Samstag, 26. Februar 2005

Frühreifunreif

Ein seltsames, sich selbst in Verwirrung begegnendes Unausgewogensein aus Verfrüht und Frühreif einerseits und verträumtem Spätdran, ja, schneckenhäuslichem Zurückbleiben andererseits. Das war ich. Manchmal denke ich, das ist es immer noch mit mir, mein Wesenszug, daß ich so uneins mit mir bin, und beheimatet zur selben Zeit in verschiednen Zeiten, Teenager noch, Erwachsener schon, dummer Bub und verstockter Greis in einem.

Kein Wunder, daß ich nicht aus noch ein wußte, Wurde geschlechtsreif im dreizehnten Lenz, las aber noch Kinderbücher. Wunderte mich über meine weiterhin völlig unbeflaumten Körperstellen. Selbstspiel mit 2 entdeckt, mit 20 erst kam es zum Anderspiel. Schockiert, als ich mit 14 eines Nachmittags sehen mußte, daß es sich in den Achselhöhlen der Mädchen erwachsen kräuselte (plötzlich waren es keine Altersgenossinnen mehr, und das schlimmste, meiner übern Augenblick erwachsenen Angebeteten war ich – Kind noch immer – nicht gewachsen, mußte aufgeben, ein Abgrund zwischen uns). Voller Zärtlichkeitswunsch seit 13, aber die Mädchen fremde Wesen, und nie hätte ich den Mut gehabt, eine in Öffentlichkeit zu küssen oder auch nur händchenhaltend durch die wachsamen Gänge des Schulhauses zu wandeln. Ja, noch 22jährig mit der ersten Freundin erinnere ich mich an das Schwindelgefühl, als wir am Morgen nach der ersten Nacht im Café saßen, uns gegenseitig mit den Augen am Ineinanderstürzen hinderten oder unter aller Augen küßten. Unheimlich war das. Schön zwar. Trotzdem schauten in diesen Augenblicken alle uns zu, ich spürte es so deutlich wie das Warme ihrer Lippen. Jugendlicher Widerständler und Oppositioneller, Aufbegehrer und Freiheitskämpfer, doch nie das Bedürfnis, abends mit Gleichaltrigen wegzugehen. Komponierte künstliche Sprachen. Lernte seit der achten Klasse Latein mit dem Feuereifer eines Studenten, wußte mit 14, was ich studieren wollte – aber war zu verträumt, auch nur zu denken, andere Quellen (Uni-Bibliothek) könnten mir offenstehen. Andere Jungs gingen Biertrinken und heimlich rauchen, ich spielte auf der Straße Ritter und schnitzte mir ein Holzschwert. Schwärmte jedoch im selben Alter für Musik von Händel und Pergolesi, und begann, mir Altblockflöte selbst beizubringen. Baute ein Segelschiff aus Pappe, das für Playmobilfigürchen geschaffen war und experimentierte zur selben Zeit mit ausgefallenen Masturbationstechniken. Las den "Herrn der Ringe" neben Prinz-Eisenherz-Heftchen.

Lange war ich furchtbar verliebt in eine Klassenkameradin, die ich irgendwann einem andern Mädchen verkünden hörte, sie „fahre nur auf ältere Jungs ab“. Komisch, ich fuhr nie auf jüngere Mädchen ab. Wohin sollte das führen? Erste Freundin eigentlich mit neun, dann aber erst wieder mit Zweiundzwanzig. Doktorspiele weitestgehend übersprungen, bis auf einen kribbelnd gemeinsamen Klogang. Küssen geübt mit meinem Bruder.

Zerrissenheit will mir als Wort dafür einfallen. Doch vermutlich ist es immer und bei jedem so. Ist es ein Zeichen des Erwachsenwerdens, daß die Dinge plötzlich nicht mehr zueinander passen wollen. Nur: Es scheint sich seitdem so verflixt wenig daran geändert zu haben.
Talakallea Thymon - 12. Jan, 12:27

(26.2.05 21:15)
Muss denn ein Mensch immer altersgerecht in seinem Fühlen und seinen Neigungen sein? Ich finde gerade solche kleinen Fluchten ins Kindsein bei anderen sehr sympathisch. Ich erlaube sie mir selbst übrigens auch. Wenn es mir schlecht geht, teile ich mein Bett gern mit Howard. Das ist ein Teddybär. Ich bin 38. Na und? :-)



(27.2.05 18:45)
glaube auch, es ist weniger nur Zeichen von Erwachsenwerden als auch von Erwachsensein. Daß man in vollem Bewußtsein Widersprüche in sich vereinen kann. Daß man aus dem Schwarzweißschema herauswächst. Vielleicht, wenn man dann wirklich reif wäre irgendwann, dann fühlte es sich auch nicht mehr zerrissen an?
Dachte letztlich, so gut Charaktere in Buch und Film auch angelegt sein mögen, die wahre Vielschichtigkeit eines Lebens können sie nicht vermitteln. Sich deswegen als Mensch schlecht zu fühlen, weil man nicht eindimensional genug ist, wäre ja närrisch so gesehen. Ich weiß, das meintest Du nicht. Aber es fiel mir hierzu ein.
Halte übrigens meine Tigerenten-Wärmflasche und mein Schnuffelkissen ständig in Ehre.



rosmarin / Website (28.2.05 00:05)
manchmal frage ich mich, wo meine seele stehen blieb. manchmal denk ich: bei 18, dann bei 4, dann bei 28, dann bei 35. ich kriegs nicht raus. aber nie ist sie mit dem äusseren meines selbsts und dessen was von ihm erwartet wird - ein.



(28.2.05 10:03)
@Beck: Meine Plüschtiere! Die hatte ich ja ganz vergessen zu erwähnen. Jedoch würde ich das bei mir nicht als Flucht bezeichnen. Tatsächlich krallte ich mich bei einsetzender Pubertät ins Kindsein fest -- übersah dabei jedoch, wie unfreiwillig erwachsen ich schon längst war -- in mancherlei Hinsicht. Während sonst ich Kind war -- und manchmal bis heute wohl geblieben bin.
@Pollykrohm: Ich bin nur verblüfft über mich selbst -- jetzt. Damals war ich wohl eher weniger reflektiert über mich. Jedoch glaubte ich damals wie jetzt, daß mein Erwachsenwerden -- sollte es je stattgefunden haben -- in vielerlei Hinsicht untypisch war.
@rosmarin: Kennst Du den Roman "Ein fliehendes Pferd" von Walser? Darin vertritt der Protagonist die These, daß jeder Mensch ein bestimmtes Alter habe, von Geburt an, das unabhängig von tatsächlich gelebten Jahren sein ureigenes Persönlichkeitsalter sei. Ich frage mich, was das in meinem Fall wäre.
@alle: Allmählich beginne ich zu ahnen, welcher Art Beiträge zu Kommentaren animieren.



(28.2.05 10:56)
Dass es ein jedem Menschen innewohnendes unveränderbares Persönlichkeitsalter gibt, ist ein interessanter Gedanke. Das würde erklären, warum ich lange Zeit älter geschätzt wurde als ich war, und jetzt jünger. :-)

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