E. kommt spät von ihren Eltern zurück. Geht ins Bad, poltert darin ausgiebig herum, Nägelknipsen, dann Duschwasser. Dann noch mehr Poltern, Handtuchrascheln, Zähneschrubben.
Endlich neben mir. Zerknüllte Stirn, die geschürzten Lippen, von denen abzulesen ich gelernt habe: die Aufgewühltheit, den Kummer, etwas stimmt nicht.
Stille Tränen sammeln sich im Augenwinkel. E.s Brauen sind zusammengezogen. Eine Träne tropft über die Nase aufs Kissen. Braucht dafür quälende Ewigkeiten. Es ist das stille Weinen, das ich schon kenne, das mich nicht mehr aus der Fassung bringt, das sie ab und an braucht, auch wenn es schon lange nicht mehr war. Nur daß ich jetzt sofort zu bestimmten Gedanken hüpfe, wie seit langem. Ahnt sie etwas? Ist es jetzt soweit? Und wieder einmal verfluche ich mich, so lange geschwiegen zu haben. Alle wirbeligen Ereignisse der letzten Wochen und Monate schießen im Kopf hin und her.
Eine zweite Träne. Ein trauriges Lächeln. Noch eine Träne. Naseschniefen.
Endlich der Satz: „Ich muß mal ein bißchen allein sein“
Sieht gerade so aus, als würde ein schwerer, und wohl notwendiger Entschluß, zu dem ich mich nicht habe durchringen können, plötzlich für mich gefällt. Erleichterung? Es tut weh. Damit habe ich nicht gerechnet. Plötzlich sind alle Räume kalt und leer um mich herum. War der Himmel gestern auch schon so blank?
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Talakallea Thymon - am: 4. Okt, 09:16 - in: Wem nie durch Liebe Leid geschah
Dies war wohl der letzte Sonnentag, ehe es nun Winter wird für lange. Schon sammeln sich Wolken, greifen Licht aus dem Himmel, verstecken die Farben, löschen den Glanz aus den Augen der Amsel; Schatten fallen übers verspätet nachträumende Grün der Bäume her wie gefräßige Geister, und die Zweige wellen sich silbrig in der Brise, schütteln das Licht aus dem Laub und warten auf Regen.
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Talakallea Thymon - am: 4. Okt, 09:15 - in: Werke & Tage
Heute plötzlich das getragene, schwermütige Schreien der Vögel; ich sehe auf, und da sind sie, in langsam sich verschiebenden, pfeilförmigen Formationen flattern sie, immer und immer schreiend, über die Dächer, unter den grauhängenden Wolken, fort und dahin, mit unruhigem, müdem Schalg, als müßten sie das Fliegen nach langer Rast erst wieder lernen. Es ist merkwürdig still, hier unten, wo die Menschen dableiben und morgen wieder ihren rätselhaften und doch so langweiligen und albernen Beschäftigungen nachgehen. Über ihnen aber verhallt der Ruf der Vögel in der Ferne, und der Himmel sieht mit einemmal sehr leer aus, und weit, als könne er nichts mehr schützen, und als beherberge er erst recht keine Träume mehr.
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Talakallea Thymon - am: 3. Okt, 09:17 - in: Werke & Tage
Freitag letzte Woche nach Empfang einer gewissen E-Mail Heiterkeit in Bauch und Augen, die trieb mich hinaus, die ließ die Füße laufen; geschwind ging es über den Kreuzberg, zum Friedhof, am Grab Jennifer Helds vorbei, wo ich kurz stehenblieb, wie ich es immer tue (eine Schar Marienkäferchen aus Holz tummelte sich auf der schwarzen Erde zwischen den frischen Blumen), weiter dann hinunter zum Bach, und in verwildertem Gedankengestrüpp über den Steg und in den Wald hinauf.
Ich lasse die Hütte rechts liegen. Links dehnt sich hinter der Buchenallee die Wiese. Weit weg, träge über dem Gras dahintreibend, äsen Pferde, eingehüllt in Friedfertigkeit. Eicheln prasseln auf die Wege. Das Licht ist abendlich und feucht. Irgendwo im Laub schimmern die Dächer der Sportanlage. Amseln zetern ein unsichtbares Raubtier an. Plötzlich kommt mir jemand entgegen.
Kaum habe ich ihn wahrgenommen, das Rascheln seiner Schritte, die plötzliche Farbe seiner Regenjacke, wie sie aus der Wegbiegung herausflattert, da hat auch er mich schon gesehen. Im gleichen Augenblick ruft er mir zu. Ich sehe die Flasche in seiner Hand und denke, oh nein.
Eh, du, Schneemann ... du bist ein Schneemann ... Er winkt. Ich will rasch vorbei.
Er aber steuert geradewegs und unignorierbar auf mich zu. Er hat schwarzes Kraushaar, sehr dunkle Haut, afrikanische Züge. In der Linken hält er eine Rotweinflasche am Hals, in der nicht mehr allzu viel Inhalt herumschwappt. Wir umkreisen einander halb, wie zwei scheue Hunde, bleiben stehen. Es wäre unhöflich, einfach weiterzugehen.
Du bist ein Schneemann, stellt er fest. Aha, denke ich.
Ein Schneemann? frage ich zurück. Er zeigt auf mich, dann auf seine Brust.
Ich, ich bin wie du, wir sind Brüder, ich bin wie du.
Ja, erwidere ich kopfschüttelnd, aber du bist kein Schneemann.
Er stutzt, lacht dann. Du, du bist gut, sagt er und kommt näher. Der Wein plätschert in der Flasche. Unter der Regenjacke trägt er Anzug und Krawatte. Ich sehe eine Krawattennadel leise schimmern.
Schwarz und weiß, sagt er, ist das ein Unterschied? Hat das eine Bedeutung? Was ist schwarz und weiß?
Sein Akzent ist weich, ein wenig wie französisch, undefinierbar.
Ist schwarz oder weiß … ist das wichtig?
Das sind Farben, weiter nichts, entgegne ich beschwichtigend. Er nickt anerkennend. In meiner Heimat, sagt er, ist es kalt. Kälter als hier.
Kälter als in Deutschland? wundere ich mich, Wo kommst du her?
Aus Somalia.
Und da ist es kälter als hier?
Viel kälter!
Wie die meisten Menschen seiner Herkunft hat er wunderschöne Hände, die er in ausdrucksstarken, eleganten Gesten zu bewegen versteht. Da ist es so kalt, sagt er, daß die Schafe und Ziegen manchmal erfrieren.
Und dann kommt er wieder auf Schwarz und Weiß zurück und erklärt mir etwas wirr, wie Gott die Menschen geschaffen hat. Ich höre zu und wundere mich nur ein bißchen.
Ich bin normal, betont er schließlich feierlich. Normal, normal.
Mein lieber, denke ich, ich weiß nicht, was du alles bist, Prediger, Diplomat, Geschäftsmann, keine Ahnung, aber normal, na, ich weiß nicht.
Normal, normal, wiederholt er, als könne er meine Gedanken lesen, und unterstreicht die Bedeutung seiner Worte mit energischen Handbewegungen seiner schönen Hände. Ich soll verstehen.
Normal, normal.
Es ist sein Akzent.
Nomade, Nomade, sagt er, Ich nicke. Nomade, wiederhole ich.
Er nickt auch. Und Nomaden leben ewig, sind unsterblich, fügt er hinzu.
Dann ist unser Gespräch zu Ende. Bevor er sich abwendet, legt er die Hand auf die Brust und deutet anmutig eine Verbeugung an.
Ich winke ihm zu, wir gehen unserer Wege.
Noch Minuten später grinse ich. Ich denke, daß diese Begegnung eigentlich für sie bestimmt gewesen sein muß. Sie hätte auch viel besser darüber zu schreiben gewußt. Als hätte ich ihr eine Begegnung gemopst, so kommt es mir vor.
Ich schaue auf meine weißen Hände und frage mich, was von mir übrigbleiben wird: Eine Möhre, ein Besen, zwei Kohlenstücke, die naß und glanzlos in einer Pfütze liegen, wenns hoch kommt vielleicht noch ein Hut, und einen Augenblick lang wünschte ich, ich wäre auch ein Nomade mit schönen Händen.
von:
Talakallea Thymon - am: 2. Okt, 09:23 - in: Werke & Tage
Ich will eigentlich nicht mehr tolerant sein. Wenn Toleranz heißt, sich nicht mehr gegen widerstrebende Dinge zur Wehr zu setzen, dann muß ich für mich sagen: fort damit! Ich glaube, ich setze mich viel zu selten zur Wehr. Ich glaube, ich akzeptiere viel zu viel freimütig, ohne zu überlegen, daß mein eigenes Territorium schwindet. Wenn es so ist, wie einmal ein Soziologe (dessen Namen ich vergessen habe) gesagt hat, daß wir zu viele sind, um uns jemals darüber einigen zu können, wie die Welt aussehen sollte: Dann bleibt nur der Kampf, das Ringen ums Eigene ...
In Stunden schlechter Laune denke ich gar, daß Toleranz ein selbstwidersprüchlicher Begriff ist, etwas, das nicht gedacht werden kann, ohne sich sofort selbst zu negieren.
Zumindest aber läßt sich Toleranz nicht auf sich selbst anwenden.
von:
Talakallea Thymon - am: 2. Okt, 09:22 - in: Werke & Tage
Manchmal denke ich, daß, hätte ich die Macht zu zwingen und zu verbieten, ich diese Macht manchmal gebrauchen würde. Und mir graut vor mir selbst. Manchmal ist es beruhigend, keine Macht zu haben.
Reizvoll ist der Gedanke trotzdem von Zeit zu Zeit.
von:
Talakallea Thymon - am: 2. Okt, 09:20 - in: Werke & Tage
Manchmal denke ich, daß, hätte ich die Macht zu zwingen und zu verbieten, ich diese Macht manchmal gebrauchen würde. Und mir graut vor mir selbst. Manchmal ist es beruhigend, keine Macht zu haben.
Reizvoll ist der Gedanke trotzdem von Zeit zu Zeit.
von:
Talakallea Thymon - am: 2. Okt, 09:19 - in: Werke & Tage
Endlich zerblasenes Blau, blaß aber hell, sehr hell über den Ahornbäumen, und das Licht zittert, als werde es von einem ganz nahen Meer emporgespiegelt. Hinter den Büschen, wo sonst Flohmarkt ist, hört vielleicht das Land auf, und dahinter schäumen die Wellen. Drinnen hört man nur die Klimaanlage, doch wenn man hinaussieht in dieses Unruheblau, dann ist es, als müßte einen zusammen mit kühlfeuchtem Wind auch das Brausen der See anspringen, wenn man die Tür aufdrückt.
von:
Talakallea Thymon - am: 29. Sep, 09:27 - in: Werke & Tage
Von meiner Warte aus: Silberahornbäume, die nicht gelb werden wollen und sich in ihr Silbergrün verbeißen, als wollten sie die Zeit anhalten. Aus einem andern Fenster flammt es morgens feuerrot durch den Nebel. Die Mehlbeeren hängen, wie vergessene Murmeln eines müden Kindes, im satten Laub, auch dieser Baum ist nicht müde. Der Sommer löst sich widerstrebend aus dem Himmel und dem Geruch des Regens. Manches hängt an ihm fest und will ihn nicht gehen lassen. Heute Morgen sogar ein Zaunkönig, kurzes, wildes Schmettern und Trillern (als ob nichts wäre ...), seine Stimme allein, rasch wieder verstummt. Dann Schweigen, wie über eine Peinlichkeit. Dann übernahmen wieder Elstern das Kommando.
von:
Talakallea Thymon - am: 28. Sep, 09:33 - in: Werke & Tage
gerade beim blättern über ein lesezeichen gestolpert. verblüfft endlich zur kenntnis genommen, daß die wolken in der tat heute unausweichlich sind... das lesezeichen war hier: christian morgenstern: an die wolken
worauf hast du gewartet?
"... hinwandelnd durch den dämmervollen Garten/träum ich nach ihren helleren Geschicken/und fühl der Stunden Weiser kaum mehr rücken/so folg ich über Wolken ihren Fahrten ..."
Worauf ich gewartet habe? Aber ... ich warte immer noch ... immer noch ...
es war wohl einfältig zu fragen... ich hoffe, du hast nicht vor lauter warten das schlafen vergessen..was machst du mitten in der nach noch wach?
gar nicht einfältig ... zumal ich selbst nicht so recht weiß, worauf ich warte ... vielleicht sollte ich auch mal etwas TUN, anstatt zu warten.
doch einfältig, weil ich das warten doch ebenso beinahe schon zum selbstzweck erhebe. gut, mal ein ganz dicker stein im glashaus geworfen: solltest du vermutlich. vor allem wenn du es schon selber sagst. wie ich damals am beispiel fausts lernen durfte, macht man sich nicht weniger 'schuldig', wenn man nichts tut. aber einsicht ist noch nicht die besserung...
ach ja, Du hast ja recht ... aber das Handeln fällt schwer, weil es bedeutet, notwendigen Schmerz zuzufügen. Und Du hast auch damit recht, daß ich mich schuldig mache, und umso mehr, je länger ich warte ...
Aber ich habe Dir noch keinen guten Morgen gewünscht. Das sei hiermit nachgeholt!
Auch Dir einen guten Morgen (sogar ein verirrter Sonnenstrahl hat gerade seinen Weg hierher gefunden).
Ich bin wohl weder wissend noch weise genug, Dir zu raten. Doch mir scheint, Du weißt im Grunde, was zu tun ist?
ja, das weiß ich nur zu gut. Aber ... kein aber.
(hier auch ein Fädchen Sonne ... und jemand hat sogar das allerblasseste Blau über den Himmel gepustet.)
nein, wirklich kein aber. eigentlich ist es gar kein glashaus mehr, in dem ich sitze... ich hab die wände längst zerstört und friere ein wenig und lache dabei. und ich täte, wenn ich mehr tun könnte und es mir einfiele und richtig schiene.(solltest du wirklich warten, daß ich sage tu, dann: tu!)
Da Du in Glashausruinen frierend lachst -- schließe ich richtig daraus, daß auch Du tatenlos weißt, was zu tun wäre?
in bezug worauf? bis auf das eine große lernen habe ich so langsam alles getan was ich konnte, stück für stück weiter gestrickt und gewoben, mich auch verheddert, sicher. aber außer noch einmal mehr alles aufräumen bleibt nun nicht mehr viel, was ich noch zu tun wüßte, nein.
In bezug auf das Große und Ganze? Das Leben? Das Universum und der Rest?
Aber ich bin wohl noch gut dran, wenn ich wenigstens weiß, was ich tun sollte. Schlimmer ists wohl, nicht weiterzuwissen.
Aufräumen und entheddern: Vielleicht einen langen Gang über verschlammte Felder, die Stimme in die Luft werfen und sehen, wie weit die Gedanken reichen. Zurück im Kerzenschein vielleicht mehr Klarheit und einen kühleren Kopf. Ich weiß es nicht.
... ich glaube, ich bin heute etwas verbiestert und vor allem humorlos ... ich hoffe, ich gehe Dir nicht auf die Nerven ...
der regen zur schlammherstellung setzt hier gerade ein. auch wenn ich kein feld in der nähe weiß. mich nerven? dann bist du nicht verbiestert sondern verblendet. aber ich bin nicht gut darin, launen zu verbessern, ich weiß. und wieder einmal tut es mir leid, aber.. wofür sollt ich mich entschuldigen, nein heute nicht.
Du brauchst meine Laune gar nicht zu verbessern. Meistens bin ich froh, sie zu haben, so oder so. Ich will nur niemandem damit auf den Nerv gehen. Und wünsche mir, daß mich jemand erträgt. Und wenn ich das schon mal weiß, bin ich auch gleich besserer Laune.
Entschuldigen??? Ja, warum solltest Du? Und wofür?
zu sagen ich weiß es nicht, wäre falsch. ich kann mich nicht entscheiden. aber man soll sich nicht so oft entschuldigen. vor allem wenn man objektiv vermutlich...jetzt bin ich aber völlig im schlamassel.
glaubst du, du seist schwer zu ertragen?
(hoffe es funktioniert...)
hab einen schönen tag!
Oh, Polly, wie lieb von Dir! Danke!
(ich bin nicht schwer zu ertragen, glaube ich, fürchte mich aber davor, es zu sein)
tja, so bin ich bekanntlich. anderen auf die nerven zu gehen ist seltsamerweise auch eine meiner größten befürchtungen.
dies sind die tage desverwunderten kopfschüttelns. aber zum denken bin ich nun zu müde. gute nacht und guten morgen.
von:
Talakallea Thymon - am: 28. Sep, 09:29 - in: Werke & Tage
Mantelloser Schlaf, schutzloser Regen, der Fernsehturm stochert im Nebel und blinzelt mir unheilvoll zu aus einem scharfroten Auge. An. Aus. An. Mechanisch. Erbarmungslos exakt. Zerstörte Trinkergesichter lauern an der Supermarktkasse. Genervt klappert der Müllschlucker und schluckt. Tropfen fallen von stillstehenden Fahrradspeichen. Oben, hoch oben, die ersten erleuchteten Fenster, sehr weit weg.
Der Herbst ist das, was sonst, und wie jedes Jahr scheue ich mich, einzutreten. Meine liebste Jahreszeit, und doch ist sie mir Aufgabe, das Bewältigenmüssen von etwas, das gelebt sein will. Aber wie? Wie?
von:
Talakallea Thymon - am: 27. Sep, 09:37 - in: stundenbuch
Plötzliche Todesangst jenseits der Dünnhaut des Schlafs: Schlimm nicht der Gedanke an das Ende an sich, sondern die Wucht der Einsicht, daß ich nichts, aber gar nichts von dem, was mir wirklich wichtig ist, geschafft habe. Und so wäre es nicht genug. Zu viel lastend Ungelebtes. Zuwenig Gelebtes. Es wäre einfach nicht genug. Es wäre bitter.
Aber täuschen wir uns nicht. Es wird wohl nie genug sein.
von:
Talakallea Thymon - am: 27. Sep, 09:34 - in: stundenbuch
Nun wart ihr dort. Und unter wärmern Sonnen
seid ihr gewandelt, in den Händen Licht,
und trugt des Hundssterns Glanz im Angesicht.
Nun müßt ihr heim: Da sind der Tage Wonnen,
ach!, über Nacht euch wieder öd geworden
und der Platanen drange Sonne stumpf
und voll von Weh. Der Nymhe Marmorrumpf
friert unterm Brunnen, und der Wind heißt Norden.
Der Wein schmeckt schal und schon nach nächstem Morgen.
Ihr wollt noch wachsein, und die Wochen neuern:
Und wollt vom Jetzt euch noch ein Fristchen borgen.
Doch weil der Ferne Reiz sich in euch stemmt,
müßt ihr zurück zu heimatlichen Feuern:
Denn Fremdes ist nur süß, solang es fremd.
von:
Talakallea Thymon - am: 26. Sep, 09:40 - in: verspieltes
Vor einigen Wochen von der Vielfarbigen geträumt. Eine nächtliche Fußgängerzone, Kleinstadt, drei Gassen kreuzen sich unter dem Streuschein unsichtbarer Laternen, vielleicht ist es auch der Mond, der den stillen, von schweigenddunklen Häusern oder Läden begrenzten Raum mit Nebellicht füllt. Wir hatten ein Treffen vereinbart. Stille, kein Mensch unterwegs. Nur sie ist da, wartet schon, sieht mich nicht. Ich nähere mich. Wußte ich schon, wen ich treffen würde, wußte ich es von Anfang an? Ich glaube ja. Sie steht abgewandt. Es ist Th. Ich weiß es, ich muß es nicht sehen. Sie bemerkt mich, dreht sich um. Erkennt mich.
Das entscheidende Bild: Th.s in Fassungslosigkeit aufgerissene Augen. Ihr Erschrecken, daß ich es bin.
von:
Talakallea Thymon - am: 24. Sep, 09:43 - in: Werke & Tage
Der Zauber hat lange schon zu wirken begonnen, wenn man ihn endlich merkt. Und wenn man zu ahnen beginnt, wie mächtig der Bann ist, hat er seine Macht voll entfaltet. Diese Weblog-Geschichte ist schon seit einiger Zeit dabei, selbständig zu arbeiten, eigene Kräfte zu entwickeln und die Lenkung zu übernehmen. Wohin geht es? Drei Monate schreibe ich jetzt hier, und schon ist das alles gar nicht mehr wegzudenken. Verwirrend. Es gibt für so etwas kein Vorbild, nichts durch irgendeine Ähnlichkeit Vergleichbares, das auf die Art dieser Beziehungen, dieses Austauschs und Abtastens verwiese. Etwas wirklich Neues scheint da zu entstehen, oder nein, ist schon entstanden, ist schon da und wirkt mit Macht, noch ehe wir es einordnen oder irgend etwas darin voraussehen könnten. Es ist eine völlig neue, sehr ungewohnte, manchmal waghalsige Art, sich zur Welt zu öffnen – und gleichzeitig unverwundbar verschlossen zu bleiben. Vielleicht verstehen wir oft selbst nicht, wie tollkühn das alles ist, weil wir immer im Nebel tappen, und wissen, daß die anderen auch nichts sehen können. Wer hätte unter diesen Bedingungen noch Scheu, sich der Kleider zu entledigen und nackt zu tanzen, und dabei den anderen lautstark zuzurufen, was man gerade tut? Nur die heimliche Angst bleibt und prickelt, es könnte einmal alles auffliegen und der Nebel zerreißen und uns, wie wir gerade nackt tanzen, in hellem Sonnenlicht bloßstellen. Und diese Angst und dieses Prickeln schleichen sich in unsere Träume. (Und wollen wir es nicht manchmal?)
Wir werden Wege finden, dieses Merkwürdige zu prägen, es zu leben, uns darin widerzuspiegeln und wiederzufinden. Dies ist kein Gespräch in irgendeinem schon bekannten Sinn. Dies ist kein Kundgeben des Eigenen, wie wir es aus irgendeiner früheren Welt kennen könnten. Und wenn wir uns voneinander angezogen fühlen, und die andere Stimmen auf einmal ganz nah klingt im Nebel, dann sind diese Nähen keine Freundschaften in irgendeinem ihrer bisher erlebten und mit Namen versehenen Sinne und Weisen. Es ist eine ganz neue, zum ersten Mal geführte und zu führende und auszugestaltende, noch zu formende, noch auszuprägende Form der Beziehung. Aber wie leicht kann man sich, können wir einander und uns selbst täuschen – weil wir ausgerüstet mit alten, in einer anderen Welt erprobten, in einer anderen Welt entwickelten Vorstellungen und Begriffen in diese neuen Beziehungen purzeln.
von:
Talakallea Thymon - am: 24. Sep, 09:42 - in: Werke & Tage
- Lassen sich in Minutenschnelle erstellen
- Führen die abstrusesten Gemeinsamkeiten der gegensätzlichsten Dinge vor Augen
- Lassen sich über alles führen
- Sind ein probates Mittel der Selbstdarstellung
- Können Verwirrung stiften und sind ungenau
- Können widersprüchlich sein
- Können selbstbezüglich sein
- Können formalen Ordnungsprinzipien gehorchen
- Können inhaltlichen Ordnungsprinzipien gehorchen
- Können undurchschaubaren Ordnungsprinzipien gehorchen
- Können Ränge und Abfolgen abbilden
- Können als Steigerung oder als Bogen formuliert sein
- Sind manchmal offen und regen zum Weiterführen an (unvollständige Liste)
- Lassen manchmal kein weiteres Element zu und zählen die Gegenstände einer Domäne vollständig auf (vollständige Liste)
- Können Pro und Kontra vor Augen führen
- Können mit scheinbar Unpassendem überraschen
- Sind blau. Manchmal auch grün.
- Lassen sich iterativ auf sich selbst anwenden (1Listen von (2Listen von (3Listen … (nListen)n…)1 von Elementen
- Wollen auch bei mir manchmal vorkommen
Dinge, die gut riechen
- die Küche meiner Großeltern
- ein Sonnenblumenfeld um 3 Uhr morgens
Gar nicht so schlecht (und besser als ihr Ruf) sind:
- das innere mancher Kraftfahrzeuge
Lieber nicht
- Klassenzimmer nach zwei Stunden Latein
- die Hausdruckerei der Universität zu Köln
- ein Schankraum um 8 Uhr morgens
von:
Talakallea Thymon - am: 23. Sep, 09:45 - in: verspieltes
Auf Wege, die in fremde Sonnen führten,
begabt ihr euch, noch eh es wollte tagen,
und ließt euch dorthin, wo noch Traum ist, tragen,
auf Straßen, die schon viele Füße spürten.
Jetzt seht ihr Myrten stilles Licht umträumen,
und schmeichelt sicher euch der Pinien Duft.
Der Mittag sengt, es zirpt die enge Luft,
um Stämme, die ins weite Blau sich bäumen.
Das Ferne hoher Städte, sanfte Mauern
denk ich mir für Euch aus, eh es will tagen,
und steh am Tore unter Sternenschauern.
An Wegen, die in fremde Sonnen führen,
richt ich an euer Fernsein meine Fragen:
und träume dann, mein Bündel selbst zu schnüren.
von:
Talakallea Thymon - am: 21. Sep, 10:14 - in: verspieltes
Hats wirklich müssen sein, und war dein Wille,
es ausgerechnet jetzt herbeizuweben?
Willst du, ich bitte dich, mir Rechnung geben?
Ich ruf zu dir. Um deine Tat ist Stille,
und an die Stille grenzt die blinde Brust:
so rat ich nur. Und suche zu ergründen,
wohin dein Ratschluß strebt, für welche Sünden
du uns bestrafst mit solcher schweren Lust.
Verdienten wirs, mit solchem Schmerzentzücken,
mit solcher Glückeslast beschwert zu werden?
willst du uns wohl, was mußt du uns bedrücken,
willst du uns weh, wieso quillt dann die Lust
so überreich, daß wir uns toll gebärden,
wenn du uns einmal rührtest an die Brust?
von:
Talakallea Thymon - am: 17. Sep, 10:59 - in: verspieltes
(Norberto)
Wichtig wäre auch,
über den Umgang mit den vielen, vielen Fremden nachzudenken, welche durch die Wälder sausen, die Räume bevölkern, nachts in eine Disco gehen möchten und auch noch Geld verdienen wollen, wovon indirekt (über Steuern) dann die Bibliotheken finanziert werden können.
(T. Th.)
welche Fremden?
Im übrigen ist es mir ganz recht, wenn die Leute, statt über den Wald herzufallen, sich in der Disco taube Ohren verschaffen, oder die Leihbibliothek finanzieren. Leider glauben auch diese, sie müßten mal raus aus der Stadt. Einsamkeit ist nun mal eins von den widersprüchlichen Gütern, deren Inanspruchnehmen mit ihrer Vernichtung einhergeht. Wenn alle einsam sein wollen, ist es keiner mehr. Wenn alle das Schwimmbad nutzen wollen, kann es keiner mehr richtig nutzen, dasselbe gilt für die Bibliotheken. Zum Glück (noch) nicht für Schulen, wohl aber schon für Universitäten.
Was Dein Kommentar aber mit meinem Eintrag zu tun hat, verstehe ich nicht ganz.
Um trotzdem noch dabei zu bleiben: Es ist ein alter Hut, daß viele Errungenschaften, Tätigkeiten, Angebote und Leistungen, vor allem kultureller Art, von allen Angehörigen einer Gemeinschaft finanziert, aber nur von einer Minderheit genutzt werden und auch nur genutzt werden können. Das ist insofern nicht traurig, als sich die Mehrheit überhaupt nicht dafür interessiert; es ist aber doch traurig, weil sie ja dafür teuer zahlen und ihnen etwas aufgebürdet wird, das sie nicht einsehen können (anders etwa als beim Gesundheitssystem, das auch die Gesunden wollen müssen); auch ist es ein flaues Gefühl, im Kulturschaffen finanziell von denen abzuhängen, die sich für Kultur nicht interessieren.
Auf der anderen Seite bedeutet der gegenwärtige Zustand nicht, daß es der einzig denkbare Zustand ist. Eine Gesellschaft, in der das Interesse an Kultur bei allen ihren Mitgliedern gleichermaßen ausgeprägt wäre, dürfte kaum das Ende der Kultur bedeuten.
Ich schweifte ab. Und habe immer noch nicht verstanden, was Dein Kommentar bedeutet.
(Norberto)
Mein Kommentar sollte daran erinnern, dass es noch andere Dinge gibt, die wichtig sind. Da du nur von deinen Freunden usw. gesprochen hast, habe ich daran erinnert, dass wir wesentlich auch mit Fremden zusammenleben. Dieser Aspekt des öffentlichen Lebens, wo auch Geld verdient werden muss, fehlt in deiner Liste.
Etwas allgemeiner formuliert: Du fragst nicht, unter welchen Bedingungen die von dir genannten wichtigen "Dinge" realisiert werden können; du nennst nur schöne Ziele, einen Wunschkatalog. Aber bekanntlich sind die Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat, vorbei.
(T. Th.)
Ich wünsche nicht. Ich mache darauf aufmerksam, daß das, worauf es ankommt, mit Geld nicht zu kaufen ist. Und daß wir (ja, wir) trotzdem wie die Irren dem fehlenden Gelde hinterherjammern. Das mag eine banale, ja triviale Einsicht sein, wenn es aber so ist, warum sieht die Welt dann so aus wie sie aussieht? Natürlich kann einem das Liebesleben gestohlen bleiben, wenn der Magen knurrt; ich glaube aber nicht, daß es möglich ist, mich in dieser Weise mißzuverstehen. Sollte sich in dieser Auflistung jemand nicht wiederfinden, so sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es sich um eine rein persönliche Werteliste handelt, die niemandem aufgezwungen werden soll und mit der ich auch keine Politik zu machen wünsche. Wer sich aber darin wiederfindet, der versteht vielleicht, worauf ich hinauswill. Auch möge jeder sein eigenes in Gedanken hinzufügen.
Die Leihbibliotheken tanzen hier etwas aus der Reihe, da sie mit Geld verwirklicht werden, das irgend jemand verdienen muß. Aber die Bereitschaft, Kunst zu machen, ein Buch zu schreiben, die Fallgesetze zu studieren -- die ist vom bereitstehenden Geld völlig unabhängig. Das Buch steht in dieser Liste für die künstlerische und überhaupt kulturelle Lebensäußerung und Lebensverwirklichung -- wozu ich auch Wissenschaft und Religion zählen möchte.
Im übrigen ist diese Erläuterung schal und überflüssig und nimmt meiner Auflistung ihren Reiz. Wenn sie überhaupt einen hat, das sei dahingestellt
von:
Talakallea Thymon - am: 12. Sep, 10:20 - in: O tempora, o mores!
- ein erfüllendes Liebesleben (für Geld nicht zu haben)
- viele viele Freunde (für Geld nicht zu haben)
- die Nähe und das Gespräch geliebter Menschen (für Geld nicht zu haben)
- Bücher (noch gibt es öffentliche Leihbibliotheken)
- die Zeit, Tage in schöpferischer Muße hinzubringen (für kein Geld zu haben – oder für sehr viel)
- wilde Wälder, saubere Seen, klare Luft (für Geld nicht zu haben)
- menschenleere Räume (für Geld nicht immer zu haben)
- gutes Essen (für wenig Geld zu haben)
- Schreiben (für Geld nicht zu haben)
- nächtliches Schweigen und eine Nacht unter freiem Himmel (für Geld nicht immer zu haben)
- sich an den Lebenswundern dieser Erde freuen dürfen (für Geld nicht zu haben)
von:
Talakallea Thymon - am: 11. Sep, 10:17 - in: stundenbuch
Singula quid referam? nil non laudabile vidi
Nach dem Warten: Computer runterfahren, Fenster zumachen, noch ein Schluck Wasser. Tief durchatmen. Tür abschließen. Gang, endlos langer Gang. Glastür. Herzklopfen. Treppenhaus, noch eine Glastür, noch mehr Herzklopfen. Das Foyer. Verschwitzte Hände, trockener Mund. Zittrige Beine. Hastiger Abtastblick von Gesicht zu fremdem Gesicht. Da: Du. Du von weitem. Du näher. Du ganz nah.
Dein Lächeln. Neu, so neu, und ich erschrecke darüber, wie wirklich Du in Wirklichkeit bist, als hätten sich alle meine Gedanken an Dich (der letzte vor dem Einschlafen, der erste beim Erwachen) mit einem Mal als falsch und andirvorbei erwiesen; nein, leuchtet es mir plötzlich ein, so bist Du ja in echt. Und es schmerzt mich zu sehen, daß Du so viel schöner bist, als ich mir Dich, solange Du fern warst, in Erinnerung rufen kann, übersteigend schön. Plötzlich sind nicht drei Wochen, sondern Monate vergangen.
Ich setze mich neben Dich, die Worte bröckeln, kantig und zittrig, versperrt in der Kehle liegend, und während sich der Herzschlag langsam beruhigt, beginnen wir, uns unsere eigene Sprache wiederzuerfinden und wiederzuschenken … langsam öffnen sich die Tore zu einem herrlichen, viel zu rasch dahinrollenden, viel zu früh wieder schrumpfenden Spätsommernachmittag.
Ein Nachmittag, der erst lange vorbei sein muß, ehe Worte ihn erfassen, und rückblickend neu erschaffen können.
von:
Talakallea Thymon - am: 10. Sep, 10:24 - in: Nympha, mane!