenn sie ja gar nicht. selbst die phantome wechseln das antlitz. frei zu sein glaubte ich. nun hat mir ein dieb nächtens die träume gestohlen, sie weitergeschenkt, vergraben, in göttereschen gehängt, nun bin ich ohne sie frei. bin so schrecklich frei, daß ich gehen kann, wohinimmer ich will. ich schmecke den pollen, ich sehe die weite, ich verachte das wetter, ich stemme die wolken, ich höre die stimmen, neue und neue, ich muß es dulden.
auf dem weinfarbenen meer.
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Talakallea Thymon - am: 14. Jul, 11:45 - in: stundenbuch
mir geht auf, daß mir das von mir am besten gefällt, das mich selbst überrascht. so, als wäre es von jemand anderem. ohne jedoch nachahmung zu sein. so, als spräche durch meinen mund eine andere person. vielleicht ist es ja das gefühl, zu dessen erklärung die alten die musen bemühten.
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Talakallea Thymon - am: 14. Jul, 11:44 - in: Tagewerke
Elektra weiß nicht, daß der fremde Mann ihr Bruder ist.
Der Fremde ist Orest.
Also weiß Elektra nicht, daß Orest ihr Bruder ist.
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Talakallea Thymon - am: 12. Jul, 11:47 - in: verspieltes
Da liegst du so reizend und schöngliedrig um die grüne Decke gewickelt zwischen Sonne und Sonne, duftend und Müdigkeit ausseufzend, und ich, ich muß schon gehen, mich entwinden, raus in die müde Straße, ins Licht, unter die Menschen. Das ist nicht gerecht. Gerecht wäre, die Tür gegen den Lärm zu verriegeln, einen Blumenteppich aus Winzigküssen über dich zu breiten, einen kühlen Hauch auch, Zwiesprache mit deiner Haut zu halten und alle Zeit des Morgens deinem Wachwerden zu schenken.
von:
Talakallea Thymon - am: 11. Jul, 11:49 - in: Dem geschah auch Lieb durch Liebe nie
Die Tage werden kürzer, die Pfützen dunkler, die Buchfinken verstummen einer nach dem anderen, und der Himmel ist fliehend und hoch: Aufgestiegen aus den Tiefen der Dämmerung stürzt nun der Sommer dahin. Noch merkt man den Tagen ihr Schwinden nicht an, und daß die Buchfinken schweigen, fällt lange nicht auf, bis der letzte still geworden ist. Aber die Straßenbahnen schrillen langsamer um die Kurve, das Morgenlicht tastet sich träger als gestern über die Scheiben, die Menschen sind müde oder haben die Stadt vor Tagen verlassen. Das Leben ist anderswo in diesen seltsamen Hochsommerwochen, ist an Stränden, auf Inseln, auf Berggipfeln, im Eis. In der Fremde, während Haus, Hof, Straße und Café vom hektischen Frühling träumen.
Es ist merkwürdig: Das, was eine reiche und volle Zeit später ausmacht, ist gar nicht der Höhepunkt, sondern das Mehrwerden, das Wachsen, ein Noch-nicht voller Verheißung. So wie die Verheißung stets mehr ist als ihre eigene Erfüllung.
von:
Talakallea Thymon - am: 11. Jul, 11:48 - in: Werke & Tage
Das war so seufzschön gestern, daß mir die finger sprachlos jetzt über der tastatur hängen und in ihre eigenen erinnerungen an gefühltes und erfühltes und angefühltes versponnen sind ... deine wunderbare haut ....
Ach, und nun muß ich los zur kühlen abstraktheit nicht mehr gesprochener sprachen .....
von:
Talakallea Thymon - am: 8. Jul, 11:51 - in: Dem geschah auch Lieb durch Liebe nie
will es auch selbst so sehr ... und hab doch eine angst davor wie noch nie. daß mir mein herz davonlaufen will, wenn ich dran denke. die hände sind mürbes laub. die füße aus lehm. die lippen voll trockenem sand.
von:
Talakallea Thymon - am: 8. Jul, 11:50 - in: Dem geschah auch Lieb durch Liebe nie
Oh, er sah es genau vor sich, während sein Mund trocken wurde und andernorts an seinem Körper sich Leben zu regen begann, sah es genau.
So: Sie würde sich offenhalten, daß er besser drankäme, würde die Farne teilen, den Teich mit Tau ihm hinhalten, gefüllt bis an die obersten zarten Böschungen; mit beiden Händen griffe sie von unten her um die gewinkelten Dünen, mit den Fingern zöge sie die Petalen auseinander, daß sie sacht klaffen würde; ein Taufädchen würde sich von Gefältel zu Gefältel über Mulde, Rinne und Senke spannen, zittern, dünner werden, schließlich träge reißen, und die Öffnung würde seufzend zucken, wenn die Bananenspitze kühl und gierig ihre Wärme berührte.
Knatschen war ihr Wort für das Geräusch, das entstünde. Er nannte es schmatzen.
von:
Talakallea Thymon - am: 7. Jul, 11:51 - in: Dem geschah auch Lieb durch Liebe nie
Das Problem der späten Dichter: Es ist schon zuviel gedichtet worden. Glücklich, wer, am Beginn stehend, den ganzen ungehobenen Schatz der Sprache, das Riesenkaleidoskop des noch nicht Ausgesprochenen, Schlummernden, Verfügbaren überblickend, seine Geliebte noch mit einer Rose vergleichen durfte. Was müssen das für Zeiten der Frische und des Beginns gewesen sein, wo ein solcher Vergleich unerhört und aufregend und betörend war. Was bleibt uns denn noch? Bemühen müssen wir uns, zusammenkratzen, weitherholen, erkünsteln. Zu retten ist nichts. Wir sitzen auf einem schwindenden, allzu lang schon der Plünderung anheimgegebenen Hort.
Da ist zum Beispiel dieses, das vielleicht damals, vor 2000 Jahren, auch schon nicht mehr taufrisch war …
alta prius retro labentur flumina ponto,
annus et inversas duxerit ante vices,
quam tua sub nostro mutetur pectore cura:
„eher die hohen Flüsse zurück in die See werden strömen,
wechselnder Jahreszeit eher sich kehren der Lauf,
als daß in meiner Brust sich die Lieb für dich würde wandeln.“
Tja, mein lieber Drafi, so alt ist dieser lyrische Gedanke schon. Mindestens.
von:
Talakallea Thymon - am: 5. Jul, 11:53 - in: egregie dicta
Grauenhafte Träume haben mich heute Nacht heimgesucht, und dann polterte auch noch ein Gewitter los. Schon wieder katastrophische Ereignisse, Leichenberge, kreischende Frauen -- gräßlich. Entwand mich nur mit größter Mühe, strampelte viel, ehe ich schließlich wieder wußte, wer ich bin, und wo ich mich befand. Da war es draußen still, so entsetzlich still, daß mich wieder Angst anschwemmte. Als wäre tatsächlich alles tot, und draußen lägen nur noch zugerichtet die entseelten Leiber. So still! Vielleicht, da es gerade zwei Uhr war, eine Stunde, die ich sonst glücklich verschlafe. Kein Vogel. Kein Motorenlärm. Keine Schritte im Hof. Nur stummes Geflacker, das irgendwo in den Fernen geisterhaft blitzte und wieder erlosch, und der Hof erhellte sich und sank wieder ins Dunkel hinab. Die Schreie aus dem Traum hallten noch nach, die Bilder eines gesunkenen Schiffes, blitzhaft aufleuchtende und wieder von Wasserschwärze verhängte Anblicke von Gegenständen, die vielleicht Leichen waren. Ein Gang, eine Grube, ein Schacht? Zuletzt, kurz vor dem Erwachen, ein Bahnhof, auch hier viele Tote, halbversteckt, lagen da schon lange. Wir beide mußten ans Ende eines Bahnsteigs, um dort Bier abzufüllen, doch dazu mußten wir an den Kadavern vorbei, und ... ich konnte nicht, konnte nicht. Aber es war doch meine Pflicht! Alle hatten es getan, und es gab keinen Weg, es nicht selbst auch zu tun, überall war die Erwartung, daß ich es tun müßte, daß ich mich nicht dieser Aufgabe, die alle andren auch auf sich genommen hatten, entziehen könnte. Aber alles in mir wehrte sich. Schon vermeinte ich, daß es nach süßlicher Verwesung röche -- da erwachte ich strampelnd zu Fremdzimmerwänden, Stille und Wetterleuchten.
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Talakallea Thymon - am: 29. Jun, 09:30 - in: Werke & Tage
Meines Großvaters Tod – irgendwie scheint das Ereignis tiefere Spuren gegraben, tiefer in mich gegriffen zu haben, als mir zunächst bewußt war. Die Träume zeigen es mir, Blasen, die aus den Tiefen des Schlafs emporsteigen und an der Grenze zum Wachsein Bilder ausschütten, die wieder zurück in die Wirren der Tiefe weisen.
Ich halte nichts von der Vorstellung des einschneidenden, gar prägenden Erlebnisses. Halte es für romantisch und für ein literarisches Konstrukt. Etwas, das man im Englischunterricht als story of initiation durchkaut. Oftmals, so will es mir scheinen, ist man erschüttert, bewegt, verändert, allein aus dem Grund, daß man glaubt, es jetzt sein zu müssen. Es ist die Rolle, die man zu spielen hat. Wieviel davon ist echte Erschütterung, vorliterarisch, vorbildlos, musterlos? Dennoch ist da etwas – benennen kann ichs nicht – das mich unmerklich durchfurcht hat, auf eine Weise, daß es sich, zunächst unerkannt, langsam und im Kleinen äußert, gleichsam nur als Zeichen, daß etwas Grundlegendes anders geworden ist. Einesteils zeigt sich das in den Träumen; dann hab ich aber auch viel von meiner (vielleicht auch nur eingebildeten) Gelassenheit verloren, jener Gelassenheit, die glaubte, der Tod könne nicht schrecken. Aber der Tod, so wie er sich nun mir gezeigt hat, ist widerlich. Nicht unheimlich, sondern in dem, wie er sich äußert, furchterregend, weil abstoßend. Die faßbare Realität, nicht jenes Unfaßbare, daß eine Welt in der Welt plötzlich fehlt, und wies wohl sein kann, daß sie fehlt. Das ist es nicht. Faßbar: die wächserne Haut, die kalte Leblosigkeit unter dem berührenden Finger, der halboffen starrende Mund. Unter den Ohrläppchen war schon Blut bläulich zusammengelaufen. Die Stirn lag gläsern und hart ins Kissen gesunken. Die Hände hatte man ihm, ihn Anzielung einer vornehmen Haltung, eine über der anderen auf der Brust zusammengetan. Vornehm indes wars nicht, sie starrten in Nichtbewegung und leerem Greifen wie Vogelkrallen. Es war überhaupt nichts Edles daran, nichts Weihevolles, nichts Hohes. Das da war ein toter Leib, dessen Verfall im Augenblick, da das Herz still blieb, schon eingesetzt hatte.
Man sagt immer, es ist wichtig, Abschied zu nehmen, indem man den Toten zu berührt, wichtig, sich davon zu überzeugen, daß er wirklich tot und fort ist, und dieses Fortsein mit den Händen zu begreifen. Daher glaubte ich, es tun zu müssen, und ich berührte meines Großvaters kalten Leib. Das war ein Fehler. Ich hätte ihn niemals berühren, ich hätte ihn nicht einmal sehen sollen. Vielleicht blieben dann auch die Träume aus. Und das Bedürfnis nach einer letzten Berührung, die ja doch ihn, meinen Großvater, gar nicht mehr hat erreichen können, diese Bedürfnis hatte ich ohnedies nicht gehabt. Am liebsten wäre ich im Auto sitzengeblieben. Mein letztes Bild von ihm wäre nicht seine glasharte Stirn, wäre nicht der offene Mund gewesen, sondern seine genießerisch geschlossenen Augen, als ich ihm das letzte Mal beim Rasieren half. So aber werde ich jetzt dieses andere Gesicht, das gar nicht mehr seins ist, nicht mehr los. Kaum in der Wohnung meiner Großmutter angekommen tat ich etwas, wofür ich mich zwar schämte, das mir aber ein furchtbares Bedürfnis war: Ich wusch mir die Hände, wo ich den Toten berührt hatte, wusch sie mir gründlich, mehrmals, mit warmem Wasser und Seife, wusch mir die Todesbegegnung, wusch mir eine Befleckung vom Leib. Ein gräßliches, schwarzes Berührtsein wollte ich von mir abtun, das mir aber innerlich blieb, auch wenn die Hände nach Seife dufteten.
Ich träume jetzt zum dritten mal dasselbe. Er ist gar nicht tot, er kommt putzmunter zur Tür herein. Es ist ein Augenblick schreckhaften Atemanhaltens. Was passiert nun, wie geht es jetzt weiter, was wird jetzt geschehen –? Ich empfinde keine Freude, ich habe Angst. Nicht weil das da ein Gespenst sein könnte. Es ist die Angst vor etwas Monströsem, das sich da abspielt, etwas Widernatürlichem. Ich begrüße ihn nicht, ich scheue ihn. Ich frage mich, was meine Mutter, meine Großmutter sagen, tun, denken werden. In den Träumen sind sie nur Statisten. Ich erfahre nie, wie sie reagieren. Manchmal bin ich der einzige und erste, der ihn sieht und begreift, daß er zurück ist, an mir ist es dann, zu reagieren, zu handeln, die anderen zu holen, aber mir graut davor, so ungeheuerlich ist es. Mein Großvater ist bester Laune, erfreut sich guter Gesundheit, strahlt Lebenskraft aus, ist viel jünger: In dem einen Traum hatte er glänzend schwarzes Haar. Aber er spricht auch nicht mit mir. Im jüngsten dieser Träume begab er sich wieder nach draußen, vor die Tür der großelterlichen Wohnung. Die Tür schloß sich. Etwas polterte. Jemand wollte nachsehen, doch eine Stimme hielt ihn oder sie zurück, eine Traumstimme, die sagte, geh da nicht raus, sieh es dir nicht an, jetzt hat er seine tatsächliche Gestalt wieder.
Grauenvoll. Das Bildnis des Dorian Grey, sozusagen.
Die Träume sind eines. Etwas anderes ist, daß sich die Welt gewandelt hat. Sie ist eine geworden, die auf Tode wartet.
von:
Talakallea Thymon - am: 29. Jun, 09:13 - in: Werke & Tage
Nein, ich war nicht in der Eifel ich war: zu Haus. Samstag lang lange schlafen, einkaufen, Essen machen, dann stundenlang die Vertracktheiten der lateinischen Syntax und Semantik in mich hineingefressen. Hoffentlich blieb genug hängen. Sonntag morgen war die Luft noch kühl, und ich hab mir den Luxus eines Frühmorgensumsiebenfröstelns gegönnt, bin raus mit dem Rad über Felder, durchs Grafschafter Ländchen, an dichtem Erdbeerduft vorbeibrausend, Fahrtwindgeklingel im Ohr, und fruchtansatztragende Edelobstplantagen hingen im Augenwinkel fest, Insekten verprallten auf der Haut, summten im Ohr, Licht stand hoch und blinzelnd flach zurückgeworfen auf der Straße: Die Sonne war schon lange auf den Beinen, doch die Luft noch verschlafen und erdfeucht und frisch. Getupf gebeugter Leiharbeiterrücken, mühselig mein späteres Frühstück sammelnd um geringen Lohn. Feudalherrengefühl schmückte mir die Sinne. Um neun wieder zu Hause, da war ich schon zwei Stunden unterwegs. Den Magen mit Haferflocken, Erdbeeren, Bananen und Milch besänftigt lockte dann das Bett noch einmal, und ich hab mich guten Gewissens dem Schlaf hingegeben.
Der Nachmittag ging mit Latein dem Abend entgegen, als das Telephon läutete und mich zu Weg und Besuch und Liegewiese lockte und rief.
von:
Talakallea Thymon - am: 28. Jun, 09:31 - in: Werke & Tage
Nie mehr unbedarft an den Zucchini vorbeigehen --
( ... den schwellenden Früchtchen ... )
von:
Talakallea Thymon - am: 26. Jun, 09:33 - in: Dem geschah auch Lieb durch Liebe nie
Bei einem
Delicatessenhändler (man klicke sich zu >Produkte>Honig durch) ist folgendes zu lesen:
Unser Akazienhonig stammt aus den weiten, unberührten Robinienwäldern. Die Akazien blühen im zeitigen Frühling in duftenden Blütentrauben und bieten den Bienen eine Fülle von Nektar.
Da fragt man sich Verschiedenes. Zum Beispiel, wie man Akazienhonig aus Robinienwäldern ernten kann, vorausgesetzt, man versteht unter einem Robinienwald einen Wald, der aus Robinien besteht. Zweitens mögen zwar Akazien im zeitigen Frühjahr blühen, Robinien blühen jedoch keinesfalls vor Mai. Und was für einen Wert hat die Information für den Kunden, daß die Blüten in duftenden Trauben (korrekt! -- aber welchen Informationsgehalt hat hier das Adjektiv duftend?) angeordnet sind, und daß sie den Bienen eine Fülle von Nektar bieten? (Letzteres möchte man ja kaum glauben angesichts der Tatsache, daß es sich bei dem beworbenen Produkt um Honig handelt). Was heißt außerdem unberührte Wälder genau? Und wenn man dann noch bedenkt, daß der Honig aus Ungarn stammt, Akazien aber keine winterharten Gewächse sind, gerät man ins Grübeln. Mit anderen Worten: Woher kommt dieser Honig wirklich und aus welchen Blüten stammt er?
von:
Talakallea Thymon - am: 23. Jun, 09:34 - in: O tempora, o mores!