Werke & Tage
Montag, 11. Dezember 2006
Donnerstag, 23. November 2006
Zateli, Z.
Jemand hat einmal von ihr gesagt, sie schreibe ihre Bücher in Abständen wie Rehe Junge werfen. Diesmal scheint sie sich beeilt zu haben.
Mittwoch, 22. November 2006
Greinstraße
vormittag. die bäume streifen den himmel, und das eigene antlitz schwimmt hohlwangig in den pfützen umher. wohin man auch geht. glockengeläut kratzt an den erinnerungen.
und gehen muß man viel, zwischen buch und buch. tastaturengeklimper. aufzüge. und wieder der mittag, schwer, schwankend, kopflastig vornüber geneigt. man dreht einen bleistift träge zwischen den fingern. keine stimmen für gemütlichkeit, ein singen, ein singen. abstoßende sirenen, die der fremde, dem draußen, der weite das entzücken stahlen. bitteres klebt an den illustrierten. feuchtkalt wellt sich das papier auf der toilette. nasse socken, kaltes laminat. spinnengeister erheben sich in den ecken, während der rücken schmerzvoll über der tastatur hängt.
die geschichten verhaken sich.
blut strömt zur leibesmitte, das ist immerhin schöne ablenkung. wärme, wallung, schwellung. um sich selbst kreisen und dabei alte worte wieder auspacken. das klingt wie: es war einmal. gemeint aber ist: so war es. das kann man sich nicht oft genug klarmachen. manchmal vergißt man das jetzt. weil das war nicht mehr gegenwärtig ist.
mich ängstigt die asymmetrie alles lebendigen, aller zeit. die zukunft nimmt stetig ab. die vergangenheit wächst linear. immer mehr gibt es zu erinnern. immer mehr zu wissen. immer mehr zu lernen. irgendwo las ich, daß die kunst des erinnerns in wahrheit eine kunst des gezielten vergessens sei. mit dem alter könne man immer schlechter vergessen. weshalb man immer weniger behielte.
so ist es wohl. alles tritt immer unmittelbarer an einen heran. und bleibt dort hängen. während man geht und geht und geht.
vormittag. und am himmel die zweige … die pfützen sagen nichts. schon gar nicht, wer mein spiegelbild ist.
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Donnerstag, 16. November 2006
raus hier
aufsehend von meinem porto-barcode ist da plötzlich der himmel. gleich hinter dem fenster beginnt er, beginnt die ferne, am rande der füße, und der blick saugt sich fest an einem durchscheinend-leuchtenden sturmblau. die hände sinken. fast kahl sind die pappeln in der Greinstraße, die wege schlieren von gelb, die vögel schwerfällig von nahendem frost.
da möchte man fliehen, in dieses transparente hinein, unter diesen himmel schlüpfen wie unter ein schützendes tuch. fliehen, nicht wie in dem roman, den ich gerade lese (oder schreibe?), fliehen, nicht vor feinden, sondern vor dem fluch des wohlgeordneten. nichts als einen mantel, dessen rauher stoff in der nase kitzelt beim schlafengehen, nichts als eine grobe wollmütze, ein paar ewig haltbarer stiefel, einen notizblock, bleistift, wasserflasche sein eigen nennen – und dann die ganze welt.
hinaus in die krummen linien, weg von den linealen, den rechten winkeln, den geodreiecken, den stundeplänen, ausreißen vor den hütern des gefegten, des gewischten, des behämmerten, weglaufen vor den verkehrszeichen, den grün-, zebra- und haltestreifen, weg nur weg von all dem zugebilligten gnadenvollen gewährten. hinaus auf die wilden wege, die wunderberge, die wüsten schotterpisten. mit einem schritt die hügel abgreifen, mit einem blitzwachen auge über den strom gesetzt, hinauf zur wogenden linie des walds.
berge und aberberge von laub wälzen.
weg vom kunstlich aus edelgasen, weg vom bunten neon, von geflimmer in schwer atembaren gängen, von käferumschwirrtem, von grellem, von gespiegel. wenn der mond nicht reicht, soll es eine kerze sein.
und wieder so schreiben, wie man einen fluß durchwatet, einen berg erklimmt, auf der ladefläche eines lieferwagens davonfährt, so schreiben. nicht mit samthandschuhen, sondern mit blasen an den füßen.
zur not auswandern nach innen, in die räume der sprache und der geschichten. weg von den phrasen, von der hohlheit, dem maulverriß, der wichtigtuerei, die aller orten – ach, ihr wißt schon. weg von betroffenheitsgesäusel, marktmaschinerie, anti-aging-betrüglichkeiten, fieberhaften suchtrupps, internationalen abkommen und maßregelungen und indizes und kurven und was der so genannten wichtigkeiten mehr sind. oder wären. konjunktiv, konjunktiv! wehren wir uns, schlagen wir mit gleichen waffen zurück, mit dem irrealis der gegenwart, es lebe der potentialis und der optativ! es lebe der traum und das dickicht! es lebe die distel und die brennessel, der quarzkristall, das regenwasser, der haselzweig. das feuer und die isomatte.
heute wieder 30 umschläge mit einem barcode versehen, über den das porto für die verbuchungsstelle festgestellt und zugeordnet werden kann, vollautomatisch. 3,5 cm vom oberen rand linksbündig auf den umschlag zu kleben. bitte mit lineal arbeiten.
manchmal möchte ich in ein markerschütterndes, alles zertrümmerndes, gottgleiches, dionysisches
gelächter
ausbrechen.
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Sonntag, 12. November 2006
später
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sonntag abend
jetzt schreibe ich dir und bin in gedanken mit dir auf der autobahn. hoffentlich kommst du auch diesmal gut an. habe gerade noch einmal auf der wanderkarte nachgesehen, wo wir uns gestern so schön verirrt haben. wenn es jemanden gibt, mit dem ich mich gerne verirre, dann bist du das. vielleicht verirre ich mich sogar lieber mit dir, als daß ich mit dir richtig gehe. jedenfalls, wenn das verlaufen mit dir immer so ist, dann möchte ich mich noch oft und immer wieder verlaufen mit dir.
was tue ich jetzt hier? ich müßte eigentlich gleich wieder in die schuhe und los. ohne dich kann ich hier nicht stillsitzen; ohne dich hab ich hier kein zuhause. eine spinne dreht sich in ihrem netz um. eine hupe zwängt sich von draußen herein. stimmen schweigen gegenüber. eine uhr tickt die minuten ohne dich herunter. da wird sie viel zu tun haben.
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Freitag, 10. November 2006
Begegnung im September
er schrieb sie an. er sagte: du gefällst mir. sie schrieb zurück, wer bist du? er antwortete und fragte. sie antwortete und fragte. so schrieben sie einander vierzehn tage. ein wort ergab das andere. er sagte „du“, sie sagte „magst“. er sagte „hand“, sie sagte „halten“. er sagte“spiel“, sie sagte „wiese“, er „herz“, sie „klopfen“. sie spielten, und in dem spiel merkten sie einander die sehnsucht an.
man kann sich rein schriftlich verlieben.
sie hatten einander noch nie gesehen. nur ein paar schummerige photos kannten sie. sie hatten nicht einmal miteinander telephoniert. die redeweise, die stimme, das lachen des anderen war noch einer stille überlassenes geheimnis. sie wußten nicht mehr, als sie einander durch spröde, auf das flimmern eines bildschirms reduzierte wörter, sätze, buchstabenahnungen herausgefühlt und hinzugedacht hatten.
und sie hatten sich nicht geirrt dabei. sei es, daß es glück war, sei es, daß sie durch diese wortsprödigkeit hindurchsehen konnten, sei es auch, daß sie sich eben so ähnlich oder aufeinander so eingestellt waren, daß sie es einfach so verstanden und einander richtig errieten – später, als sie einander gegenübertraten, war keine fremdheit zwischen ihnen. es war an einem samstag. sie gingen einander in einer menschenleeren morgenfrühe entgegen, an einem sonnigen septembermorgen mit schiffen und möwen und geglitzer auf dem fluß. sie näherten sich einander langsam über einen leeren platz. er hinüber, sie herüber, ihre schatten zueinander geneigt. nach so vielen tagen am bildschirm trennten sie schließlich nur noch zwei schritte. er fragte, bist du das?, sie sagte hallo, und im nächsten augenblick waren zwei schatten eins geworden. er muß wohl noch einen schritt gemacht haben, muß sie wohl umarmt haben. aber das weiß er nicht mehr. er erinnert sich nur, wie sie dann gegeneinander atmeten, und daß ihre wange an seiner lag.
später küßten sie sich. man würde sagen, zwei wildfremde menschen. aber das stimmt ja nicht. sie kannten sich ja schon immer, eigentlich.
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Donnerstag, 2. November 2006
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nur so ein gedanke, der mich gerade durchzuckt. ein späterer regen wird altes heraufbeschwären. heute nacht wieder allein mit schubert oder buena vista. der ferne ein seufzen abzulauschen versuchen.
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unausgeschlafen. zermürbtes licht. eine frühe, die unachtsam die dinge hinstreut wie ein übermüdetes kind. kristalliner rauch, spröde über dächer hin. wolkenferne. ahnungen von baldigem niederschlag. kaffeeleichtigkeit, die langsam aus den augen weicht. die träume bleiben zuhause und schlafen aus. das herz schlägt und bewegt dickes, müdes blut. überall ist dampf, aus mündern quillt er, aus pappbechern, aus fabrikschornsteinen, aus der hydraulik des zuges. hände halten sich fest an kalten stangen. während elegante schuhe über treppen hasten, türen aufgehen und wieder zu, selbsttätig, vertropft mir der blick über die zeilen der „Medea“. eine zeitung raschelt. eine aktentasche klickt auf. draußen rollen die felder, die vorgärten, die aufgegebenen bahnhöfe mit ihren zersprungenen scheiben, den blinden abfahrtstafeln, den schatten unter der treppe. nicht einmal ein graffito zeigt sich, kein geist.
schön war es bei dir. deinen kuß von eben noch auf den lippen, versuche ich mich zu konzentrieren. wie schnell du jedesmal wieder fort bist, in deiner welt. noch ein kreuzungspunkt, ein frierender bahnsteig, eine zugige halle, füßescharren, dünste aus erstarrtem bier und zigarettenqualm. dort lösen sich lippen und hände voneinander, ein augenblick bleibt schwebend zwischen zwei blicken ruhen, dann schwingt eine tür, du bist fort, es ist immer noch frühmorgens und ich bin schon allein mit mir selbst, so daß nichts bei mir bleibt als meine eigene bewegung.
Mittwoch, 18. Oktober 2006
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wärst ein grund, doch noch mal über die vorzüge der unsterblichkeit nachzudenken.
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