stundenbuch

Montag, 13. Februar 2006

...

laß endlich die alten geschichten.
wirf deinen kummer hinaus in die lüfte, vertrau ihn dem himmel an, laß ihn fliegen, den schwarzen vogel wehmut, laß ihn endlich frei. gib das Alte auf, flüstere es in einen hohlen baum, grab ein loch in die erde, dort sprich es hinein und schütte es zu. oder schreib es auf einen stein und schleudere ihn ins meer.
dann halte deine hände wieder auf den wundern. sieh hin, hör zu, male ein fragezeichen, gib dem gang der dinge einen kleinen schubs. höre Dvořák, lies Ovid, verwandle dich und freue dich auf das gastmahl.

Donnerstag, 2. Februar 2006

...

hangend
in einem vogelflugvoll raum

und wieder,
denk ich,
einen fuß schlackernd
in der luft

die hände rudernd
nach einer stunde halt

die zeit stürmte. wie sie es immer tat.
und der mond stahl der unruh eine stunde.

am fuß nistete geraschel.
laubwerfende stunde
dachte ich und schriebs
mit dem fuß in den sand.

die perpendikel sahen zu
wie kristall sie bewuchs.

und wieder
sagte ich zur pergamenthaut
des feuersalamanders.

er aber hielt mir nichts hin
als das trockene
seiner gebrochenen farbe.

Donnerstag, 19. Januar 2006

Köln, Agnesviertel

Das sind ja nun Orte, die ich selten aufsuche, daher waltet an ihnen immer noch emsig die Erinnerung. Wie lang es auch her sein mag. Nichtabgeschlossenes wirkt viel in mir. Die Jahre schieben sich dazwischen, aber es ist als fließe das Alte, das Gelebte, Stunden des Glücks und des Unglücks, jedenfalls aber des Reichtums, widerströmig zurück. Nichts ist so fern, daß es blaß würde. Im Gegenteil ist es so lebendig, daß es mich schreckt, wenn ich mir die lange Zeit vergegenwärtige. Wie lange bin ich schon hier in dieser Stadt, beispielsweise, und die Orte, wieviel haben sie schon gesehen, und sind immer noch die alten orte und ich immer noch da.

Donnerstag, 22. Dezember 2005

III

sieh, was da ist. nimm einen kiesel aus dem bach, steck ihn in die tasche, trag ihn herum, bis er sich in die furchen deiner haut eingepaßt hat, bis er dein ist. nimm das licht aus dem gatter der zweige, häng es dir über die schultern, trage es. streiche die SCHWACHEN STUNDEN glatt. falte daraus ein knisterndes origami. und so tu es mit allem.
verwandle es.
vertraue dich dem gedanken an: du hast kein heim. daran erstarke.

die nächte tragen mal um mal masken vorm antlitz. wenn du nicht darunter blicken kannst, gib ihnen namen. (Träumerin, Muse, Göttin, Frevlerin, Täuscherin, Trost, Zorn, Keusche, 'Eωσφόρa …)

nimm den duft der blumen, berühr ihn mit der zungenspitze. fahre dem schatten einer rose nach mit dem großen zeh. (lerne, selbst einen schatten zu werfen? ja.) schnuppere an den wasserlichtern auf dem tisch. laß dich in einem tautropfen zerkrümmen. konvex und konkav, überlege, was was war. hole atem, als trügest du einen lateinischen vers vor: mit staunen.
so viel leichtsinn braucht es mindestens. wenn du müde bist, so fordere den schlaf.

Montag, 19. Dezember 2005

II

ihr tauftet die dinge

priesterinnen des wortes
kalligraphische tänzerinnen
tönend grammomorphe nymphen

alles trug schon mehrere namen

ich drehte den stein um
ich leuchtete die schatten aus
ich zerdrückte die davoneilende assel
ich riß dem fliehenden vogel
eine feder aus seinem schwanz
ich grub mein messer in die triefende borke
brach ast und knochen
schöpfte das naß
brannte einen felsen nieder
meißelte gekritzel in den stein
(doch sah ich wieder hin
stand dort immer nur
mein eigener name geschrieben)
durchbohrte den fisch
preßte die blumen
drückte trauben zu brei

und das buch
ächtete ich
den faden
zerriß ich
den herrlichen stier
verschnitt ich

während ihr lauschtet

(den dingen
und was sie euch erzählten)

und dann tauftet ihr sie

Donnerstag, 15. Dezember 2005

I

man muß sich nicht immer als reibefläche erweisen. es ist immer noch träumbar, sich unter die sonne zu beugen und sich so dünn zu machen, daß man zwischen zweimal luftholen weite räume aufstieße. träumbar, zu verschwinden in den spalten zwischen dem gras, oder in die poren eines steines sich aufnehmen zu lassen.
das licht ist ja unüberwindlich. die amselgesänge grausam und schön, und jahr für jahr kehren sie wieder. nur eines ist noch schlimmer als ein sieg, und das ist die niederlage. ich empfinde es als zumutung, daß ich sterben muß. es gibt nur eines, das schlimmer ist als sterblich zu sein, und das ist die unsterblichkeit.
es bleibt immer aufgabe: ins reine kommen mit dem eigenen. den finger befeuchten, in die träume halten und prüfen, wo das meer liegt.
sich verneigen gegen die richtung, in der einst das zu wagende lag und dreimal mutabor rufen.

Donnerstag, 27. Oktober 2005

Mahnungen für ein zufriedenes Leben (1)

Halt dich raus!

Montag, 10. Oktober 2005

aus dem stundenbuch

man muß sich nicht immer als reibefläche erweisen. es ist immer noch träumbar, sich unter die sonne zu beugen und sich so dünn zu machen, daß man zwischen zweimal luftholen weite räume aufstieße. träumbar, zu verschwinden in den spalten zwischen dem gras, oder in die poren eines steines sich aufnehmen zu lassen.

das licht ist ja unüberwindlich. die amselgesänge grausam und schön, und jahr für jahr kehren sie wieder. nur eines ist noch schlimmer als ein sieg, und das ist die niederlage. ich empfinde es als zumutung, daß ich sterben muß. es gibt nur eines, das schlimmer ist als sterblich zu sein, und das ist die unsterblichkeit.

es bleibt immer aufgabe: ins reine kommen mit dem eigenen. den finger befeuchten, in die träume halten und prüfen, wo das meer liegt.

sich verneigen gegen die richtung, in der einst das zu wagende lag und dreimal mutabor rufen.

Freitag, 12. August 2005

aus dem stundenbuch

arbeitsmüde bin ich nicht, ich tue ja doch nichts, kaum etwas. aber ich bin wohl der täglichalltäglichen orte müde, nicht mal wochenends bin ich draußen gewesen seit wochen, in der eifel oder mal, was weiß ich, in der fremde, zwischen andern wänden, über andre straßen, unter fernwolken, die meine aufmerksamkeit einfordern. dieselben haltestellen, dieselben fahrpläne, dasselbe fußgetrippel, dieselbe plakatwand tagaustagein, derselbe baum hier, dasselbe schlagloch hier, jeden nachmittag gegen den wind, jeden abend mit dem wind. die handgriffe sind schal und zerfallen in den fingern wie mehliger apfel im mund.

ich will raus. ich will wieder mal ein gewicht auf den schultern haben. will mal wieder eine straße vor mir, eine herberge hinter mir haben. ein gebüsch teilen, durch einen eisbach waten, einen verborgenen pfad gehen, auf einen gletscher blicken, das meer sehen, nach schwämmen tauchen, sternennächte ausstrinken statt zu schlafen.

einmal nicht wissen, wo der weg auskommt.

Donnerstag, 14. Juli 2005

aus dem stundenbuch

so viel tagessteine und jahresringe ich mir auch angehäuft hab, zum blumenstolz meiner fußspuren, ich kann die stimmen, die

sirenenstimmen

nicht niederleben. doch auch das bescheidene wachs ist mir gällig, das machen, das machten andere zuhauf zuunwerthauf, das ist nicht meins, lieber, ja, lieber zerschellen und stolzes unglück tragen wie ein prachtgewand.

hab mich doch einst, wiedergekehrt aus der stadt am ende des jahrtausends, nach leidendem mute benamst. nun will ichs dulden.

immer mehr himmel fahren sich auf, und sind immer fremdere himmel. ich kehre zu den fernen inseln zurück, unerreichbar wie je, kythera, thule, ogygia, doch nun tragen sie andere masken vor den lieblichen gestaden. ich kenn sie ja gar nicht. selbst die phantome wechseln das antlitz. frei zu sein glaubte ich. nun hat mir ein dieb nächtens die träume gestohlen, sie weitergeschenkt, vergraben, in göttereschen gehängt, nun bin ich ohne sie frei. bin so schrecklich frei, daß ich gehen kann, wohinimmer ich will. ich schmecke den pollen, ich sehe die weite, ich verachte das wetter, ich stemme die wolken, ich höre die stimmen, neue und neue, ich muß es dulden.

auf dem weinfarbenen meer.

VOCES INTIMAE

... for we have some flax-golden tales to spin. come in! come in!

Kommt herein, hier sind auch Götter ...

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