Donnerstag, 14. Dezember 2006

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der erste rückschlag, die erste kursänderung des romans: ich kann nicht über „unsere generation“ schreiben, wie gerne ich es auch täte, mit wieviel wut im bauch: es geht nicht, weil es nicht „meine generation“ ist. ich kann mit dieser generation nichts anfangen, und Florian Illies hat wohl leider recht. eine gegendarstellung von mir kann kein wir enthalten, nur ein ich. das ist schade, weil es dem gegenentwurf die wucht nimmt. es bleibt nur ein kümmerliches selbszeugnis. ich habe keine genossen.
sich zum sprachrohr einer generation machen wollen, ist auch nicht gerade der beste grund, eine längere prosaerzählung in der volkssprache zu schreiben. unbescheiden außerdem. man könnte auch sagen größenwahnsinnig. nur mal so angemerkt. auch wenn ich wirklich sehr gerne die frage nach dem was wollten wir? gestellt und beantwortet hätte.


Hier ein Versuch

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nun wieder:
sammeln, punktgenau sein.
es ist nicht mehr gleich, welche wälder aus der morgendämmerung der seele wachsen. das mycel bleibt in die nacht verbannt, wo es ein trockenes brot speist, fruchtkörper plant und dem eigenen puls lauscht. was der mond macht, darf uns einstweilen nicht aufbringen.

war es je anders? ja.

nun wieder:
nach innen atmen.
wir haben uns wieder in stunden verwandelt. wild wedeln die arme wie zeiger. uns erreicht die nachricht, daß zeit ansteckend sei. im grunde haben wir es immer schon geahnt.

nun wieder richtungen
die kalenderblätter verfolgen ernste absichten. warum, ist, wie so vieles, unklar. man nimmt es zu protokoll und hakt es ab.

nachrichten
je alltäglicher die nachricht, desto früher wird sie gesendet. ja banaler die nachricht, desto lauter die stimme. der tod ist ganz leise. fast unhörbar. die sicherheitsbeamten stehen lauernd umher, wollen ihn dingfest machen.
ein für alle mal.

nun wieder:
das nächste fest planen, als sei schon sicher, daß wir es noch erleben werden. grölen vor lachen, während ein schnapsgefüllter riesenschnuller vor der brust baumelt wie die eigenen abgeschnittenen genitalien, nach perserart.

die seufzer alle einsammeln und unter formalin aufbewaren. vielleicht kommen sie uns noch einmal zupaß. später, wenn wir den mond rückwärts erzählen und unser schoß erkaltet ist in der eigenen hand.

im kreis
juppsasa tirallala, und immer im kreis, keine gedankenstille vorschützen, weiter weiter, schön ist ein zylinderhut, im kreis im kreis wie die räder rollen, geradewegs in die zukunft, und wer sie als erster erreicht, hat gewonnen, vorwärts marsch, vorwärts und marsch und das fröhliche tanzbein geschwungen, trink, bruder, trink, wir schaffen die nacht ab und den kater, wir töten die dunkelheit und die stille, wir vergiften die traurigkeit, wir knüpfen die sehnsucht auf, tanze tanze ringelreihn, wer bremst, verliert, wer denkt, ist selber schuld, heute wolln wir fröhlich sein, wllon wir löhfrich, wloln wir föhlrihc föll wrrr wollich chchcfrrrrwllll …wlllllichöllfrrrfffrfrrfr … rffrrlllch frl …



Mittwoch, 13. Dezember 2006

Episode

gestern abend
ich wieder im zug
du wieder am bahnsteig

später
du wieder am steuer
ich wieder auf dem beifahrersitz

später
du wieder auf mir drauf
ich wieder in dir drin

nicht viel später
du schon da
wir wieder gleichzeitig

nachts
ich wieder an dich geschmiegt
wir wieder schlaf an schlaf

heute morgen
du wieder kaffee ans bett
ich wieder unausgeschlafen

später
du wieder am bahnsteig
ich wieder im zug

jetzt
du wieder in deiner kleinen stadt
ich wieder in meiner kleinen straße



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Dienstag, 12. Dezember 2006

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wieder erinnerungen, wo man bereit ist, sie nicht zu erwarten: das brot im knisterlaub, in die helle geschrieben. wabernde schaufenster, müde verkehrsampeln.
laub im hof: in ständigem kreis kratzen wieder die sterne ans fenster. die altäre stehen leer. moos auf den knien von statuen, den flügeln von engeln, spitz wie schulterblätter. zwei schwerter des behutsam aufgehobenen glücks, messerscharfen glücks. ein ichkannnichtmehr, dessen blaßrosa schrift verläuft und eins wird mit erde und duft. klarsichthülle um abschiedsbrief, während schritte sich entfernen, handinhand, und der kies leise knirscht, als schäme er sich, ein geheimnis preisgeben zu müssen.


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Montag, 11. Dezember 2006

Performanz

Ich scheue Situationen, in denen eine performance von mir verlangt wird. Alle Arten von Gesellschaftsspielen, öffentliche Geschenküberreichungen, Ehrungen, ritualisiertes Feiern wie Hochzeiten und Geburtstage, insofern sie mit Spiel und Auftritt verbunden sind, zudem Aufforderungen wie "Erzähl doch mal einen Schwank aus deinem Leben", sowie gespielte Dialoge in Sprachkursen sind mir ein Greuel. Das allerallerschlimmste aber: Kennlernspiele. "Wir lernen uns jetzt gaaaanz ungezwungen kennen". Komisch. Ich könnte mir kaum eine gezwungenere Form des Kennenlernens vorstellen. Löst bei mir schlagartig den Fluchtreflex aus. Einmal mußte ich als vierjähriger in einem Sommertagsumzug als völlig alberne Biene verkleidet mitlaufen. Der Gedanke daran treibt mir noch heute die Schamesröte ins Antlitz. Ein anderer performativer Supergau ereignete sich auf einem Kindergeburtstag. Vielleicht ist das Spiel bekannt: Einer der Gäste wird als Zielscheibe der Verarschung ausgewählt (schon das ist ein Vorgang, den ich nie begriffen habe. Was ist das für ein Spiel, in dem eine einzelne Person ausgewählt wird, damit sie sich den Spott aller übrigen im anschließenden Bloßstellungsritual zuziehe?) und muß einen Moment das Zimmer verlassen, während die anderen in den Verlauf des "Spiels" eingeweiht werden. Dann wird der Spottvogel hereingebeten, alle setzen sich im Kreis um ihn oder sie herum -- und es passiert erst einmal gar nichts. Bis dem/der Ausgewählten etwas dämmert ... Das ganze endet damit, daß alle in grölendes Gelächter ausbrechen, wenn die Zielscheibe endlich naiverweise das erlösende Hä-warum-macht-ihr-mir-alles-nach ausspricht. Was schon die ganze merkwürdige Pointe des Spiels ist. Ich beging damals den Fehler, daß ich mich weigerte, das Offensichtliche, nach dem alle gierten, ausszusprechen. War ich denn bekloppt? Ich hatte es begriffen, ok. Warum mußte ich es denn noch sagen? Warum mußte ich so tun, als sei ich ahnungslos? Es endete damit, daß ich für ungefähr eine Stunde ein geächteter Buhmann war. Ein Spielverderber. Weil ich mich dagegen gewehrt hatte, mich nach den Regeln eines Spiels bloßstellen zu lassen, wurde ich jetzt in Wirklichkeit bloßgestellt.

Donnerstag, 7. Dezember 2006

Lösung

Lachen.

Windmühlen

mich zurückziehen oder mich weiter aufreiben in einem widerstand, der rein innerlich bleibt und mir nur schadet? wenn die frage überhaupt sinnvoll ist. meine wut, meine entrüstung, meine fassungslosigkeit manchmal, darüber, daß die welt einfach nicht hinhört, wenn ich einen bescheidenen anspruch an sie habe, ist primär. unhinterfragbar. ausgangspunkt.
wie damit umgehen?
wenn es einen rückzug gibt, wie sähe er aus? wohin überhaupt, noch weiter ins innerliche? aber die entrüstung ist ja auch schon innerlich, die wut eine wut des vergeblichseins. ich kann nichts ändern. die autos werden weiter fahren, der baustellenlärm wird sich nicht ausschalten lassen, durch kein handeln von mir, selbst der schärfste protest meinerseits würde nur ein der-ist-ja-bekloppt-vogel-zeigen ernten. man würde mein anliegen ja nicht einmal verstehen.
der rückzug müßte entweder darin bestehen, daß ich die tatsächlichen ereignisse, die mich kränken, eliminiere, indem ich ihnen ausweiche. das ist kaum zu bewerkstelligen, vor allem deswegen nicht, weil ich als zoon politikon von denen abhänge, die mich kränken, sei es auch nur über den umweg der verhältnisse, die, so wie sie nun einmal sind, auch mir zum vorteil gereichen. gereichen müssen, denn ich kann mich gar nicht gegen sie entscheiden. nehmen wir an, ich richte an die stadt Bonn eine offizielle beschwerde. der lärm dieser baustelle sei nicht tolerierbar, die schläge der bohranlage kilometerweit vernehmbar, durch geschlossene türen und fenster nicht aufzuhalten, die art des lärms, diese rhythmischen, metallischen, hart nachfedernden explosionen und das klingende stein-auf-stein seien eine folter; an konzentration sei nicht zu denken; schließlich gebe es menschen, die zu hause arbeiteten und ruhe bräuchten etc. was würde ich damit erreichen? im besten fall eine antwort, die phrasen wie „haben Sie bitte verständnis“ und „gemeinwohl geht vor einzelinteresse“ enthielte. was weiter? der gerichtliche weg: aussichtslos, und obendrein noch mit der schmach der niederlage verbunden.
aufgerieben.
oder der rückzug besteht darin, sich einfach nicht mehr kränken zu lassen. den lärm einfach mit wohlwollen betrachten. aber schon der gedanke ist eine zumutung.
ich will das nicht hören müssen. ich will einfach nicht. diesen lärm nicht und all den anderen auch nicht.



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Mittwoch, 6. Dezember 2006

abgelenkt

abgelenkt.
eigentlich müßte man ja froh sein über jede ablenkung. seminararbeit schreiben, referat vorbereiten, einkaufen, wäsche aufhängen, kochen, weblogeintrag schreiben, es gibt so viel zu tun. und wenn es der letzte müll ist, und das ist es, bei näherer betrachtung, meistens. also nicht zu nah rangehen. nicht zu genau prüfen, wozu und weshalb und ob da draußen noch jemand … überbrücken, heißt die devise. irgendwie es bis zum tode schaffen, hinbringen, verplempern, verkichern, wäsche bügeln, glasmüll sortieren, patiencen legen, mensch-ärgere-dich-nicht-spielen. kette rauchen. pennen. das ist eigentlich das beste. egal was. nur nicht darüber nachdenken, mein gott. und wenn du schreiben willst, wenn du meinst, daß du diese qualvolle methode der ablenkung wirklich willst, bitte. dann tu es. aber sei dir darüber im klaren, daß es auch nur eine ablenkung ist. du könntest auch ins bordell gehen. oder masturbieren, wenn dir ersteres zu teuer ist. oder die seminararbeit zuende schreiben. oder oder oder. es spielt keine rolle. es ist nur zeitvertreib. was soll die phrase „sinnvoll nutzen“ denn in der sterbestunde noch bedeuten? ist es dann leichter? glaub das mal nicht. und nach der sterbestunde spielt es ohnehin keine rolle mehr, ob du masturbiert oder einen roman geschrieben hast.
lenk dich ab, denk nicht zuviel nach. geh auf den weihnachtsmarkt, da lernst du, was frohsinn bedeutet. schmier dir zuckerwatte ins hirn, reite auf einem plastikpferd durch jingleglöckchenklingelsüßerniegedüdel und freu dich des lebens. egal. ganz egal. natürlich könntest du anfangen zu glauben. aber damit würdest du dir selbst widerstreiten. du wüßtest ja nicht einmal, worin der unterschied zwischen dem glauben an zwerge, an Zeus, an einhörner, oder an Isis besteht. bah, widerlich. jetzt weiche ich auch noch aus, um ja niemandem auf die füße zu treten.
verdrängen, im sirup der ausgelassenheit ertränken, im rausch des heititei auf weinfestfahrt mit schnapsschnuller ummen hals ersaufen. das ist leben. das ist großartig. das ist die wahre kunst des lebens, das sich der ablenkung hingegeben hat, was ja das vernünftigste ist. so merkt man das sterben nicht so sehr, das alltägliche, stündliche. bis es dann soweit ist, hat man sich amüsiert, wenigstens. und die zeit ist doch wie im flug vergangen, nicht? nicht einziges mal darüber nachgedacht. eine tolle zeit gehabt. ganz ohne kopfschmerzen.
ich geh mir jetzt mal ein bier holen.





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Dienstag, 5. Dezember 2006

Lexothelminthes (4)

im grunde genommen ist es nicht ganz richtig zu sagen, daß ein wort, das den lexothelminthen instantiiert, „im ohr nachklingt“. da klingt nichts. viel eher geht das wort „im kopf herum“. es scheint plötzlich auf, so als wolle man es gerade aussprechen. es kommt einem in den sinn, oder, wenn noch ein bildhafter ausdruck gestattet ist, es „liegt auf der zunge“ – nicht als etwas, das, in die ränder des bewußtseins eingeschlungen, dem wachen erinnern gerade nicht zugänglich, doch eben als existenz erahnbar ist; sondern als etwas, von dem man den sanften zwang verspürt, es zu vollziehen: es auszusprechen, wenn auch nur innerlich. der ausdruck im ohr haben oder im ohr klingen ist schon deshalb falsch, weil es nicht der klang des wortes ist, der sich zwanghaft ins bewußtsein schiebt, sondern die vorstellung seiner motorischen realisierung.
geradezu typisch für den lexothelminthen ist es, aus einem text zu springen. so klang mir gestern abend nach der Apuleiuslektüre beim spülen das verb periclitari im ohr nach. fremdsprachliche lektüre scheint sich überhaupt besonders als auslöser zu eignen. mal war ist es latein, wie gestern, oder damals, als ich zum erstenmal intensiv die Metamorphosen des Ovid las, poetische wörter wie amnis, nemus, pentralia; ein andermal neugriechisch oder spanisch. fachwörter bleiben auch leicht hängen: ich erinnere mich, daß ich beim lesen von Th. Kuhns „Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ das wort transversal innerlich nachzusprechen mich genötigt fand. oder namen: tagelang ging mir die lautfolge Cirith Ungol nicht mehr aus dem kopf, und noch heute kann sie eine ganze welt, die der lektüre, wie die der wirklichkeit, die das lesen lebensweltlich umgab, heraufbeschwören wie ein feiner, seit kindertagen nicht mehr vernommener duft.

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ist diese allerorten grassierende BAUTÄTIGKEIT eigentlich irgendwie ursächlich mit jenem unsäglichen FEST verknüpft ("muß vor dem FEST noch fertigwerden"; "ist 'ne überraschung für mami"; "sieht so hübsch aus unterm baum")?

oder mußten noch schnell die restmittel des jahresetats für straßenbau ausgegeben werden?

ist mir egal. es ist mir hier zu laut für die jahreszeit. ich wandere aus in leisere klimate.

pst! (silentium)



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Montag, 4. Dezember 2006

ars poetica

so tun, als gäbe es das alles nicht.

so tun, als gäbe es das alles nicht: und doch schöpfen daraus. und entgegnen. und widerstreiten.

so tun, als ob es kein widerspruch wäre und von vorn anfangen, ja, ganz von vorn. ohne marschgepäck. leben von dem, was am wegesrand wachsen mag, in den wäldern, in der wildnis und im meer. klar. im meer. fluten, foeten, flimmern von sonne. und quallen, medusen, was brauchen sie zum leben, außer dem licht, das sie durchschimmert und sichtbar macht?

also von vorn beginnen und so tun, als sei noch nie ein wort … anders geht es nicht. von dem leben, was mich als licht durchschimmert und sichtbar macht.

achte ich auf andere, reibe ich mich auf und zerteile mich, und jeder teil wird zur unmöglichkeit. so ist schreiben und erzählen einfach nicht möglich. man darf sich die frage nach dem wozu-noch-mehr nicht stellen, niemals. man darf es nicht denken, weil es nicht auszudenken ist, genausowenig, wie man sich die frage nach dem großen-und-ganzen nicht stellen darf, nach dem leben nicht, niemals.

wir leben. ich lebe. ich erzähle. ich dichte. das ist nicht der gegenstand einer frage.

sondern die allererste voraussetzung. für den ganzen rest, sollte noch was übrig sein.


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ja ja ja! laßt uns noch etwas zum LÄRM der welt hinzufügen auf daß nie mehr STILLE sei und wir den gräßlichen ruf des unendlichen nicht hören müssen



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Dienstag, 28. November 2006

Lexothelminthes (3)

eine andere frau, jahre später, welten entfernt, hieß Halkomelem, ein wort, das eine indianersprache aus der familie der Salisch-Sprachen bezeichnet. wir nahmen beide an einem seminar über diese sprachfamilie teil. sie saß mir gegenüber, hatte herrlich dicke rundungen und breite hände und duftete nach kamille. ich erinnere mich, daß sie lächelte, als sie mir kopien weiterreichte. einmal hatte ich gefehlt. das gab mir die gelegenheit, sie ein paar tage später, als ich ihr auf dem weg zur mensa begegnete, anzusprechen und mich nach dem verlauf der vergangenen sitzung zu erkundigen. ich erinnere mich, daß sie an jenem tag einen langen, dunklen mantel trug. sie war hinter einer eibenhecke aus einem winkel des weges erschienen, und ich hatte sie zuerst gesehen. sie ging langsam, besonnen, ruhig, vielleicht in gedanken. die hände hatte sie in den taschen. ihr haar glänzte rot. kamillenduft strömte von ihr aus. ihr blick ruhte sanft auf mir, so daß ich mir heute, wenn ich an die begenung denke, unruhig und zappelig und fast ein bißchen laut vorkomme. sie war älter als ich, viel weiter im studium, war hilfskraft und mit den dozenten auf du. während sie mir zuhörte, ging ihr blick halb über die starke brille. ich vergaß sofort wieder, was sie über das seminar berichtet hatte. wir lachten, glaube ich. ihr mund lächelte mit großen, weißen zähnen. da wurde sie für mich selbst zu einer indianerin, und das wort, das sich in meinem inneren ohr festgesetzt hatte, dieses schöne, geheimnisvolle, erdige Halkomelem, wurde von diesem tage an ein name für sie, ein kamillenüberströmter klang, der mit dem roten haar, der körperfülle, der wachheit dieser frau zusammenhing. oder vielleicht kein name, aber doch so etwas wie ein zu ihr gehörendes klangmal, ein lexikalisches totem. nie hätte ich es aussprechen wollen, geschweige denn sie so nennen. vielleicht läßt es sich am besten so sagen, daß ich sie als Halkomelem dachte, sie selbst, oder ihren anteil an unseren begegnungen. Aber auch alle bezugspunkte, die uns, sie und mich, über dieses seminar verknüpften, hatten in dieser eigenschaft etwas von Halkomelem an sich und atmeten etwas von diesem namen aus. und auch indianersprachen, merkwürdige syntax, ejektive, nursery tales oder die gepflogenheiten, die räume und das personal des instituts, wo sie sich als stätten der begegnung hergegeben hatten.
zuletzt aber würde der beginn dieser geschichte, wenn es eine geschichte gäbe, diesen namen tragen, würde die später vergangene farbe dieser ersten tage einmal so heißen, und das geheimnisvolle wurzelwerk des zufalls, der uns zueinander geführt hatte.


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Montag, 27. November 2006

Lexothelminthes (2)

ich habe einmal – das ist lange her, aber ich erinnere mich dessen als eines bedeutenden teils der größeren geschichte, in die es eingeschlungen ist – ich habe einmal eine woche lang dem englischen wort elegy innerlich nachgelauscht. es wurde so etwas wie ein lexikalischer ohrwurm, und es überschrieb eine ganze reihe von gefühlen, die alle mit der bekanntschaft eines mädchens verbunden waren; in dieser begegnung hatte jenes wort eine rolle gespielt, so daß es sich der geschichte dieser begegnung, in deren mitte ich mich nun befand (oder hoffte mich zu befinden) als überschrift, als titel, als name herlieh. dabei war es ganz zufällig dieses wort, das mir blieb – es hätte jedes andere sein können, sofern es nicht ein allzu abgenutztes gewesen wäre – und es hatte für die geschichte, für ihren beginn, ihre entwicklung und ihre bedingungen, keinerlei bedeutung. monatelang war das gesicht dieses mädchens an den unmöglichsten stellen des schulhauses aufgetaucht und wieder verschwunden, bis ich es plötzlich in nächster nähe erblickte, in dem orchester, dem ich beigetreten war, eine reihe hinter mir, unter den oboen. ins nahe gerückt, wurde sie mensch, verdichtete sie sich zu einem bündel entzückender eigenschaften, die alle aus dieser herangerücktheit flossen. mit einem mal war sie jemand, der mich sah und von mir wußte. worte waren möglich, ein lächeln der wiedererkennung, ein nicken der begrüßung, ein gespräch: und es konnte nicht anders sein, daß ich mich in sie (oder in die nähe, in die sie gefallen war?) verliebte. wir probten damals ein sehr langsames, sehr ruhiges, gegen ende der zehnminütigen spieldauer sich dramatisch aufbäumendes stück von John Barnes Chance, das ich sehr liebte. Sein Titel: „Elegy“. mehr als die vielschichtigen, tragischen klänge des stücks blieb er mir haften, als wäre es der name des mädchens gewesen.


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Freitag, 24. November 2006

Lexothelminthes

wörter die ich mag, nutzlose aggglomerate von klang, bedeutung, feldern, vernetzungen, tunneln und räumen, reiser, kuckuckslichtnelke, sturmlampe
machmal blieb etwas aus Gelesenem hängen, ein ohrwurm, könnte man sagen, dessen melodie aus der abfolge der laute, vielleicht aus dem plan der zu ihrer realisierung erforderlichen zungen- und lippenbewegungen, dem rhythmus, der sich aus der dauer der laute und aus der betonung ergibt, und vielleicht auch dem verlauf der stimmhöhe ergibt. trollblume, atmen, gezweig. die bedeutung spielt für den ohrwurm keine rolle, denn wie jeder ohrwurm ist es eine insistierende erinnerungsschleife, die sich selbst immer wieder aufdrängt und zu ihrer inneren stummrealisierung aufruft. so sind worte wie melodiefragmente, klingende bögen, akkordverbindungen, motivische tonfolgen. und wie in der musik dem motiv oder sogar dem einzelnen akkord, so hängt auch diesen sprachohrwürmern (lexothelminthen) eine stimmung an, der hauch einer bestimmten welt, eines schmerzes, einer erwartung, einer hoffnung, verzweigt sich aus dem lexothelminth heraus eine kleine eigene welt. halkomelem, penetralia, nemus, amnis was bestimmt diese welt? nicht die bedeutung des wortes, das den lexothelminth ausmacht. auch nicht der klang, in dem er sich verfestigt hat. der klang oder der klangplan oder das abbild dieses klanges im innern ist nur seine realisierung, seine bedeutung ist zufällig. aber wörter haben nicht nur klang und bedeutung, sondern sie sind auch knotenpunkte in einem netz von beziehungen. zu anderen wörtern. zu grammatikalischen informationen wie kasus, präposition, konjugationsmuster. zu standardumgebungen, mit denen es zusammen eine kollokation, eine phraseologie bildet. aber auch, und das ist wesentlich für den lexothelminth: zu texten, in denen das wort vorkam; zu menschen, die es gebrauchten; und zu situationen, in denen es ausgesprochen wurde, groß war oder klein, laut oder leise, und auf die eine oder andere weise wirkung bewies.



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Donnerstag, 23. November 2006

Zateli, Z.

Ich lese gerade hier, daß die Veröffentlichung des neuen Romans von Z. Zateli, "Το πάθος χιλιάδες φορές" (etwa: "Die Leidenschaft tausend Mal"), für 2007 geplant ist. Darauf warte ich exakt seit 2002, und zwar auf den Moment genau seit ich die letzte Seite ihres letzten Romans gelesen habe.
Jemand hat einmal von ihr gesagt, sie schreibe ihre Bücher in Abständen wie Rehe Junge werfen. Diesmal scheint sie sich beeilt zu haben.

Mittwoch, 22. November 2006

Greinstraße

vormittag. die bäume streifen den himmel, und das eigene antlitz schwimmt hohlwangig in den pfützen umher. wohin man auch geht. glockengeläut kratzt an den erinnerungen.
und gehen muß man viel, zwischen buch und buch. tastaturengeklimper. aufzüge. und wieder der mittag, schwer, schwankend, kopflastig vornüber geneigt. man dreht einen bleistift träge zwischen den fingern. keine stimmen für gemütlichkeit, ein singen, ein singen. abstoßende sirenen, die der fremde, dem draußen, der weite das entzücken stahlen. bitteres klebt an den illustrierten. feuchtkalt wellt sich das papier auf der toilette. nasse socken, kaltes laminat. spinnengeister erheben sich in den ecken, während der rücken schmerzvoll über der tastatur hängt.
die geschichten verhaken sich.
blut strömt zur leibesmitte, das ist immerhin schöne ablenkung. wärme, wallung, schwellung. um sich selbst kreisen und dabei alte worte wieder auspacken. das klingt wie: es war einmal. gemeint aber ist: so war es. das kann man sich nicht oft genug klarmachen. manchmal vergißt man das jetzt. weil das war nicht mehr gegenwärtig ist.
mich ängstigt die asymmetrie alles lebendigen, aller zeit. die zukunft nimmt stetig ab. die vergangenheit wächst linear. immer mehr gibt es zu erinnern. immer mehr zu wissen. immer mehr zu lernen. irgendwo las ich, daß die kunst des erinnerns in wahrheit eine kunst des gezielten vergessens sei. mit dem alter könne man immer schlechter vergessen. weshalb man immer weniger behielte.
so ist es wohl. alles tritt immer unmittelbarer an einen heran. und bleibt dort hängen. während man geht und geht und geht.
vormittag. und am himmel die zweige … die pfützen sagen nichts. schon gar nicht, wer mein spiegelbild ist.


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Montag, 20. November 2006

Greinstraße

draußen der wind, als hätte die jahreszeit sich nun endlich ihrer selbst besonnen. die pappelblätter sind an den himmel verraucht, am silberahorn zerspalten sich die farben. alle ferne hat sich dem nahen hingegeben, und die welt endet am nächsten zweig. warten, darauf, daß sich die tage wiederholen. ich knibbele an der haut neben den fingernägeln, bis es blutet. die zeit schmerzt mich. in bibliotheken geht früh das licht an.
die welt flüchtet sich ins innere von häusern, und die lichter, deckenstrahler, leuchtstoffröhren, tischlämpchen haben vergessen, daß es ein draußen gibt. alles ist drinnen, herzschläge, buchzeichen, hoffnungen, gletscherspalten.
das war immer schon die zeit. ein ausatmen bis an den grund der welt. diese zeit. die wiederholung der erinnerung selbst. nicht dessen, woran man sich erinnert. doch das gefühl, daß alles, was man gelebt hat, nie etwas anderes als eine erinnerung gewesen ist.


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VOCES INTIMAE

... for we have some flax-golden tales to spin. come in! come in!

Kommt herein, hier sind auch Götter ...

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