Mittwoch, 16. Mai 2007

Lichtwochen und ein Blick (5)

Auf den Büchern, die genau so dalagen wie an jenem Tag, da E. ihm die Tüte mit seinen Sachen schon an die Tür gestellt hatte, sammelte sich der Staub. Aufgeschlagenes blickte mit Reihen zerbrochener Buchstaben in den Raum, hier murmelte ein Titel auf einem Buchrücken, dort schielte ein Klappentext nach dem Fenster; eins über das andere gestapelt in der Reihenfolge des letzten Zugriffs, türmte sich Murakami über Walser, keilten sich Statius und Apuleius wie in einem klassischen Ringkampf ineinander und hielten sich gegenseitig offen, und in einer zärtlichen Liebesumarmung der Belletristik umfing der muskulöse Liddle–Scott die zarte Sappho, die mit gespreizter Bindung unter ihrem Liebhaber lag und eine halbe nackte Seite hervorschimmern ließ, die über die Wochen allmählich vergilbte. „The Mill on the Floss“ lag, nach oben aufgeschlagen, halb unter dem Bett, daneben ein Stapel Lexika, an die sich, schlank, fein, und in blauem Umschlag, eine Gedichtanthologie lehnte, aus deren Seiten es von Lesezeichen wie von Gedärm herausquoll. Manchmal schrägte sein Blick dahin. Aber er las nicht. Am Vorabend des Abends, an dem die Tüte an der Tür gestanden hatte, am Abend vor dem letzten aller Abende, hatte er noch an diesen Stapel gerührt; jetzt schien diese Sammlung nur noch eine Kuriosität zu sein, die Widerspiegelung der Grillen eines Bucheremiten, eines Besessenen. Einer anderen Welt gehörte das an. Der Stapel war noch da, E. war noch da, die Stadt war noch da, in der es eine Haltestelle schon jetzt gab, wo man etwas erblicken konnte, das den Lichtwochen ein Ende machen würde, das alles war schon da.
Er selbst war weiter.
Wo überhaupt? In einer Welt, die sich des Abends und der Dämmerung entledigt hatte und in einem Taumel aus Licht sich selbst aufgab. Puzzlelösen war das einzige, das ihm erlaubte, sich abzulenken und gleichzeitig an E. zu denken, das einzige, das die Schwebe hielt zwischen dem Selbstzerstörerischen einer ausschließlichen Beschäftigung mit E. und dem hoffnungslosen Versuch, in die Labyrinthe und Sprachfarbigkeiten eines Romans einzutauchen und zu vergessen. Nur über diese zerbochene Welt des unfertigen Puzzles gebeugt, konnte er an E. denken, ohne an sie denken zu müssen.





(6)

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