Gibt es einen schöneren, eleganteren, praktischeren, sinnlicheren Gegenstand, als gerade ihn? Er ist doch unübertroffen. Keine noch so ausgefeilte Technik kann ihn ersetzen, wenn es wirklich darauf ankommt. Er ist immer zur Stelle, funktioniert auch bei Stromausfall, ist nahezu unverwüstlich sowie leicht und unkompliziert zu handhaben; auch ist er pflegeleicht und liefert meist befriedigende Ergebnisse. Seine langgestreckte Form, seine Steifheit und die Glätte seiner Haut bestechen durch ihr schnörkelloses funktionales Design. Auch für das Auge ist er ein Genuß, und manch einen überkommt schon bei seinem Anblick der Wunsch, ihn in die Hand zu nehmen und damit herumzuspielen. Zwischen den Fingern fühlt er sich gut an, ganz gleich, ob er der eigene ist, oder einem anderen gehört.
Manchen Menschen genügt es, ihn ab und an zur Hand und in selbige zu nehmen; andere dagegen zögern nicht und nehmen ihn zuweilen auch gern in den Mund, vor allem dann, wenn sie nicht weiter wissen; andere wiederum stört der herbe Geruch und Geschmack, so daß sie schon der Gedanke, so etwas zu tun, ekelt; es soll aber sogar solche geben, die daran lutschen, ja, die gar darauf herumkauen – welch letzteres aber eine Unsitte und wovon dringend abzuraten ist.
Zwar ist er von Natur aus schön und praktisch und durch nichts zu verbessern; verspielte Menschen jedoch, Mädchen zumal, setzen ihm manchmal eine Gummikappe auf, die allerlei Verzierungen haben kann aber nicht muß: Noppen, Rillen, Fransen, Büschelchen, ja manche mögen es, wenn er ein Fellmützchen trägt. Derlei Zierat kann sogar sacht parfümiert sein. Erdbeere, Banane und Vanille sind gängige Noten und besonders bei Schulmädchen sehr beliebt. Doch so, wie er ist, ist er schon seine eigene Perfektion; alles, was man ihm sonst angedeihen läßt, alles, womit man ihn ersetzen mag, jede angebliche Verbesserung: sie sind doch nur zierendes Beiwerk. Deshalb wir man immer wieder auf ihn zurückkommen.
In manchen Kulturen bewahrt man ihn in einem Futteral auf. In anderen wiederum legt man nicht so viel Wert auf eine Verpackung. Jedenfalls sollte man ihn nach seinem Gebrauch wieder ordentlich verstauen.
Manchmal ist er hart, manchmal weich, je nach Bedürfnis, Anlaß und Vorhaben; am besten aber ist er zu gebrauchen, wenn er angespitzt ist. Man sollte aber hinterher saubermachen, damit nicht irgendwann jeder Ort, wo man ihn gebraucht hat, von seinen Spuren vollgesaut sei. Wird er jedoch oft und lange gebraucht, oh: so schrumpft er irgendwann und schnurrt zu einem lächerlichen Stummel zusammen. Er kann zärtlich sein und sacht, oder kraftvoll Akzente setzen; er kann ungestüm und unüberlegt sein, oder zögerlich und zagend seine Arbeit tun. Manchmal dauert es sehr lange mit ihm. Manchmal ist man schneller mit ihm fertig, als man gedacht hat. Und manchmal, ja, manchmal schafft er Werke von Bestand. Am schönsten aber ist es, wenn er eine Liebesbotschaft spricht.
Hier ist ein Bild von ihm.
von:
Talakallea Thymon - am: 9. Nov, 11:41 - in: verspieltes
Kann man mehrere Ohrwürmer gleichzeitig haben? Man kann. In meinem Fall sind es ungefähr 12, die summen und spielen und zupfen und singen in meinem Kopf schon den ganzen Tag. Von neuen Leuten und Kamillen, von Krampenschlägen vor Tag und von dort, wo die Malven blühn; und von einem Pfefferminzmund und schweren Händen und kühler Haut, und von einem Glas Wein, das vielleicht das letzte Glas sein wird. Ich laufe durch den Wald und über die Felder, auf denen der untergegrabne Kohl faulig seinen Duft aussendet, und lausche und lausche, und über mir ziehen schon wieder die Gänse dahin, die den großen Himmel von sich geworfen und abgeschüttelt haben, und noch einmal schreien und schreien, ehe sie auf und davon sind für wieder einen Winter.
von:
Talakallea Thymon - am: 7. Nov, 11:45 - in: Werke & Tage
Gerade gehört, und beim Hören ihr Beistand hinübergedacht ...
Die Augen schließ und schlaf, mein Kind,
was draußen rauscht, ist nur der Wind,
der Wind, der in den Bäumen weht,
wenn’s finster wird, mein Kind, der geht
bis an den Rand der Welt.
Der Rand der Welt ist immer da,
ist weit hinter Afrika,
ist ferner als die Sterne glühn,
und doch ist, wo die Malven blühn,
schon auch der Rand der Welt.
Gleich hier im Uhrgehäus, das tickt,
im See, in den der Fischer blickt,
im Kummer, der den Vater frißt,
ganz anderswo für jeden ist,
mein Kind, der Rand der Welt.
Du mußt das heut noch nicht verstehn,
du mußt nur schlafen und vorm Wehn
des Winds nie bangen, und als Mann
fährst einst vielleicht du wirklich dann
bis an den Rand der Welt.
von:
Talakallea Thymon - am: 5. Nov, 11:46 - in: egregie dicta
Wieder einmal gehe ich hinauf zu dem kleinen Friedhof in Ippendorf, oberhalb des Melbbachs; zum Grab der unbekannten Achtjährigen, Jennifer Heid, die diesen Juni 17 geworden wäre.
Erst, als ich über die Straße bin und mir die kleinen roten Flämmchen über die Mauer hinweg entgegenleuchten, geht mir auf, daß es der richtige Tag ist für einen solchen Besuch. Allerheiligen. Was für ein schöner Brauch: Nie ist der Friedhof sonst so festlich, so voll von heimlichem Licht, so voll stillen Trostes. Befangen nähere ich mich Jennifers Grab am Ende des Weges.
Es ist bei weitem das hellste Grab des kleinen Friedhofes. Die Flamme einer Schalenkerze flackert still und mutig über der dunklen Erde. Zwei Grablichter strahlen ein ruhiges Rot über die dämmervoll erloschenen Farben der vielen vielen frischen Blumen. Eine Kerzenlaterne steht an der Ecke. Menschen haben an sie gedacht, nicht nur heute, aber heute besonders, und ich möchte gerne denken, auch wenn ich nicht daran glaube, daß sie es spürt und sich dort, wo sie jetzt ist, nicht so einsam fühlt. Der Gedanke ist zu tröstlich um ihn nicht denken zu wollen. Ich trete näher heran, suche kurz die sorgsam geharkte Erde ab, und da, verborgen unter dem hellen Schimmer der Schalenkerze, da sind sie: die kleinen Marienkäferchen aus Holz, in einem Kreise eng zusammengerückt, die größeren äußeren den kleinen inneren Schutz spendend.
Wie trostlos aber sind die Dunkelheiten: Hier und dort ein Grab, dessen Inschrift langsam im Dunkel zerfällt, das schnell hereinbricht, schwarze, einsame Löcher in all dem festlichen Glanz der anderen Gräber. Tote liegen dort, die niemand mehr kennt, an die keiner mehr denkt, die niemanden mehr haben in der Welt der Lebenden. Kein Licht flackert auf ihrer Erde. Keine Blume süßt das Bittere der Winterluft. Ich blicke noch einmal zurück zum Grab der Achtjährigen. Die kleine große Flamme zuckt und flimmert, aber sie geht nicht aus. Wie wenig doch genügt, damit alles gut wird, denke ich, und wie wenig auch, um alles niederzureißen, und in diesem Augenblick möchte ich nichts ertragen müssen und wünsche ich mir, daß am Ende alles gut wird.
von:
Talakallea Thymon - am: 1. Nov, 11:49 - in: Fasti
Töpfe klirrn, Schranktürn krachn zu, der Spülschwamm seglt, Spülnaß verschleudernd, ins Beckn, Tassn und Gläser scheppppern aneinander, das Handtuch klatscht mit Wucht und feuchter Wonne auf den Stuhl.
Scheiße.
Und ich merke, wie es sich langsam, aber stetig in mir zusammensammelt, das Himmelarschundzwirndonnerwetter, und wie ich so richtig und aufrichtig und geradeheraus stinkwütnd werde auf dies und das und auch jenes. Am meistn vielleicht auf mich selbst, daß ich Idioooot wieder einmal so unsäglich dumm war, blindlings und tapfer in die schönstn Hoffnungn hineinzusegln, ohne zu sehen, ohne zu fragn, ohne überhaupt irgendetwas wahrzunehmen außer meiner eignen Faszination, meinem eignen selbstbezüglichn –
Gefessltsein.
Ich will schon zu einer Replik ansetzn (Stoff gäbs genug), da kommts mir plötzlich unsäglich albern und kindisch vor. Und wie immer bei solcher Gelegenheit verkrieche ich mich in mein Schnecknhaus, heuchle Milde und Gleichgültigkeit, tue distanzierter als ich bin und halte mal wieder meine Klappe.
Alles andere wäre sowieso peinlich und dem ohnedies schon erheblich angeknack–stn Selbstwertgefühl in allehöchstem Maße –
abträglich.
von:
Talakallea Thymon - am: 28. Okt, 08:50 - in: Wem nie durch Liebe Leid geschah
Etwas, das mir geblieben ist aus Kindertagen. Das Entzücken, eine Geschichte zu hören, eine Geschichte vorgelesen zu bekommen. Dem Unmittelbaren des Stromes von Wörtern und Sätzen ausgesetzt zu sein, die eine echte Stimme formt ... und keinerlei Kontrolle zu haben über Geschwindigkeit und Pausen, ganz der eigenen Aufmerksamkeit anheimgegeben und vertrauend: Wieviel echter war das, als es das Lesen heute ist. Wie groß dieser Bann doch war, kaum daß die magischen Eingangsworte aufklingend ihren Zauber zu verströmen begannen ... Und wieviel kunstvoller, weil entfernter, weil entrückter, weil traumhafter, als es ein ähnlich uneingreifbares Medium, der Film, je sein könnte. Manchmal noch geht es mir heute noch so, daß ich einen Text erst dann richtig zu schätzen lerne, nachdem ich ihn gehört habe.
von:
Talakallea Thymon - am: 26. Okt, 08:52 - in: Werke & Tage
Geht mir jetzt schon den vierten Tag im Kopf herum. Wispert zwischen den Schläfen. Läßt sich nicht abschütteln, überdecken, tilgen, wegreden, ablenken. Ist da und summt.
θα κεράσεις απ’το μέλι των ματιών σου
In die Räume Risse Ruhelosigkeiten hinein bleibt nur: Antwortworte verketten und weben und mir erflüstern und vorsagen, und hoffen, daß die Tage anders werden.
von:
Talakallea Thymon - am: 25. Okt, 08:55 - in: Werke & Tage
Auf einem Friedhof entdeckt. Da stehen wir, lesen und staunen in die Sonne hinein. Das ist mal wieder tiefschön und wundertraurig. Jede Bemerkung wäre überflüssig gewesen. Leider war ich leichtfertig und ein Knittern kam durch den Augenblick. Trotzdem ... trotzdem was?
Trost
Unsterblich duften die Linden –
was bangst du nur?
Du wirst vergehn, und deiner Füße Spur
wird bald kein Auge mehr im Staube finden.
Doch blau und leuchtend wird der Sommer stehn
und wird mit seinem süßen Atemwehn
gelind die arme Menschenbrust entbinden.
Wo kommst du her? Wie lang bist du noch hier?
Was liegt an dir?
Unsterblich duften die Linden. –
(Ina Seidel)
von:
Talakallea Thymon - am: 25. Okt, 08:54 - in: Werke & Tage
Die Sonne schneit ein vorletztletztes Mal auf Gräber. Licht zerwühlt Gelblaub. Blätter schlürfen an den Schritten. Leere Gießkannen stehen in blauer Einsamkeit, starren ins nadelgeschmückte Wasser, woraus ihnen ihr Spiegelbild traurig entgegensteigt. Schwarzgekleidete Trauer wartet hinterm Tor: Doch Lachen fegt alle Stille hinweg, und das Licht darf jubeln und willkommen sein. Alles ist nah und betastbar. Alles ist Jetzt und will den Augenblick sprengen. Vorher ist Nachher ist wieder vorher, ehe sich alles in einem Wirbel verabschieden darf und als Erinnerung Schönheit wird. Die Gräber umkreisen sich. Die Blicke verstecken sich bald, bald springen sie umeinander wie junge Hunde. Und da ist plötzlich schon immer alles ganz einfach. Überall lächelt es. Und die letzten Fremdheiten trugen die Marienkäfer fort nach Nimmerland.
Ein Streif und eine Berührung unter Wolle hier und Wolle da. Schritte laufen aufeinanderzu nebeneinanderher. Nichts war vorher, und die Stunden haben den langsamen Schwung ihrer Herzen eben begonnen.
von:
Talakallea Thymon - am: 24. Okt, 08:57 - in: Werke & Tage
Gerade beim Stöbern in verschiedener Autoren Mottenkisten
hier fündig geworden. Ich lese das Wort, stutze, und dann verstehe ich, und eine verschüttete Welt öffnet sich. Ein einzelnes Wort führt mich zurück in eine tintenbekleckste Holzbank. Ich habe Sand in den Sandalen und Filzstiftkleckse an den Fingern, und die Hefte und Stifte und Bücher duften fremd und aufregend und ein bißchen gefährlich. Frau Mayer-Ullmann dirigiert, und 30 Kinderkehlen plärren: „Auto fahren, Auto fahren, heute wolln wir Auto fahren“ Eine neue Seite vom „Fehlerteufel“. Eine neue Seite im Lesebuch, groß und bunt und zur Eroberung freigegeben, wie ein fremdes Land. Hefte, Ordner, rauschendes, glattes, sinnlichweißes Papier, Plastikumschläge, Schulranzen. Und: ein Mäppchen. Man kann es aufschlagen, und darin schimmern, wie Schmuckstücke auf Samt, Stifte, Füller, Radiergummi, sogar ein kurzes Lineal.
Eigentlich langweilig. Ich weiß nicht mehr, wo ich dann das andere zuerst sah, wer es hatte, wem es gehörte, wer es haben durfte, das verruchte Ding, die Verführung zur Sünde, der Feind jeder blitzenden Ordnung, herrlich und wild und viel schöner als der öde aufgereihte Schmuck der Stifte. Wie konnte ich das vergessen! Der Inbegriff aller Arten, seine Stifte zusammenzuhalten. Die ungestillte Sehnsucht meiner ersten Schuljahre und laut den Erwachsenen Anfang aller Verwahrlosung. Schlamperei eben. Was für ein schönes Wort: heute, wo ich eines habe, ohne verwahrlost zu sein, hätte ich gar keinen Namen mehr dafür gehabt. Jetzt weiß ich ihn wieder.
Das Schlampermäppchen!
von:
Talakallea Thymon - am: 21. Okt, 08:58 - in: Werke & Tage
Es hatte sich angekündigt. Etwas war geschehen, auch wenn man noch nichts davon merkte, nicht sogleich, etwas Endgültiges, war geschehen oder geschah gerade irgendwo, oder würde zwangsläufig, unausweichlich, geschehen. Keine Massenpanik, keine Flüchtlingsströme, keine Plünderungen, keine Aufrufe zur Umkehr, zum Sündenbereuen. Alles geht seinen Gang. Gleichzeitig ist alles anders, verschoben, falsch, alsobnichtswäre. Eine Kulisse? Dumpfe Angst, eigentlich eher das Gefühl, jetzt alles aufgeben zu müssen. Nicht der Tod steht bevor, sondern eine gräßlich veränderte Welt.
Später ein glühender, hitzewabernder Ozean. Daraus steigen glutflüssige Stränge zitternd und langsam, wie Schlangen oder Schleimpilze aus Öl, empor. Tropfen lösen sich aus der leuchtenden Masse, ein gelbliches Magma. Der Ozean kocht. Über dem Gezitter der aufstrebenden Fäden flimmert Glutdunst. Dunkler Himmel, violett, fast schwarz. Es ist ganz still, eine schweigende Hölle.
Später im Wasser. Ich schwimme. Da sind noch andere Menschen mit mir. Rotbraune Flächen aus irgendeiner Säure schwappen träge auf der sanften Dünung. Jemand sagt, daß es Säure ist. Ich weiß nicht, ob ich es berührt habe. Ich spüre nichts.
Dann an Land. Ein felsiges, kahles Ufer. Ich klettere barfuß über Klippen. Andere Menschen sind auch da. Überlebende? Da liegt ein Stein mit so etwas wie einer Inschrift. Ich freue mich. Irgendeiner lacht aber wütend über mich, will den Stein, den Text darauf, weghaben. Für mich ist er ein Überbleibsel, eine Erinnerung, eine Hoffnung. Ein Bewahren. Der andere weist mich ruppig darauf hin, daß das ein christlicher Text sei, in einem Ton, der mir sagt, daß mir das doch klar sein müsse. Und wirklich, da ist ein Symbol, ein Fisch? Ein Kreuz?
Später wieder die Kulisse. Ein Reisebüro. Die Welt gleichzeitig vor und nach dem Weltuntergang. Oder der Weltuntergang des einen Traumes stiehlt sich heimlich in den nächsten Traum, und bildet einen düsteren Hintergrund. Ich will verreisen, gleichzeitig ist mir klar, daß es Wahnsinn ist, jetzt ans Reisen zu denken. Am selben Tag will ich fliegen, nach Griechenland. Aber es ist alles ausgebucht, kein Hotelbett mehr frei, den ganzen August. Aber ich will ja kein Hotelbett, ich will nur den Flug. Nein, sagt man mir und sieht nicht einmal zu mir hin dabei, auch Flüge gebe es keine mehr. Da beschließe ich mit schwacher Hoffnung, zum Flughafen zu gehen und es dort zu versuchen. Ich verlasse den Schalter des Büros und zwänge mich unter enormen Schwierigkeiten mit meinem Gepäck durch eine sperrige Glastür.
von:
Talakallea Thymon - am: 19. Okt, 09:00 - in: Werke & Tage
Das Haus erwacht, wenn alle Stimmen ruhen
und eigene Gedanken läßt es weben.
Dem Schlüsselklappern will es widerstreben,
und jeder Raum zuckt fort von fremden Schuhen.
Der Dämmerflur hängt voll von Katzenblicken
die starren leer und spiegeln euer Fehlen.
Ihr Glanz im Dämmer schwebt, indes die Kehlen
der Amseln stehn voll Gold. Die Stunden ticken
in ihrem Sarg aus Zeit. Die Uhren zeigen
auf tote Augenblicke, die sich mehren.
Der Ahorn brennt. Im Grase faulen Feigen.
Dem Dielenspiegel les ich ab die Leeren
die ihr uns daließt, Taubsein, Ruß und Schweigen
und andre Geister, denen ich muß wehren.
von:
Talakallea Thymon - am: 14. Okt, 09:02 - in: verspieltes
Als ich zuletzt in dieser Wohnung war, leuchtete unten hellrot der Baum.
Es war alles anders. Nicht ich war derjenige, der Schmerz zugefügt hat. Diesen Schmerz tragen wir beide, und zu ändern ist da nichts. Es tut mir jetzt zwar weh, aber immerhin bin ich nicht der Bösewicht und Schmerzbringer, und niemand haßt mich oder ist befreiend-wütend auf mich.
Trotz all der Ichweißesnichts, die gestern zwischen uns hin- und hergingen glaube ich, sie weiß es ganz gut. Und ich eigentlich auch. Nur ist mir das alles merkwürdig zuvorgekommen. Und schlimm für mich ist, daß es nicht die Beziehung ist, an die ich nicht mehr glaube, oder die ich als unspannend oder ausgelaugt empfinde, sondern nur ein Klitzekleines, wenngleich sehr Wichtiges, wo ich Mangel fühle; sie aber ist vollkommen glücklich in diesem Klitzekleinwichtigen. Dort wo ich unzufrieden bin, ist sie beglückt. So daß sich unsere Zweifel an uns aus zwei ganz unterschiedlichen Quellen speisen. Und für mich ist es jetzt so, daß gerade das, was warm und stark in mir ist, unerwidert bleibt. Und ich fühle mich, obwohl ich es doch war, der verlassen wollte, jetzt selbst fürchterlich verlassen.
So fühlt es sich also an, dachte ich, so fühlt es sich an. Am Bahnhof langes händeringendes Warten, der Zug hatte Verspätung, dann kam er, dann stand er eine halbe Stunde und hatte „technische Probleme“; ich stand im überfüllten Gang und litt; es hieß, dieser Zug werde jetzt abgerüstet, und das Erlöschen des Lichts bedeute keine Gefahr. Ich dachte, daß das jetzt zum Lachen sei. Statt dessen dachte ich an E.s Lachen, an Vergangenes, das jetzt Geschichte war, Fahrten in die Eifel, Abende zu zweit, Kekskrümel im Bett, Kuchenbacken, Aufderterrassesitzen, Weisenkindervonnebenanbeobachten. Mir wurde mir ein bißchen übel. Dann ging das Licht aus, dann wieder an, und dann knirschte es laut im Zugdach, und dann gab es Hammerschläge, die sicher auch keine Gefahr bedeuteten, aber es gab keine Durchsage mehr, und dann ertrug ich es nicht länger und stieg aus. Wartete unschlüssig, immer und immer mit dem rohen Wüten in meiner Brust, während sich die Fahrgäste nicht entscheiden konnten, ob sie den nächsten Zug nehmen sollten oder weiter warten, und ein- und ausstiegen, bis der Zugführer einen Brüller losließ, man wolle jetzt abfahren, rein oder raus!. Plötzlich entschlossen ging ich fort. In mein Institut, dort noch ein Telephongespräch, danach war es viel besser. Später noch zu ihr, wo wir einen keuschen Abend mit noch mehr Gespräch verbrachten.
Es ist leichter jetzt. Aber die Unmöglichkeit ist schwer zu ertragen. Ich sehe aus dem Fenster, ehe ich, ich weiß nicht für wie lange, gehe. Blätter wirbeln wie Geistertiere über den Platz. Ersterben, bleiben liegen, regen sich wieder. Der Baum hat all sein Laub verloren in der Woche, in der ich nicht da war. Ich spüre mein Herz schlagen. Es schlägt und schlägt und schlägt, und es erscheint unbegreiflich, daß es jemals damit aufhören könnte. Und plötzlich bin ich sicher, daß der Baum da unten längst wieder frisches Laub haben wird, wenn ich das nächste Mal hier bin.
von:
Talakallea Thymon - am: 12. Okt, 09:05 - in: Wem nie durch Liebe Leid geschah
Der Tag will nicht. Das Licht klebt an der Nacht fest. Die Bäume schauern so leise, als wolle es gleich wieder dunkel werden. Ich bin nicht sicher, ob ich das schlimm fände. Im Zimmer ist es still, obwohl das Radio läuft. Der Gedanke streift mich, daß seit zwei Wochen die ersten Nachrichten des Tages stets das Wort „Anschläge“ enthalten. Bis auf diejenigen Nachrichten, die das Wort „Sozialreformen“ enthalten. Der Gedanke stört mich nicht. Er taucht wieder weg. Musik erklingt, die als Kammermusik von Max Reger angesagt wurde, aber so klingt, als sei sie von Schumann, vielleicht Mendelssohn. Ein weiterer Gedanke taucht auf: Was geht wohl hinter den Kulissen vor sich, wenn ein Musikstück falsch angesagt oder zur richtigen Ansage das falsche Stück aufgelegt wurde? Panik? Hektisches Herumsuchen in den CDs? Herzklopfen? Oder gelassene Heiterkeit? Und wie löst man das Problem der Verzögerung, wenn die Sendung doch bis auf Sekunden genau ausgetüftelt war? An dieser Stelle überkommt mich der Verdacht, daß meine Gedanken mir selbst zu schwierig sind. In den Scheiben ist wenig vom Hof zu sehen, nur mein Spiegelbild, wacher als ich selbst es bin, mir fremd, so fremd, als hätte dieses Gegenüber schon alles gelöst, alle Fragen beantwortet, die sich mir stellen, alle Wege schon klug beschritten, und warte jetzt auf mich, daß ich sie auch gehe. In den Scheiben sehen die Wände durchsichtig aus. Trotzdem scheint das gespiegelte Zimmer kleiner. Aber gemütlicher, überhaupt mehr wie ein Zimmer, wie etwas Wohlfühlbareres als das echte.
Als gebe es da draußen, in einem Raum, der nicht existiert, ein echteres Leben mit einem echteren Ich, das ein wahreres Leben führt als ich selbst.
von:
Talakallea Thymon - am: 8. Okt, 09:09 - in: Werke & Tage
Der Nachteil von spontanem Handeln ist: Man fragt sich hinterher stundenlang, ob es nun richtig war.
Der Nachteil von nicht-spontanem Handeln: Man fragt sich vorher und hinterher stundenlang, ob es nun richtig war.
von:
Talakallea Thymon - am: 8. Okt, 09:08 - in: verspieltes
Ein leiser Brandgeruch wie von Lagerfeuern läßt den Ort wiedererleben: ein kleiner Campingplatz in den Waliser Bergen, an einen Moränenwall mit tosendem Gletscherbach geschmiegt, im Schatten mächtiger Berge, unweit blauschillernden Eises. Gerüche hüllen mich ein, Fichtenzapfen, Harz, die Kühle, die vom Eis herabweht. Der Feuergeruch, so einer, wie damals aus den vielen Lagerfeuern des Platzes aufstieg und die abendkalte Luft würzte, wo immer ich ihn heute wahrnehme, reicht aus, mich zu entführen, und sogleich wandle ich wieder im lieblichen Ithilien, begleite edle Könige und tapfere Königstöchter in die Schlacht oder folge kleinen Helden über unwegsame Pfade, sehe den blütengekrönten Steinkopf des Königs vom letzten Sonnenstrahl getroffen werden; ich blicke auf zu den düster drohenden Gipfeln des Ephel Duath, zu den Wachfeuern entlang der Hänge der Ered Nimrais; höre den Anduin an den Stromschnellen brausen; blicke mit Gänsehaut von Osgiliath über den Strom in die Länder jenseits …; Namen und Orte tauchen auf und verzaubern mich aufs neue, dunkle und schöne Namen, Namen, die von Anmut und Herrlichkeit, solche, die von Verderben, Haß und Zerfall sprechen: Mindolluin, Minas Ithil, Ephel Duath, Cirith Ungol, Orodruin, Henneth Annûn …
Es ist nicht einfach mein Lieblingsbuch. Es ist ein Buch, dem ich viel verdanke. Nicht allein so ephemere Dinge (die damals gleichwohl bedeutend waren) wie meine Lateinnote, die sich nach den Sommerferien von einer äußerst knappen vier auf eine bequeme zwei besserte (es muß für meinen Lateinlehrer eine Wahnsinnsfreude gewesen sein; er gehörte zu denen, die die Hoffnung nicht aufgeben); nein, Wichtigeres stand auf dem Spiel: Hätte ich die in mir schlummernde Liebe zur Sprache je entdeckt? Hätte mir nicht ohne die frühe Entdeckung dieser Liebe ein eigenes Territorium, ein Rückzugsgebiet, ein Stolz gefehlt? Womit hätte ich ohne diese gegen alle Unbill schützende Begeisterung die schwierigen Jahre der Schulzeit, des Heranwachsens überstehen sollen, ohne Schaden zu nehmen? Auf welches Ureigene, mir nicht Absprechbare hätte ich mich berufen sollen, wenn ich meinen Sprachenfimmel nicht gehabt hätte? Auf welches Abgrenzungsmittel und Gegengewicht? Was hätte ich der Macht der Konformität (die nie meine Konformität war) entgegenzusetzen gehabt? Und hätte ich wohl ohne dieses Buch je das studiert, was ich dann später studiert habe? Wenn ich es nicht in einem Alter gelesen hätte, in dem sich viele Weichen stellen, ohne daß mans da schon ahnt: Ich wäre heute wohl nicht da, wo ich jetzt bin. Mein Leben wäre vermutlich völlig anders verlaufen.
Damals war es einfach nur ein spannendes Buch unter vielen spannenden Büchern, dessen wahre Bedeutung, dessen katalysatorhafte Wirkung auf mich mir nicht sogleich klar war, da es, abgesehen von der Lateinnote, erst später Früchte trug. Ich verschlang es, ohne viel darüber nachzudenken, wie ich so viele Bücher verschlang damals.
Heute treten mir sofort die Tränen in die Augen, wenn ich meine Lieblingsstellen wiederlese. Ich weine herzhaft, wenn Éomer seine bewußtlose Schwester auf den Pellenorfeldern findet. Ich heule wonnevoll, wenn die Wolken über dem belagerten Minas Tirith aufreißen und der Hahn den Morgen begrüßt. Ich vergieße wehmutsvolle Tränen, wenn es heißt, Abschied zu nehmen und das Schiff losmacht, hinausgleitet von den grauen Anfurten und langsam im Nebel verschwindet. Ich kann dieses Buch nicht mehr anders als mit tränenfeuchtem Auge zuklappen.
Es wird immer einen Ehrenplatz in meinem Bücherregal haben.
And Éowyn looked at Faramir long and steadily; and Faramir said: “Do not scorn pity that is the gift of a gentle heart, Éowyn! But I do not offer you my pity. For you are a lady high and valiant and have yourself won renown that shall not be forgotten; and you are a lady beautiful, I deem, beyond even the words of the Elven-tongue to tell. And I love you. Once I pitied your sorrow. But now, were you sorrowless, without any fear or any lack, were you the blissful Queen of Gondor, still I would love you. Éowyn, do you not love me?”
Then the heart of Éowyn changed, or else at last she understood it. And suddenly her winter passed, and the sun shone on her. “I stand in Minas Anor, the Tower of the Sun,” she said; “and behold! the shadow has departed! I will be a shieldmaiden no longer, nor vie with the great Riders, nor take joy only in the songs of slaying. I will be a healer, and love all things that grow and are not barren.” And again she looked at Faramir. “No longer do I desire to be a queen,” she said.
Then Faramir laughed merrily. “That is well,” he said; “for I am not a king. Yet I will wed with the white Lady of Rohan, if it be her will. And if she will, then let us cross the River and in happier days let us dwell in fair Ithilien and there make a garden. All things will grow with joy there, if the White Lady comes.”
“Then must I leave my own people, man of Gondor?” she said. “And would you have your proud folk say of you: ‘There goes a lord who tamed a wild shieldmaiden of the North! Was there no woman of the race of Númenor to choose?’”
“I would,” said Faramir. And he took her in his arms and kissed her under the sunlit sky, and he cared not that they stood high upon the walls in the sight of many. And many indeed saw them and the light that shone about them as they came down from the walls and went hand in hand to the Houses of Healing.
von:
Talakallea Thymon - am: 6. Okt, 09:11 - in: Werke & Tage