Werke & Tage
bleibt man doch da. obwohl nachts wieder an den grenzen der tränen spazierengegangen.
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Talakallea Thymon - am: 16. Apr, 12:02 - in: Werke & Tage
Zu früh zurück in die Welt aus Licht und Stimmen. Zu früh wieder auf Reisen. Die Räume zu weit; zu verwirrend und zahlreich die Details; die Fenster voll fremder Himmel. Der prasselnde Strom aus Einzelnem, unüberschaubar; die Abfolge der Überraschungen, die jede neue Stunde, sich aus der alten lösend, hinwirft; die Vielzahl der Zimmer, ein jedes voller Möglichkeiten, alle beängstigend; ich bin überfordert. Ich kann nicht so viel auf einmal.
Ich kann den Instinkten der Heilung nicht nachgehen, die mir nur die konzentrierte, gesammelte Ruhe hat schenken können. Morgens der Neanderthaler, dann die Hauptseminararbeit, dann Mittagessen, Henry Miller, Schlaf. Kaffee und Teilchen. Dann Herodot bis zum Abend, bis in die Nacht, vielleicht abgelöst durch die weitgespannten, langsam voranschreitenden, zum Einhalt zwingenden Perioden Prousts. Und das in einer schönen Folge von Tagen, logisch und richtig im Ablauf, und keinem Zweifel unterworfen: Wieso sollte man auch etwas anderes machen, wenn das vom Vortage so gut tat? Ich wußte nicht, was richtig war, habs einfach getan; und nun geht es nicht mehr.
Ich bin traurig darüber, daß ich glücklich war, ohne es zu wissen, und mich selbst aus diesem blinden Glück wieder verbannt habe, vor der Zeit. Nun bin ich in Lärm und wenig überzeugender Lautheit, in einer wirren Abfolge von Dingen und Kenntnisnahmen, eine so beliebig wie die andere. Nun steht nur noch eine Reise bevor. Und dann trennt mich nur mehr ein schmaler Abend, feinhäutig und ohne Schutz, vom Poltern, der Hast, der Lautheit und Grelle des Alltags. Dann ist wieder Montag. Dann tragen die Tage wieder Namen, jeder einen anderen.
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Talakallea Thymon - am: 16. Apr, 11:41 - in: Werke & Tage
Vor mir auf dem sofa hinter dem bildschirm sitzt die clownspuppe und lächelt mich schüchtern an. Ein trauriges lächeln, hilflos, sommersprossig und so verloren unter dem wirren haar. Warum bin ich hergekommen, denke ich, ein fehler, ich kann ja nirgends hin. Ich fühle mich elend und nach decke über dem kopf und alleinsein, und ich kann nirgends hin. Gestern war es doch so gut. Heute überall die umzugskartons, ich darf nicht helfen, aber zurückziehen kann ich mich auch nicht. Wie stille es war gestern und vorgestern. Wie wundervoll. Warum mußte ich gehen? Hab mich doch gefreut auf die reise, hab mich gefreut, daß ich wieder zu kräften … Nein. Alles zuviel und zufrüh. Bin selbst eine Clownspuppe. Ich will nach hause zurück und in die stille meines zimmers. Und dort weiter gesunden. In die ruhe der letzten fünf tage zurück. In die mitte der schonenden sammlung, des regens auf der terrasse und dem kaffe nach mittäglichem schlaf. Zurück in die Räume, die von Miller, Ovid, Herodot und dem neanderthaler abgesteckt worden sind. nach haus. Unter die decke, unter die dunkelheit. Wenn es nicht so traurig wäre, vor die eltern hinzutreten und zu sagen, ich fahr wieder, es ist so traurig, sagen zu müssen, es tut mir nicht gut, und dann … die lange lange bahnfahrt, der graue rhein. Die möwen. Die verlassenheit der clownspuppe, die einem aus den scheiben zurücklächelt, dahinter die wolken ... der fluß ... noch einsamer als es gewesen wäre, wär ich nie weggegangen.
Fast wäre ich dann glücklich gewesen.
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Talakallea Thymon - am: 14. Apr, 22:28 - in: Werke & Tage
Das mit den wackersteinen war gar kein so schlechter vergleich.
Wieder zu hause. Etwas hilflos und kopflos in diesem käfig aus vertrautem. Die abende sind später als bei meinem aufbruch, der morgen ist früher. Die rotschwänze haben nicht gewartet auf mich. Nur die krümel auf der anrichte, die saftkreise, die tomatenstielansätze, die sind noch dieselben. Ich habe bedarf an zuviel ruhe. Ich hab keinen bedarf am späten licht. Ich finde auch im dunkeln den lichtschalter.
Im zickzack-kurs durch die räume freier zeit, viel bleibt da rechts und links einfach liegen.
Ich träume wieder. Das recht zum träumen aber gesteh ich mir nicht zu.
Vorhin draußen. Ich bin entwöhnt. Eine woche leise töne, enge grenzen, überschaubare räume, langsame regungen: Und schon komme ich mit dem anprall des lärms und der geschwindigkeit nicht mehr klar. Halb vier nachmittags, und die straßen brausen, das licht zittert, die häuserwände donnern. Zuviel, zuviel, ich möchte schützend die hände übers gesicht schlagen, den kopf abwenden, die schultern einziehen. Fast presse ich mich an die häuserwand. Der wind kommt beladen mit fahrzeugen. Fahrzeuge, so viele so schnelle fahrzeuge, waren die vorher auch schon da?
Rasch wechseln licht und schatten in der engen straße. Die menschen werden von ihren plastiktüten vorangetrieben.
Keine mitbewohner da, und ich drehe die lautstärke auf. Endlich. Wie ein schrei brausen die streicher, ein stellvertretender schrei, ein ersatzschrei, weil man den eigenen noch immer nicht wagt.
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Talakallea Thymon - am: 10. Apr, 12:51 - in: Werke & Tage
nachdem mir meine hausärztin in den schillerndsten farben die zu erleidenden schmerzen ausgemalt hatte:
„sie werden natürlich innerlich schmerzen haben, ganz klar, es wird spannen, sie werden das gefühl haben, der bauch ist zu eng, es wird beim bewegen ziepen, sie werden das gefühl haben, daß sie da statt zwei kunststoffnetzchen zwei wackersteine eingesetzt bekommen haben … da werden sie froh sein, noch nicht sofort nach hause zu müssen …“
nachdem mir also meine hausärztin vorgeschwärmt hatte, wie toll das alles sei, nicht ohne nachblutungen zu erwähnen und erschöpfend auf die drainageschläuche einzugehen, war der ton im krankenhaus selbst sehr entspannt. der arzt und ich plauderten, während die schwester meine armvene perforierte („geht das im sitzen oder kippen sie?“).
der arzt war sehr lustig („dort werden sie dann noch rasiert … also nicht im gesicht, falls sie jetzt denken …“), die schwester, die mir blut abnahm, nicht weniger. der arzt erklärte mir, was ich schon x-mal in den letzten vierzehn tagen gehört und gelesen hatte, es würde der bauch mit Kohlendioxid aufgepumpt (wußte ich schon), eine kamera und zwei geräte eingeführt (wußte ich schon) ein kunstoffnetz am bauchfell festgetackert (der ausdruck „tackern“ war neu) und auch am schambeinknochen (die information „am schambeinknochen“ war neu). auf meine bange frage, wie ich mich nach der op fühlen würde, antwortete der arzt grinsend, langfristig gut.
und kurzfristig?
der arzt zögerte. nun, unmittelbar nach dem aufwachen sei ich zu benebelt, um irgendwas zu spüren, begann er vorsichtig. die schwester aber verdehte mitleidsvoll die augen, während sie ein röhrchen an der kanüle wechselte.
„aber dazwischen … !“ stöhnte sie und schüttelte, schwach seufzend, den kopf.
der arzt führte dies genauer aus:
„dafür, daß sie zwei postkartengroße wunden im bauch haben werden, so etwa“ – und er machte mir dies anschaulich, indem er mit einer handbewegung eine ungefähr einen quadratmeter große fläche abgriff – „dafür also wird es ihnen vergleichsweise gut gehen.“
die schwester zog die kanüle heraus und ich eine grimasse. „mal eine weile fest drücken. so ist gut.“
ich fühle mich schon jetzt gut aufgehoben.
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Talakallea Thymon - am: 2. Apr, 11:23 - in: Werke & Tage
einmal erzählte mir E., wie sie in griechenland auf dem markt eine wasserschildkröte gekauft habe. es gibt in Athen ganze straßenzüge, in denen allerlei haustiere zum kauf angeboten werden, volieren mit vögeln sind da aufgereiht, käfige mit hamstern, mäusen und kaninchen, wasserschildkröten in großen eimern. so eine wasserschildkröte, ein kaum kinderhandgroßes tier, kaufte E.; bekam ein gefäß mit, ein eimerchen vielleicht, oder eine plastiktüte mit wasser, ich weiß es nicht mehr, und damit ging sie nach hause.
und da war sie nun, die wasserschildkröte, bei E. zu hause. saß in ihrem eimerchen, hatte das köpfchen halb aus dem wasser erhoben und paddelte verloren mal hierhin, mal dahin; und als sie das erzählte, da legte E. ihre stirn mitleiderregend in falten, weitete die hilflosen augen und bewegte die angewinkelten arme wie beim schwimmen, so sei die wasserschildkröte in ihrem eimerchen herumgeschwommen, sagte sie, „das war so traurig, wie die wasserschildkröte allein in ihrem eimerchen herumschwamm, das köpfchen halb aus dem wasser, – wo bin ich, was mach ich hier? –, ich hab das nicht ertragen“, sagte sie und machte noch eine hilflose schwimmbewegung.
anderntags brachte sie die schildkröte zurück zum händler. „Δεν μπορώ“, sagte, sie, „ich kann das nicht.“ der händler nahm das tier zwar zurück, das geld wollte er E. aber nicht herausgeben.
ab und an denke ich an diese wasserschildkröte und wie E. die arme anwinkelte und die stirn in falten legte, und es greift mir ans herz.
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Talakallea Thymon - am: 31. Mär, 13:29 - in: Werke & Tage
mitten im lauf erstarrte
plötzlich
zenon angesichts
des widerspruchs
sagt man
der streit widerstreitet
sich selbst
und endet
im streit
von:
Talakallea Thymon - am: 20. Mär, 10:05 - in: Werke & Tage
... fürs erste geändert.
von:
Talakallea Thymon - am: 8. Mär, 16:24 - in: Werke & Tage
ich schrie gegen die wand
die wand
blieb weiß
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Talakallea Thymon - am: 7. Mär, 09:29 - in: Werke & Tage
man will gerne ablehnen. man möchte gerne zurückweisen, auch wenn es nichts zum zurückweisen gibt, weil ja keine vorschläge oder aufmichzugänge vorkommen, die man zurückweisen könnte; man möchte gerne abweisen, obwohl man es sich eigentlich nicht leisten kann, man möchte gerne abweisen, weil man es sich nicht leisten kann.
von:
Talakallea Thymon - am: 6. Mär, 12:09 - in: Werke & Tage