Werke & Tage
niemand
schreie ich ins nichts
und das nichts
nimmt es hin
das schweigen hat viel raum
da kann man schreien so viel
man will.
paßt immer noch ein
keil verzweiflung
hinein irgendwo
zwischen einmal stille
und zweimal stille
wieder schweigen?
nein
jedes
schweigen
hat ja seine eigene maske
und darunter
wir selbst, unerträglich
gespiegelt
jede keine antwort
ist eine neue keine antwort
ein nie gehörtes kein ja
ein ganz frisches kein lächeln
wie ein frühlingsmorgen
ja, jedes abwenden
lächelt auf seine eigene weise, und
jedes mal leerbriefkasten
fügt dem warten
ein neues steinchen zu
hart wie glas
draus baut man sich einen palast
da ist viel platz, wie im nichts
zeit hat man ja nun
genug
von:
Talakallea Thymon - am: 24. Feb, 12:16 - in: Werke & Tage
das gastmahl war; und nun?
zitterte mit verschlungenen eingeweiden durch die gedehnten stunden des nachmittags, schlich mich zum einkaufen, wankte zurück. sah dreimal im seit gestern gepackten rucksack nach, ob ich alles hatte, wein, stadtplan, die CD vor allem. legte mich aufs bett mit trockenem mund und klopfendem herzen, lauschte dem gluckern im bauch, stand wieder auf, ziellos. aß noch etwas, was zuviel war. legte mich wieder hin, hörte musik, zuletzt, kurz vor dem aufbruch, Brahms. sah noch einmal nach: die CD war immer noch da. schrieb endlich in dicken lettern „DIE ANGST“ auf einen notizzettel, faltete ihn zusammen sooft es nur ging, und auf der rheinbrücke, genau in der mitte des stroms, warf ich das papier in hohem bogen in die graubraun strudelnde flut; wartete, bis es unter meinen füßen davongeschwommen war. atmete. da war mir tatsächlich leichter.
und dann geschah das gastmahl.
von:
Talakallea Thymon - am: 21. Feb, 11:49 - in: Werke & Tage
die nacht vor meinem geburtstag war es, da kam plötzlich der gedanke: irgendwann werde ich ebensolange nicht mehr mit ihr zusammen gewesen sein wie ich mit ihr zusammen gewesen bin. könnte mich dieser tag entlassen, oder ist es dann immer noch und erst wirklich schmerzlich zu denken:
es war nur vorübergehend.
denn die zeit mit ihr, sie wird dann für immer kürzer sein als die anschließende zeit ohne sie, die anhält und anhält und immer weiter wachsen wird.
in wenigen tagen, am 13ten, unser nunmehr ungültiger jahrestag, es wäre der vierte gewesen erst.
von:
Talakallea Thymon - am: 9. Feb, 10:28 - in: Werke & Tage
wieder geträumt, aus blinden räumen plötzlich hervorgetreten, vom wein entblößt, vielleicht: wieder sie und doch gleichsam verwandelt, eine neue frisur, kurzhaar und frech wie ein erstarrter sturm auf dem kopf, ich treffe sie mit ihm und will ihnen ausweichen, aber der raum wird zu eng, enger als berechnet, ich muß einen sprung machen, und sie merken, ich hab sie bemerkt. ihm weich ich aus, er bleibt in der nähe, aber mischt sich nicht ein. gegen sie aber bin ich auf eine weise kühl, die mich selbst schmerzt, aber es ist, als sei ich nicht ich selbst, als spräche eine andere gewalt in mir, ich kann nicht anders als rüde sein, abweisend, ablehnend. sie ist neutral. höflich? nein, einfach nur neutral. ich will ihr kein zeichen der zurückweisung geben, ich will ihr zeigen, daß sie so viel für mich bedeutet, es ist lebenswichtig in diesem augenblick, aber es geht nicht, ich bleibe eiskalt. irgendwann fehlt sie, ich stehe an ein mäuerchen bei einem aufzug gelehnt, ich denke, das wollte ich nicht, und der mund verzieht sich mir zum stillen weinen.
von:
Talakallea Thymon - am: 8. Feb, 12:32 - in: Werke & Tage
lachendes murmeln wache gesichter da federt die stimme. da wirbeln die worte, da verketten sich die gedanken. und der atem erschafft und beugt und formt den raum. auf einer bühne sein. auspacken, einpacken, verbergen, enthüllen, zaubern und verzaubern, den dichter wiederdichten kenntnisreich, blicke herumführen wie ein puppenspieler die fäden hält, und spielen, spielen, sich selbst spielen, und die grenze zu sich selbst aufheben, wände in sich einreißen und zerkrümeln lassen: Macht, ein brausen, brausen, und hämmern, und das herz so offen und sich hinneigend nach dem außen, den anderen, begierig nach blick, begierig nach bewunderung, begierig nach liebe –
dann –
ist stille. eine stille, in der man zappelt wie in einem netz. und einen langen ödtag hört man das inwendige brausen langsam langsam verklingen. es wär ja auf dauer nicht auszuhalten, dieser rausch; aber die stille ist fad. da wären wir wieder. nüchtern. in einer ahnungslosen welt.
von:
Talakallea Thymon - am: 8. Feb, 10:16 - in: Werke & Tage
ich komme allmählich dahinter, trage mir den berg an unklarem und nebelhaftem ab, um dahin vorzudringen, wo klein und hart und tief eingebettet in wirres gefühlsgewebe der schmerzenskristall liegt. ihn freizulegen. ihn herauszupräparieren. dann zu sehen, was daraus folgt oder wie sich weitermachen läßt. gestern nacht auseinandersetzung und ringen mit meinem tagebuch und der sprache und mir selbst.
mir sind zweieinhalb jahre abhanden gekommen. die fehlen nun. die sind nicht mehr mein. und jeder neue tag, jede neue stunde fängt mir völlig bedeutungslos aus einem namenlosen nichts heraus an. die zeit wurzelt nicht. ich bin zeitwurzellos. meine lebenszeit kommt nirgendwoher, sie ist plötzlich da, tritt auf, einfach so, verfügbar, transparent, blutleer, zu allem befähigt und zu nichts fähig. sie hat keine geschichte und keine herkunft und überläßt mich einer öden freiheit, die, statt mich zum handeln zu bewegen, mich bewegungsunfähig macht.
von:
Talakallea Thymon - am: 10. Jan, 08:56 - in: Werke & Tage
du altgewordne zeit
steingewordne stunde
tritt über tritt
felsgewordnes jahr
wohin man sieht
hab ich was erzählt was hab ich erzählt
du alte zeit
wohin man die träume richtet
du uralte zeit
du steingewordne stunden
verloren hab ich den
lachenden mund an die
räuberische jugend
du uraltalte zeit
du steingewordnes
lächeln
von:
Talakallea Thymon - am: 25. Dez, 23:50 - in: Werke & Tage
rückwärts das licht in die zukunft entwerfen
vorgestern wird sein wie
übermorgen einmal
war alles kehrt
wieder nichts bleibt wie es
war einmal solange bis
alles wiederkehrt wie
es einmal nie
gewesen vorwärts
das licht
ins gestern
tragen
von:
Talakallea Thymon - am: 21. Dez, 11:07 - in: Werke & Tage
was ich bei der ganzen sache nicht optimal finde, das ist -- aber natürlich eine definitorische eigenschaft -- die strikt und unänderbar chronologische darstellungsform eine weblogs. alles, was jenseits der "neuesten einträge" ist, verschwindet auf immer in der versenkung, höchstens noch einmal überflogen von augen, die über einen suchbegriff hereingeschneit sind -- und wohl meist ebenso schnell wieder herausschneien. (die meisten zugriffe über suchmaschinen sind bei mir aus dem bereich der botanik zu verzeichnen, was nun wirklich nicht ein zentrales thema auf meinem blog ist).
mir geht es so, daß meine texte fast nie mit ephemerem tagesgeschehen zu tun haben, meist jedoch auf ein allgemeines hinausweisen, und, sofern es mir gelingt, als text für sich allein stehen können. neue leser kann man in einer blogsphäre immer nur mit neuen texten gewinnen (denn niemand stöbert in den archiven, ich übrigens auch nicht; und niemand "sucht" dich, der autor muß zum leser kommen, nicht umgekehrt), was einen ständigen druck bewirkt, immer neues zu produzieren. wenn man erreichen will, daß ein bestimmter text von möglichst vielen gelesen werden soll, so darf man aber lange nichts veröffentlichen, damit der text am anfang stehenbleibt. daraus ergibt sich ein paradox: um gelsen zu werden, muß man viel schreiben; damit etwas bestimmtes gelesen wird, darf man nicht viel schreiben. daher denke ich in letzter zeit verstärkt über eine eigene hp nach.
auch sehr enttäuschend finde ich die discrepanz zwischen eigener und fremder beurteilung meiner texte. meist bekomme ich gerade auf arbeiten, die mir besonders wichtig sind, auf die ich besonders viel mühe und nachdenken verwendet habe, die mich schweiß und ausdauer gekostet haben, auf die ich dann stolz bin, bekomme ich auf solche texte keinen kommentar. nicht einmal ein "find ich gut", ein "find ich langweilig" oder ein "verstehe ich nicht", nein, nichts. schweigen. atmosphärisches rauschen. dann wieder schreibe ich einen text aus drei wörtern ("halt dich raus"), der mich kaum mehr zeit gekostet hat als nötig war, ihn einzutippen, und bekomme 8 Kommentare. das dürfte anderen auch so gehen; ich habe schon einträge gesehen, die nur aus "ich hab kopfweh" oder "der regen geht mir auf'n keks" bestanden, und kommentare im zwanzigerbereich auslösten.
von:
Talakallea Thymon - am: 31. Okt, 08:57 - in: Werke & Tage
Heute morgen, nicht unbedingt im Halbschlaf, aber mit den Gedanken noch im Dunkeln wurzelnd, schoß mir ein beängstigender Gedanke durch den Kopf. Plötzlich war es greifbar und in die nächste Zukunftsnähe gerückt. War nicht mehr weit fort und wie dem Leben einer andern Person angehörig, in die ich erst langsam würde hereinwachsen müssen; war nicht mehr, was ich noch würde werden müssen, erträumt beim Blick auf den Kalender, oder auch gefürchtet; war nicht mehr ein ferngespiegeltes Nochncihtich: nein, das war bereits ich – und es war der, der ich jetzt bin, völlig banal ich, weder gewachsen noch gereift noch klüger noch weiser noch erwachsener, vernünftiger, besser. Keine subtile Metamorphose käme mir zu Hilfe und machte die Tatsache dieser Zahl erträglicher. Dieser Zahl, derer es noch viele gibt, bei Gelegenheit: Wenn mein E-Mail-Account ausliefe und ich das nächste Mal eine Verlängerung beantragen müßte, wäre ich fast vierzig. Juni 2010. Ein Datum, das es geben wird, ein Datum, das ins Jetzt hinübergreift, indem es eins von den Daten ist, die man in Gedanken großzügig abschreitet. Räume sind das, so naheng, daß mein Planen und Voraussehn schon um sie herumfaßt. Ach, hatte ich gedacht, verlängerst dir deinen Account mal um fünf Jahre, dann hast du eine Weile Ruhe. Wie leichtsinnig. Eine Weile Ruhe. So lange ist das gar nicht, ist im Gegenteil gräßlich nah. Früher waren fünf Jahre lang, und immer noch in der eigenen Jugend beheimatet. Jetzt weisen fünf Jahre hinaus in eine Welt jenseits. Weit jenseits des Jung- aber auch des Jugendlichseins, selbst dann, wenn – was wahrscheinlich ist – ich mich kaum anders fühlen werde als jetzt, und das ist immer noch: reichlich pubertär. Wenn ich mich das nächste Mal um meinen Account kümmern muß, bin ich vierzig. Fast. Das ist ein wahnwitziger Gedanke, und sieben Uhr morgens keine gute Stunde, ihn zu denken.fficeffice" >
Zumal fünf Jahre immer weniger wert sind, je spätere fünf es sind.
Ich versuche, mich unabhängig davon zu denken, welche Zahl nun mein Alter angibt. Versuche, in mich hineinzufühlen. Versuche, umgekehrt, mich in eine Zahl, sei es 34, sei es dereinst 40, hineinzufühlen, es mir irgendwie behaglich, nein, stimmig darin zu machen. Aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ich mich zu fühlen habe; weiß nicht und rätsele, wie man sich stimmigerweise mit 34 fühlt soll, so daß Zahl und Lebensgefühl zusammenpassen. Doch wie man sich fühlt, ist kaum zu trennen von dem, wie man von außen bestimmt wird. Hier klafft eine immer größere Lücke. Und der Macht der Zahl, wenn sie von allen Seiten und in gänzlichem Übereinstimmen aller an einen herangetragen wird, von der Wiege bis zur Bahre, kann man sich schwerlich entziehen. Was aber genau wird da an mich herangetragen? Und es geht mir auf: In meinen Bekanntenkreis ziehen immer mehr Menschen ein, die bedeutend jünger sind als ich; und die Gleichaltrigen sind alle durch die Bank Ausnahmen (wie ich selbst?). Das typische entzieht sich (und vielleicht ist das ja ein Hauptwesenszug, nein, der Wesenszug des Typischen?), wenn ich ein Beispiel nennen wollte. Es bleiben die, die vor mir 34 waren, lange vor mir; aber die entziehen sich auf andere Weise:
Denn eigentlich ist es immer schon so gewesen, mit dem Erwachsenwerden: Das war immer ein anderer. Der vorgestellte Zwanzigjährige, der anvisierte Dreißigjährige, und jetzt der Vierzigjährige, der ich bei ablauf meines Accounts (fast) sein werde, immer sah ich Menschen oder stellte sie mir vor, die auf unfaßbare Weise fertiger, ich will nicht sagen, reifer, aber ausgestalteter waren und das Leben fester in den Händen hielten. Nie hatte ich das Gefühl, jetzt dort angelangt und auch so zu sein. So einer. Ein Großer. So groß, wie die Großen es waren, als ich selbst jung zu ihnen aufsah. Ich blieb immer ich und dem Leben schwankend ausgeliefert, fragend, unverstehend, kopfschüttelnd, aufbegehrend, strampelnd, irrlichternd. Und sehr wenig Herr meiner selbst oder Bezwinger meiner Träume. Immer schon hab ich geträumt. Und gerade kommt mir der Gedanke: Vielleicht unterschied das genau die Erwachsenen von mir, der ich einer werden mußte: Daß sie in meiner Vorstellung nicht mehr träumten, sondern auf schwer bestimmbare Weise waren. Lebten.
Meistens fühle ich mich albern, und kein bißchen schlauer. Verrannt in Unhaltbares. Versponnen in wilde Träumereien, manchmal nur zusammengehalten von einem unguten Stolz. Manche sagen auch Sturheit dazu.
von:
Talakallea Thymon - am: 17. Okt, 08:57 - in: Werke & Tage