der könig zaunt
die sonne staunt
es itzen die girlen
und felden die schwirlen:
die jamben hinken
die wolken winken
der regen raunt
das herz, das schlägt
die zunge regt
die lippe küßt
der honig fließt
das kehlchen rötelt
die amsel flötelt
die düfte lüften
die glieder hüften
die hitze klirrt
die fliege schwirrt
die füße kribbeln
die bäche ribbeln
die Segler schwirlen
die zungen quirlen
die mücken grasen
die herzen rasen
ein fingertraum
rührt meeresschaum
die nacht schlägt blasen
der hals trägt flaum.
der finger zupft
die nase tupft
die raupe rupft
der frischling schnupft
im stillen raum
riecht süß der baum
die gallen nachten
die wälder schmachten
die hand dich hält
ein tropfen fällt
es träumt die welt.
von:
Talakallea Thymon - am: 15. Jun, 09:36 - in: Dem geschah auch Lieb durch Liebe nie
Wenn zwei so verliebt sind, daß sie im Angesicht des Anderen zu zittern beginnen; wenn zwei so verliebt sind, daß sie so sehr zittern, daß ein Becher Weins, von ihr zu ihm gereicht, ihnen beiden entgleitet; wenn daraufhin der Wein aus dem Becher schwappt und sich dunkel auf den Boden ergießt: Warum ist das ein Zeichen dafür, daß ihre Begegnung scheitert?
Die Beiden
Sie trug den Becher in der Hand,
ihr Kinn und Mund glich seinem Rand,
so leicht und sicher war ihr Gang,
kein Tropfen aus dem Becher sprang.
So leicht und fest war seine Hand:
Er ritt auf einem jungen Pferde,
und mit nachlässiger Gebärde,
erzwang er dass es zitternd stand.
Jedoch, wenn er aus ihrer Hand,
den leichten Becher nehmen sollte,
so war es beiden allzu schwer.
Denn beide bebten sie so sehr,
das keine Hand die andre fand,
und dunkler Wein am Boden rollte.
(Hugo von Hofmannsthal)
Die beiden werden dargestellt als im Vollbesitz von Anmut, Kraft und Sicherheit. Ihr Gang ist „leicht und sicher“, und sie hat keine Schwierigkeiten, einen vollen Becher Weins ohne Überschwappen zu balancieren. Seine Hand ist „leicht und fest“, so fest tatsächlich, daß er ein junges Pferd ganz ohne Kraftanstrengung („mit nachlässiger Gebärde“) bezähmt und unter seinen Willen zwingt. Doch das ist vor der Begegnung. Unter den Augen des Geliebten dann werden die Hände so schwach, daß der Becher „beiden allzu schwer“ wird. Beiden wird der Becher zu schwer, beide beben: Ihr Gefühl ist wechselseitig. Alle Kraft und Sicherheit sind dahin, wenn man vor dem Geliebten steht. Und so stehen die Beiden einander gegenüber und werden im Wortsinne schwach, der Becher kippt um, „dunkler Wein“ rollt am Boden.
Ohne nun das Überlaufen, Auskippen, Überschütten von Flüssigkeiten in überkommener Weise als ein Bild sich entladender Lust, die dunkle Farbe des Weins dagegen als Bild weiblicher Reife zu deuten, ist die Begegnung dennoch eine Situation, in der sich etwas zuspitzt und in eine Art Miniaturkatastrophe gipfelt. Es ist ein Augenblick des Atemanhaltens. Wie geht es weiter? Werden die Beiden herzlich über ihre Ungeschicklichkeit lachen? Wird es ihnen peinlich sein? Werden sie im Beben des anderen das eigene Beben wiedererkennen? Auf diesem Höhepunkt der Spannung entläßt uns der Beobachter.
Mißgeschicke dieser Art sind natürlich, ebenso wie krankheitsähnliche Symptome (Gliederzittern, Herzrasen, Schweißausbruch, Stottern), ein gängiger Topos in der komischen Darstellung der Verliebtheit. In seinem Gedicht schafft es Hoffmannsthal, die Komik auf wundervolle Weise zu überhöhen und mit dem aus der Komik bekannten Topos ein Bild heiteren Ernstes zu zeichnen.
Wer in dieses Gedicht das Scheitern einer Begegnung hineinliest, war vermutlich selbst noch nie verliebt. Ein solches Mißgeschick ist weit weniger ein Zeichen des Scheiterns, als ein offenkundiges Zeichen dafür, daß die zwei bis über die Ohren verliebt sind. Gibt das nicht Anlaß zur Hoffnung? Wäre es nicht vielmehr umgekehrt? Daß die Begegnung gescheitert wäre, wenn beide die Ruhe selbst sind bei ihrer Begegnung? Daß das nachgerade gar keine erzählenswerte Begegnung wäre? Eine Begegnung zwischen Mann und Frau, bei der keiner der beiden bebt, ist wohl eine alltägliche, eine belanglose Begegnung. Jedenfalls würde man nicht ein Gedicht darüber schreiben. Hugo von Hoffmansthal hat in Die Beiden durchaus kein Gedicht über das Scheitern geschrieben, sondern über das Beben von zweien, die allen Grund zum Beben haben: vor süßer Angst.
von:
Talakallea Thymon - am: 13. Jun, 09:39 - in: egregie dicta
Hallo Herr S.!
Gerade habe ich die Statiuspassage[1] angeschaut: sehr witzige Beschreibung, wenn ich das richtig verstehe. Die Auffassung indes, es handele sich um einen D. incommodi scheint mir, wie überhaupt die ganze Unart, Verwendungsweisen der Kasus nicht aus der Kasussemantik zu erklären zu versuchen, sondern die Einzelfälle zu Gruppen ähnlicher Verwendungen zusammenzufassen und diese dann mit eigentümlichen Termini zu benamsen, etwas fragwürdig – im Extremfall endet man bei dieser Praxis nämlich tatsächlich bei Einzelfällen. Und eine Grammatik, die nur listet, jedoch keine allgemiene Regel liefert, erscheint mir verbesserungswürdig.
(Aber wer wollte dies leisten?)
Die drei Stellen als D. incommodi zu sehen, hat natürlich den Vorteil, daß diese Auffassung unwiderlegbar ist. M. E. kann jedes Fehlen oder Verlassen immer auch als Incommoditäth abgehandelt werden. Dann ist es aber nachgerade verwunderlich, daß es nicht noch mehr Stellen gibt! Da es sich um eine Ratio von 3 (oder 4, wenn Caesar „gilt“, und warum sollte gerade die Caesarstelle nicht –?) mit Dativ gegen vermutlich tausende mit Akkusativ handelt, würde ich sagen, Prop[2], Sil[3], und Stat sind zu vernachlässigen, und haben in der Schule nicht aufgepaßt oder so. Ich meine, wenn Schulkinder in 2000 Jahren einmal das Deutsch des beginnenden 21sten Jahrhunderts büffeln müssen, dann werden sie auch lernen, daß wegen den Genitiv regierte – und damit 99 % der gesprochenen Sprachwirklichkeit verfehlen.
Auch scheint mir in Sil. und Stat. eine jeweils sehr ähnliche, aber mit der strittigen Caesarstelle und der Stelle bei Properz nicht zusammengehende Verwendungsweise vorzuliegen. Bei den beiden ersteren liegt doch, wenn ich das richtig lese, der Gedanke einer Fläche, die unter etwas verschwindet, zugrunde. Daher „fehlt“ dann das Feld, die Wasserfläche „vor Schiffen“ bzw. „vor Leichenbergen“ (igitt) – drängt sich da nicht der Gedanke auf, es könne sich um eine absolute Verwendung („fehlt“, „verschwindet“, „macht sich dünne“) plus instrumentalem (oder, ach diese Benamsungen!, kausalem) Ablativ (morphologisch in beiden Fällen möglich) handeln?
Bleibt natürlich Properz und Caesar. Bei Properz kommt erschwerend hinzu, daß es nicht einmal metrische Gründe gibt: mihi wird im strittigen Vers als zwei Kürzen gelesen, also hätte er auch me schreiben können, ohne die Regeln der Metrik mit Füßen zu treten. Das mihi scheint mir daher mit Bedacht gewählt worden zu sein. Hier ist wohl, wenn man der traditionellen Kasussystematik folgen will, ein incommoder Dativ der Weisheit letzter Seufzer: „verschwindet nicht, mir zum Schaden“. Oder so.
In einem Schultext hat so etwas natürlich nichts verloren, schon angesichts der statistisch doch recht eindeutigen Beleglage. Und ob das aus den lieben Kleinen Poeten macht, na ....
So, genug getextet, danke, daß Sie bis hierher die Geduld hatten, mir zu folgen. Ein frohes Wochenende wünschend,
MB
[1] Iam Pelopis terras Graiumque exhauserat orbem
praecipitans in transtra viros insanus equosque
Bellipotens. fervent portus et operta carinis
stagna suasque hiemes classis promota suosque
attollit fluctus; ipsum iam puppibus aequor
deficit et totos consumunt carbasa ventos. (Ach. 1, 445)
[2] et mihi iam toto furor hic non deficit anno (1, 1, 7)
[3] stragis acervis deficiunt campi (8, 660)
von:
Talakallea Thymon - am: 10. Jun, 09:43 - in: Ludus Latinus
Aufwachend unbebrillt verwaschenes strukturiertes Dunkeletwas über mir an der Wand, das gestern abend eindeutig noch nicht … sollte das … die treten sehr zahlreich auf dieses Jahr … gestern im Hausflur auch schon eines erlegt … die Wälder wimmeln davon … ohneinohnein.
Also vosrichtigster Bettdeckenzurückschlug (immerhin können die fliegen) und Ausdembettwalz, gefolgt von fingerndem Brillenaufsatz, Blick zur Wand, zur Decke, da … ach du grüne Neune! Was für ein Exemplar, das ist ja schauderhaft. Hinterleib mindestens zweieinhalb Zentimeter, die Farbe nicht graubraun, wie bei den erträglicheren Exemplaren, sondern fast tiefschwarz, der Kopf mit dem rüsselartigen Fortsatz deutlich zu erkennen, und die Beine … ein Graus.
Absolut widerlich.
Vorsichtigst genähert, um ja keinen Wegschweb mit anschließendem Umherschwirr und Verschwund in den Klüften meines unaufgeräumten Zimmers zu verursachen, dann handtuchbewehrte Faust darauf. Ende.
Ichweißichweiß, da mime ich den Naturheini und langahaarigen Töpferkursbesucher und dann so etwas. Ja, ist mir bekannt, die sind harmlos, beißen nicht, stechen nicht, sind ungiftig und wahrscheinlich vertilgen sie obendrein noch jede Menge Schädlinge. Und, klar, faszinierend sind sie, mit ihrem elfenhaft schlanken Leib, den großen halbdurchsichtigen Flügeln, dem schwirrend-langsamen Flug.
Aber ich find sie nun einmal höchst eklig. Ich kanns nicht ändern. Im Freien ist es in Ordnung. In Innenräumen bekomme ich Panikattacken.
Wie Heinz Sielmann es formuliert haben dürfte: Diese adbutiged Tierched sidd tatsächlich völlig harblos udd verdieded udsere Wertschätzugg, obwohl ibber doch viele Bedsched große Scheu vor ihded ebfidded.
(Tipula sp. Tipulidae sind die größte Familie der Ordnung Diptera (Zweiflügler), zu denen Fliegen und alle Arten von Mücken gehören. Larven knabbern gern an den Wurzeln von Setzlingen. Wirtschaftlicher Schaden eher gering. Die Imago frißt gar nichts, sondern ist mit Fortpflanzung beschäftigt.)
von:
Talakallea Thymon - am: 1. Jun, 09:48 - in: Mores Ferarum
Illa nvlla qveat melivs consvmere noctem
...
von:
Talakallea Thymon - am: 25. Mai, 10:38 - in: egregie dicta
Einst in meinem 14 Lenz, vielleicht war es sogar der 15. kam mein Vater abends zu mir ins Zimmer, mir eine gute Nacht zu wünschen, trat an mein Bett, ließ sich in die Hocke nieder und sprach: Mein Sohn ... nein, so wars nicht, er sagte einfach, sinngemäß: Wenn ich mal nachts wach werden sollte und mein Bett sei naß, dann solle ich mich nicht beunruhigen, weil, das sei dann Samen. Er sage mir das, da er selbst zu seiner Knabenzeit furchtbar erschrocken sei; das wolle er mir ersparen.
Ich schluckte und nickte. Er verschwand.
Der Gute tat es in der besten Absicht, ich weiß, und leicht wird es ihm auch nicht gefallen sein. Ebensowenig wie seine eigene Pubertät leicht gewesen sein wird. Nur machte er meine eigene damit ein gutes Stück schwieriger, und außerdem kam er ein gutes Jahr zu spät; und auch sonst war seine aufklärende Beruhigung völlig überflüssig, denn ich habe mich nie über ein nasses Bett erschreckt. Dazu konnte es auch kaum kommen. Weil ich nämlich ein Taschentuch benutzte. Als mein Vater aufklärerisch in Aktion trat, da bestimmte ich schon lange selbst darüber, wann mein Bett wenn überhaupt naß werden sollte, indem ich der Spontanfreisetzung meiner Gameten meist zuvorkam. Da lag ich nun, zwar nicht hochroten Kopfes (dazu war ich viel zu panisch), wohl aber hämmernden Herzens. „Das ist dann Samen“, hallte es in meinem Kopf wieder. Ach nein, wirklich, ich dachte das sei Vanilleeis.
Das schlimmste aber war danach die Sorge, er könne das tun, worum ich sämtliche mir bekannten und unbekannten höheren Mächte bat, er möge es unterlassen: mich zu fragen, ob es denn schon soweit sei. Was hätte ich ihm da antworten sollen? „Weißt du, Papa, wenn man sich da unten anfaßt, das ist dann ein total schönes Gefühl, ja, und wenn mans richtig anstellt, dann ...“? Ich war wochenlang in wilder Angst. Aber er hat geschwiegen.
von:
Talakallea Thymon - am: 25. Mai, 10:36 - in: post scripta
Epistula non erubescit.
Man möchte hinzufügen: Ein Weblogeintrag auch nicht ...
von:
Talakallea Thymon - am: 25. Mai, 10:34 - in: egregie dicta
Baumgestützt neigen sich die Wolken aus Himmeln, die sich entziehen. Emsiges Geflatter geht in den Kronen um, und die Pfützen spiegeln es nachdenklich wieder. Das Wasser bekommt eine Gänsehaut, und man weiß nicht, war es das Licht oder die Kühle des Windhauchs? Man kann die Fahrzeuge räuspern hören, Staub verwirbelt unter geöffneten Fenstern, und es ist, als gingen die Menschen nicht auf ihren eigenen Beinen, sondern auf geliehenen, oder solchen, die einen eignen (sich entziehenden, geheimen und unergründlichen) Willen haben.
Das sind die Gegebenheiten, eine gemeinsame Welt, der Regen gleich für uns beide, doch da fängt es schon an. Teilen ist ein schönes Wort, leicht fällts indessen nicht. Was kann man nicht alles teilen, Freud und Leid, Meinungen, Brötchen, Staaten, Ansichten, Budgets, Geheimnisse, Festplatten, Arbeit, Erfahrungen, Zeit, Atome, das Leben gar. Da stehen wir nun, wir zwei, und teilen uns, ob wirs wollen oder nicht, die Welt.
Ob hier, ob da, ob Flüsse zwischen uns brausen oder die Räume unwirsch klaffen mit verregneten Bahnhöfen, die die Strecken noch länger machen als sie schon sind; oder ob uns nichts trennt weiter als unsere verschwitzte Haut und das Pochen des andern Herzens; ob uns Freundesgebraus umgibt oder die Einsamkeiten den Wind heimlich versteckt haben; ob wir gemeinsam am Meeresgestade stehen, oder ein tiefes Tal unsere Stirnen verschattet; ob einer glücklich, ob der andere unglücklich ist; immer ist die Frage dieselbe.
Von hier bis zum Ende ist es vielleicht genauso weit wie vom Anfang hier herauf, aber die Tage rollen immer schneller dahin, als habe etwas die Zeit selbst in unruhige Schwingung versetzt. Schon ist mir manchmal vieles leid, die ewiggleichen Bewegungen, Beine über die Bettkante hieven, wie oft schon wie oft noch. Der klebrige Kaffee, der Schaum beim Zähneputzen, das prickelnde Bier, wie ein zäher Ohrwurm, eine abgedroschene Melodie. Nichts scheint mehr neu zu sein. Neu war lange nichts. Da schlag ich dann wohl die Augen auf, aber Schlaf wie Wachsein ist mir gleichermaßen zu öd. Das Dichten, so kommts mir vor, war schon, hat stattgefunden, ist Ereignis, wir erzählens höchstens nach, mit jedem Wort, das wir uns abringen. Erschaffung wäre etwas anderes. Einst schuf ich eine Sprache, die nur ich verstand. War ich da glücklicher?
Ich sag mir, du hast es gehabt, du hast alles gehabt und mehr, als du hättest hoffen dürfen zu Beginn. Aber es hilft nichts, sich das vorzusagen, höchstens noch geschiehts, daß die Silben mich einlullen in hellen Schlaf. Ich fasse mich selbst an und denke dabei an sie. Siehe: Das Umarmen wird neu in ihren Armen. Das Küssen wird neu durch ihren Mund. Die Lust wird neu durch ihren Laut. Und wieder ist es nicht genug, nicht genug, wieviel ich auch erlebt hab.
Vielleicht regnet es gleich. Ich denke an dich, wie du, die Wolken überm Kopf spürend, dich wehrst gegen die drohende Nässe. Wie leicht verliert man aus den Augen, was das heißt: du spürst. Nicht ich spüre, was das einfachste ist, sondern dies unbegreifliche du. Du spürst. Die zweite Person ein Mysterium.
Nun rollt der Sommer an, die Vögel verstummen schon wieder, die Bäume saugen die Nässe aus der Luft und die Tage sind so lang und hell, als säumten sie zu vergehen. Und doch müssen sie weichen und anders werden, und neu. Diesen Sommer und den nächsten und so alle Zeit. Da stehen wir nun, vor uns noch viel zu leben und Menschen, die die Wichtigkeiten der Welt schon für uns festgelegt und in Rang gebracht haben wollen. Wo wird unser Platz darin wohl sein? Ob jeder für sich oder beide zusammen. Man kann es wollen noch so sehr: Nichts steht schon fest. Wo werden wir sein, ich und du, heut übers Jahr. Ich will es nicht denken, doch der Gedanke läßt sich nicht verscheuchen, flattert und flimmert und lugt um die Ecke, und paß ich nicht auf ist er da.
Ein letzter Gedanke ist dies. Die Liebe als Handeln. Die Liebe als ein Sich-Entscheiden. Als ein Glück, das nicht zu erreichen ist, sondern erfunden, erschaffen, aus der Seele herausgeformt, hervorgelebt werden will, Herzschlag für Herzschlag.
von:
Talakallea Thymon - am: 24. Mai, 10:40 - in: Dem geschah auch Lieb durch Liebe nie
Von meinem Großvater geträumt. Immer derselbe Traum, er ist gar nicht tot, sondern kommt plötzlich putzmunter zur Tür herein, oder, wie heute Nacht, wird plötzlich unruhig, spricht mit sich selbst, schlägt die Decke weg, will aufstehen, erhebt sich halb. Es ist etwas Grauenhaftes daran, etwas völlig Unmögliches passiert und verstört mich. Halb ist es auch gar nicht wahr und er ist doch gestorben, und seine Bewegungen sind eine Laune der Natur, ein übriggebliebener mechanischer Reflex, ein Reststrom in den Nerven, der sich gliederrührend entlädt, wasweißich.
Solche Träume werden noch öfter kommen, denke ich, und mit allem Schlimmen, was passiert, werden neue, sich dann ebenfalls wiederholende Träume sich hinzumehren. Das Leben wird schwieriger. Die Träume zeigen es an.
von:
Talakallea Thymon - am: 23. Mai, 10:48 - in: Werke & Tage
Nun bin ich auf mich selbst geworfen, nun hat sich der Abend verwandelt, er ist lastend und sperrig meiner geworden, mir allein zuteil, was soll ich mit dieser Masse an Zeit?, und nun spiegeln die Stunden mir meine Vergänglichkeit, meine Sehnsüchte und auch meine Blindheit wider.
„Dann sehen wir uns also heute nicht?“ hab ich gefragt, und meine Stimme hat sich ganz klein angehört. Vernünftig, natürlich. Und was hätte ich denn auch von einer Sosiglaúke, die mürrisch und unzufrieden und todmüde ist und sich unwohl fühlt, weil sie lieber allein wäre. Nur weil ich anders bin, und es deshalb nicht verstehen will. Als könnte ich nur verstehen, was mir auch so geht … Nur weil ich selbst, müde nach Hause kommend, nichts lieber täte, als mit der Liebsten, und dann neben ihr einzuschlafen. Von ihr entmüdet und wieder müdgemacht. So. Aber die Menschen sind unterschiedlich.
In solchen Momenten fühle ich, will ichs will ichs nicht, eine gewisse Hilflosigkeit. Ich komme mir in meinen Vorstellungen ichverpflichtet, ichbeschlossen vor, und doch sind es die Bedürfnisse, die ich selbst an Stelle des anderen – und auch ihre Stillung vom andern einfordern würde ich.
Dann will mir aufgehen, wie allein wir doch alle wirklich sind, und was es für ein Glück bedeutet, wenn einmal sich das eine mit dem anderen berührt und zum Einklang kommt und eins miteinander wird in einem Zauberaugenblick, einer Wunderstunde. So etwas hat es gegeben, gerade erst …
Wie viele Wunderstunden mag es noch geben, für mich, für sie, für irgendwen? Ich denke, daß die Zeit unaufhaltsam verinnt, das süße Leben. Das wird immer deutlicher, klar.
Dann denke ich viel über früher nach, als die Zeit überreichlich da war und vom Fließen nichts zu merken, und jeder Augenblick so süß, wie wenn das Glas Wein noch ganz voll ist.
Dann auch denke ich, daß die Dinge immer komplizierter geworden sind. Wieso sollte ich nicht glauben, daß sie noch komplizierter werden? War ich es, der sich keine Gedanken machte, alles für einfach hielt und sich selbst für den Größten? Vielleicht ist es das. Irgendwo zwischen hier und der Stadt am Ende des Jahrtausends und wieder hier muß mir dieses unerschütterliche Selbstbewußtsein abhanden gekommen sein, und nun bin ich nichts als ein Bündel Fragen, und ein Wort, ein Blick, der alberne Artikel einer Frauenzeitschrift, ein Gespräch am Nebentisch, eine Diskussion im Netz werfen mich in komplette Verwirrung und unabschüttelbare Selbstzweifel. Hab ich mich all die Jahre getäuscht? War ich gar nicht so toll? Ließ man es mich nur fühlen, damit ich zufrieden sei, weil man meine Eitelkeit bemerkt hatte?
Oder habe ich mich verändert? Bin ich vielleicht so geworden, daß meine Selbstzweifel jetzt wirklich gerechtfertigt sind? Hatte ich sie früher nicht, weil sie unbegründet waren, waren? Und jetzt sind sies nicht mehr?
Auf mich geworfen, plötzlich unausweichlich und unablenkbar allein mit meinen Sehnsüchten, meiner Blindheit, meiner Vergänglichkeit. Wie soll das alles werden. Reicht denn, das beste zu wünschen für sich und den andern? Was ist mit den schweren Zeiten? Und warum schreckten sie mich früher nicht, die schweren Zeiten? Warum hab ich jetzt Angst, nicht wach genug zu sein für sie, woher die Sorge, ich könnte ihr nicht guttun? Früher tat ich gut, klar tat ich das, ich war schließlich der größte, ich war der Held. Der Retter, der, auch wenn er nicht viel helfen konnte, so doch darin half, daß er da war.
Wie konnte ich so unumstößliche Gewißheiten über mich selbst haben?
Allein mit meinen Sehnsüchten. So allein wie ich es früher bei dieser Gelegenheit nicht gewesen wäre.
Eine Unruhe packt mich beim Gedanken an ihren Schoß, wie ich sie noch nie so erlebt habe, und dabei ist es nicht das Verlangen, das diese Unruhe auslöst. Das Verlangen ist da und es ist schön, selbst noch im Ungestilltsein, in der Erwartung. Die Unruhe kommt nicht daher. Etwas quält mich, und ich kann es für einmal nicht benennen. Sie soll wissen, was für ein Sinnenrausch das für mich ist, ihre Lilie zu küssen, was es mit mir macht … und ich bange so darum, daß sies auch so schön finde, daß sie es mich für und für tun lasse, weil sie es selbst will. Daß wir beide verrückt danach seien und entzückt, und im Vertrauen, daß jeder für sich es im Rausch erfährt: sich hingeben. Es ihr erklären, es ihr beschreiben … aber wie könnte, wie sollte – wo gäb es denn Worte dafür? Was für ein Weg ist vom einen zum anderen? Ich habs nicht versucht, weil es sich so albern anhörte, und meine Stimme, sie wäre wieder ganz klein.
von:
Talakallea Thymon - am: 22. Mai, 10:49 - in: Dem geschah auch Lieb durch Liebe nie
At tu dum primi floret tibi temporis aetas
utere: Non tardo labitur illa pede.
Aber solange dir blüht das Alter der ganz jungen Jahre
nutze es, denn es entschlüpft dir nicht mit
langsamem Fuß.
von:
Talakallea Thymon - am: 20. Mai, 10:51 - in: egregie dicta
Momentan ist da wieder einmal der Eindruck, niemals im Leben so schreiben zu können, auch nicht dereinst, wenn ich groß bin oader wannauchimmer, wie ich es mir vorstelle, daß ich müßte. Hab gerade wieder ein Buch verputzt, das mir sozusagen mein eigenes Erträumtschreiben vorgeführt hat. Ist desillusionierend und ernüchternd. Ziemlich. Zu sehen: So hat es schon einer formuliert, jetzt mußt du dir wieder was Neues ausdenken. Noch besser als Herbst war der. Schon schlimm. Vor allem, weil es nicht einfach nur gut war. Gut schreiben viele, aber die Bewunderung fällt nicht schwer, wenn es auf eine Weise gut ist, die zu den eigenen Vorhaben nicht "passen" würde und also von mir nicht erstrebt wird.
von:
Talakallea Thymon - am: 19. Mai, 10:56 - in: Tagewerke
Wenn ich an Dich denke, fühlt es sich an, als schössen aus meinen Fingerspitzen Knospen.
Ich hätte gern Flügel.
Und Arme, weit wie das Meer.
Oder Siebenmeilenstiefel.
Aber in ein Schneckenhaus muß ich dabei noch hineinpassen.
von:
Talakallea Thymon - am: 7. Mai, 10:57 - in: Dem geschah auch Lieb durch Liebe nie
Flüsterstunde blauverklebt: Laß mich schlafen, Kissenduft; komm wie der Tag zum Licht … und meinen Lidern flechte ein die feinen Gärten des Traums. Sieh: Die Fenster sind voll Nacht, die Augen sternenschläfrig. Und du, Mond, bist mir wieder Freund.
Meine Hand hat Eine mit Sonne befüllt. Die hat den Farben Namen gegeben, daß sie nun heißen Flieder und Kirsche, Rosenbaum und Blauregen, Mausohr und Mohn. Unter Birken nisten lächelnde Geister. Wolkengeächz wird am Himmel dünn. Von Tag zu übernächstem Tag bin ich alleiner als allein. Ihr Finger hat Flaum mir über den Bauch wachsen lassen. Und über die Stirn ist mir ein Taustreif gekommen. Lieder senken sich auf meine müden Glieder nieder wie Flackern durch ein Ährengewoge. Härchen stehen Kopf, und die Haut fühlt sich an wie Wasser.
In der Stadt riecht es nach Pflanzen, die Luft ist zittrig und scheu vor Licht, die Pfützen beben. Aber über Nacht hat sich der Frühling noch einmal und wieder verwandelt, hat frische duftende Kleider übergestreift und dem Wind neue Töne dagelassen.
Worte les ich und Wörtchen und süße Beklemmung umfaßt mir das Atmen. Zweige liegen zeichenweise auf der Straße, Vögel pfeifen ihren verborgnen Namen in den hellen Wind, und vor soviel Herzschlag weiß die Nacht nicht ein noch aus.
von:
Talakallea Thymon - am: 6. Mai, 10:58 - in: Dem geschah auch Lieb durch Liebe nie
War ganz schön ungewohnt, so ohne Dich einschlafen, aufwachen; träumen ohne anschmiegsame Wärme daneben. War mir mein eigener Fremdkörper im Bett, kühl und unzugänglich und mir selbst den Platz wegnehmend. Viel Geträum mit Bildern, an denen noch Dalí hätte verzweifeln müssen. Nackte Riesenmänner, die ein seltsames Bauwerk errichten, einer mit einem grotesken Kopf und Kinderblick, ein Gebirgsmassiv, dahinter vielstundigwandernderweise das Meer warten würde, aber es ist schon abend, das schafft man nicht mehr.
Der Morgen ungewohnterweise so früh und so hell, verlebten Wochenends und Langausschlafens. Kurz vor dem Regen: Hausrotschwänze zerknirschen wieder Wagenladungen von Tonscherben. Ich denke an Linden, an Rauhblätter, an Mäuseohren, ich denke an dich.
von:
Talakallea Thymon - am: 3. Mai, 11:00 - in: Dem geschah auch Lieb durch Liebe nie
Wo immer sich in einem eng eingegrenzten Tätigkeitsbereich, sei es in der Jagd, sei es in einer Wissenschaft, sei es in einem Handwerk, ein Spezialvokabular entwickelt, kann es zu merkwürdigen Überschneidungen mit dem Alltagsgebrauch von Begriffen kommen, deren Fachwortbedeutung und deren umgangssprachliche Bedeutung mitunter stark voneinander abweichen. So meint der Jäger kein Drüsensekret der Haut, wenn er von „Schweiß“ spricht, sondern Tierblut. Der Seemann sagt „Ende“ und meint damit ein beliebiges Stück Tauwerk. Das Ruder heißt nicht Ruder, sondern Riemen, und „Ruder“ ist wiederum etwas ganz anderes.
Ein solches Auseinanderdriften kann verschiedene Gründe haben. In der Jagdsprache liegt so etwas wie eine Tabusprache vor (das Gemeinte darf nicht mit dem gewöhnlichen Wort bezeichnet werden, weil das zu jagende Tier es hören und gewarnt werden könnte); in vielen Fällen trägt die Fachsprache wohl auch dem unbewußten Wunsch der Fachleute nach Abgrenzung und Geheimhaltung Rechnung („Medizinerlatein“). In der Hauptsache entwickelt sich eine Fachsprache jedoch aus dem Bedürfnis heraus, feine Unterschiede, die der Umgangssprache gleich sind, benennen zu können („Rispe“ im Unterschied zu „Dolde“); auch bezeichnen Fachsprachen oft Gegenstände und Erscheinungen, die im Alltag nicht vorkommen („Quarks“, „Protonen“); dann wieder geht Alltagsgebrauch und fachsprachlicher Gebrauch auseinender, weil Volksklassifizierung und wissenschaftliche Klassifizierung zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, die unterschiedliche Benennung nach sich ziehen („Rot-“ und „Weißtanne“ gegenüber „Fichte“ und „Tanne“).
Ein solcher Fall liegt auch im vielzitierten Nußproblem vor. Spätestens seit Herrn Jauch läßt sich auch der Nichtbotaniker gern verblüffen, welche Früchtchen Nüsse oder Beeren sind und welche nicht. Mittlerweile hat es sich ja schon herumgesprochen, und jeder Hobbykoch, der was auf sich hält, weiß und verkündet: Erdnüsse sind keine Nüsse!
(Walnüsse, Paranüsse, Kokosnüsse übrigens auch nicht)
Warum aber nicht?
Das schöne an botanischen Klassifikationen ist, daß sie erstens exakt und zweitens erschöpfend sind (das heißt, es bleibt keine Restkategorie übrig, in die all das fällt, was unter keiner anderen Kategorie einsortiert werden konnte). Botaniker klassifizieren Fruchtformen zunächst nach zwei Grundtypen: Einzelfrüchte und Sammelfrüchte. Innerhalb der Sammelfrüchte geht die Einteilung weiter mit Schließfrüchten (die Frucht löst sich als ganzes von der Pflanze), Zerfallfrüchten (Frucht zerfällt in zwei oder mehrere Teilfrüchte) und Springfrüchte (Frucht öffnet sich zur Reife noch an der Pflanze und gibt die Samen frei). Nüsse gehören nun (wenn es sich um Einzelfrüchte handelt) zu den Schließfrüchten. Für deren weitere Einteilung ist nun die Form der Fruchtwand (das sogenannte Perikarp) entscheidend. Ist diese durchgehend fleischig, spricht man von einer Beere. Beeren im botanischen Sinn sind etwa Heidelbeere, Tomate, Gurke, Melone. Differenziert sich das Perikarp in einen inneren Steinkern und einen äußeren fleischigen oder faserigen Teil, spricht man von einer Steinfrucht. (Um eine Scheinfrucht hingegen handelt es sich etwa beim Apfel, weil beim Fruchtaufbau nicht nur der Fruchtknoten, sondern noch andere Pflanzenteile beteiligt sind.)
Von einer Nuß spricht man nun, wenn das Perikarp durchgängig verholzt ist. Dies ist der Fall bei der Haselnuß, die wirklich eine waschechte Nuß ist. Auch Bucheckern, Kastanien und Eicheln sind Nüsse im botanischen Sinn.
Die Walnuß dagegen ist der Samen einer Steinfrucht. Desgleichen die Mandel, die Paranuß und die Kokosnuß.
Und die Erdnuß? Ist eine Hülsenfrucht wie die Erbse, die Bohne, die Frucht von Lupine oder Ginster. Übrigens: Erbsen liegen nicht in einer Schote, sondern in einer Hülse.
Aber das führt jetzt zu weit.
von:
Talakallea Thymon - am: 26. Apr, 11:12 - in: Mores Ferarum