Dienstag, 19. Februar 2008
Dienstag, 12. Februar 2008
Episteln: An C. Von Kindern und Männern (2)
Das ist mir Stück um Stück nach einer Beobachtung auf einem Kindersachenflohmarkt (frag nicht, wie ich dahinkam!) klargeworden. Eine kleine Szene, äußerlich unauffällig, ein junges Elternpaar, sie voranpirschend, er mit dem Säugling auf dem Arm hinterdreindackelnd. Sie bleiben vor einem Stand voller Babysachen stehen. Die junge Mutter beguckt sich die Ware und fragt die Verkäuferin nach einem „Motorik-Ring“. Die andere bedauert, einen solchen habe sie leider nicht anzubieten. „Ach, Schade.“ Und jetzt kommt’s: Im Weitergehen tätschelt die junge Mutter ihrem kaugummikauenden Gefährten wohlwollend den Arm: „Ich erklär dir später, was ein Motorik-Ring ist.“ Dreht sich um und zwinkert der Verkäuferin verständnisheischend zu. Und der junge Vater (ich vermute, es war der Vater) guckt dazu blöde aus der Wäsche.
Kann man nebensächlicher sein als in einer solchen Situation? Dieser bedauernswerte Mann war gerade mal dazu zu gebrauchen, das Kind zu tragen (in einer seltsamen Stellung übrigens, von hinten durch die Beine die Hand auf der Brust des Säuglings, ihn so in Bauchlage haltend, als wollte er mit ihm Schwimmen üben), weiß nicht einmal, was ein Motorik-Ring ist und mußte sich dann auch noch die Ankündigung späterer Aufklärung, zusammen mit einer öffentlichen Bloßstellung seiner Unbedarftheit gefallen lassen. Na ja, immerhin wußte er den Säugling nach den neuesten Erkenntnissen der Brephophorologie, (oder vielleicht auch nur der letzten Mode gemäß?) zu handhaben. Auf eine pfiffige, und ich möchte sagen, perfide Weise wird hier der Mann gleichzeitig ausgeschlossen und doch wieder so zurück ins Boot geholt, daß sich über seine Unwissenheit wohlwollend spotten läßt. Dabei zielt der Spott auf einen Mangel, den der zu Verpottende ja gerade in der Situation hat, in die er vorher durch den Spottenden hineingezwungen wurde. Man drücke einem, der nicht einmal auf dem Kamm blasen kann, eine Violine in die Hand und amüsiere sich hernach köstlich über seinen unbeholfenen Eifer. Haha. Du kannst zwar nicht spielen, aber zum Dummanstellen und Sichverarschenlassen reicht es immer.
Ich nun in einer solchen Rolle? Niemals. Nie könnte ich mich irgendwo, wo es drauf ankommt, mit einer Nebenrolle begnügen, und ich werde auch nie Männer verstehen, die ihre sogenannte Verantwortung darin sehen, diese Nebenrolle mit Freude und Enthusiasmus auszufüllen. „Ausfüllen“, ha, daß ich nicht lache. Nein, im Grunde, denke ich, sollte ein Mann die Finger von all dem lassen. Er spielt ja doch zweite Geige, da kann er Tritte-im-Bauch-tasten und bei-den-Wehen-Händchen-halten und wickeln und waschen und pudern und schnullern wie er will – am Ende dackelt er doch hinterdrein und muß sich dann noch über Motorik-Ringe belehren lassen.
Montag, 11. Februar 2008
nachtrag: immerhin
Freitag, 8. Februar 2008
...
Der Verdacht liegt nahe, daß man sich daher lieber bescheiden gibt und realistisch bleibt und das Mittrauern auf einige besonders schöne Fälle des Sterbens beschränkt. Natürlich die, von denen man überhaupt Kunde hat, weil die Kamera dabei war. Hilfreich ist da wohl auch, wenn gleich mehrfach auf einmal gestorben wird, erstens, weil sich die Mittrauer besser konzentrieren kann, zweitens, weil es einfach mehr hermacht, als so kleckerlesweise hier und da über die Autobahnen der Republik verstreut. Und drittens ist so ein Autounfall doch ziemlich banal, das kennen wir schon, wir haben uns ans Sterben auf der Autobahn gewöhnt, wie langweilig. Aber ein Wohnungsbrand, zudem, wenn die Zeitungen bei einem kleinen Feuerchen schon das Wort „Katastrophe“ bemühen – uiuiui, das ist schon was anderes als ein bißchen Reifenquietschen.
Zudem weiß man ja, daß alle anderen auch davon gehört haben und mittrauern. Und in der Gemeinschaft trauert’s sich einfach schöner. Das hat etwas geradezu Anheimelndes. Man kann auch eine Kerze solidarisch ins Fenster stellen. Hach!
Aber wie sehr ich auch in mich hineinhorche: So recht will mir bei solchen Anlässen das Trauern nicht gelingen. Die Verstorbenen sind mir fremd und bleiben mir fremd, und hätte ich von ihrem Tod nicht in der Zeitung gelesen: Ich würde den Unterschied gar nicht bemerken! Dieses kollektive Getrauere – manchmal kommt es mir gar ein bißchen verordnet vor.
Aber ob die Mittrauer nun echt ist oder nicht: Jedenfalls scheint mir das alles doch den Verdacht des Unverhältnismäßigen nicht so einfach abstreifen zu können. Daß etwa kein geringerer als der türkische Ministerpräsident eigens angereist kommt, um in Ludwigshafen nach dem rechten zu sehen, mag man als ein Musterbeispiel der fürsorglichen Anteilnahme eines Staatschefs für seine Bürger loben – verhältnismäßig ist es nicht.
Der Gipfel des Unverhältnismäßigen aber ist das Brimborium, das über die Herkunft der Bewohner fraglichen Mietshauses gemacht wird. Es ist ganz einfach egal, ob sich in dem fraglichen Gebäude nun Maori, Schwaben oder Eskimos aufgehalten haben. Tot ist tot. Wenn es ein Verbrechen war, wird man das herausfinden, es wird eine Untersuchung geben, der oder die Täter werden gefaßt werden. Punkt. Alles weitere ist einfach nur belanglos.
Und muß auch belanglos sein. Eine aufgeklärte Gesellschaft würde die üblichen Mittel der Strafverfolgung einsetzen, ohne Ansehen der Herkunft der Opfer; eine aufgeklärte Gesellschaft würde über politische Konsequenzen erst dann zu sprechen beginnen, wenn sich die Tat tatsächlich als fremdenfeindlich erwiesen hat, vorher nicht; eine aufgeklärte Gesellschaft käme zuallerletzt auf den Gedanken, es könne sich um einen fremdenfeindlich motivierten Anschlag handeln. Ganz einfach, weil ihr ein solcher Gedanke fernläge. Offenbar liegt ihr ein solcher Gedanke aber nicht fern, so wie der Sünder die eigene Sünde bei den anderen immer zuerst vermutet. So leistet jedes weitere Wort dem Verdacht Vorschub. Möge jeder seine eigenen Schlüsse daraus ziehen.
Und trauern.
Medien
Medien
Donnerstag, 7. Februar 2008
Episteln: An C. Von Kindern und Männern (1)
Kurzum, dieser Vater war der Held seiner Geschichte. Er kannte sich aus, er wußte bescheid, er trotzte der Gefahr und am Schluß floß Blut: Auf ihn, wohlgemerkt. Die Mutter und ihre Befindlichkeit kam übrigens nicht vor.
Nun ist für viele Männer ja das Kind der Beweis ihrer Manneskraft. Daß man dann von diesem Beweis der eigenen Kraft in den höchsten Tönen schwärmt, scheint gerade noch verständlich (Ich bin da anders, ich könnte nie in diesem Ton von der Geburt meines Kindes erzählen, und auch in keinem anderen Ton. Ein Kind gezeugt zu haben: Ich glaube, es wäre mir ein bißchen peinlich, wie ein öffentlicher Samenerguß. Ich korrigiere mich: Es ist ein öffentlicher Samenerguß.) – Aber es geht um mehr als das, nämlich um eine Art von Einmischung, um das An-sich-reißen-Wollen von Dingen, die wir Männer ja doch nie erreichen werden, und das darum ein um so würdeloseres Bemühen ist. Die meisten Männer begnügen sich nicht mit dem Kraftbeweis der Zeugung; nein: in dumpfem Bewußtsein ihrer Ohnmacht wollen sie selbst noch bei dem Vorgang, bei dem sie ein für allemal Ausgesperrte und Uneingeweihte sind, der Geburt, zugelassen, eingeweiht und: Held sein. Und dann spielen sie sich gewaltig auf mit ihrem angelesenen Wissen über Fruchtblasen und Nabelschnüre und Hormone und wasweißich noch alles, Blut und Schleim, ohne doch das letzte, das Wirkliche, das Mysterium haben zu können: Die Erfahrung, den Schmerz. Und: Sie sind Nebensache, und nicht nur hier, auch bei der engsten Bindung zum Kind, dem Stillen, haben sie keinen Anteil, werden sie naturgemäß Nebenperson sein. Eine abermalige Demütigung: In ihrem eigenen Bereich, dem des Nahrungsbeschaffers, werden sie geschlagen. Da können sie sich noch so gut und noch so informiert über Mastitis verbreiten, es ändert nichts. Und so, meine ich, ist die ganze Aufmerksamkeit der Männer, was das Thema Geburt und Aufzucht angeht, eine gewaltige Kompensationsanstrengung, ebenso wie alle anderen Arten männlichen Heldentums, die alle nicht darüber hinwegtäuschen können, was wir Männer wirklich sind, nämlich arme Würstchen. Es hilft ja nichts, daß wir Dschungel durchqueren und auf den Everest klettern, am Ende noch zum Mond fliegen, oder, wenn alles nichts hilft, uns eine Religion ausdenken oder einen Krieg anzetteln; dort, wo es wirklich drauf ankommt, nämlich bei der Geburt der nächsten Generation unserer Spezies, spielen wir keine Rolle. Allenfalls als Helferlein und Schwimmlehrer sind wir zu gebrauchen. ..."
Donnerstag, 24. Januar 2008
...
in der Frage, ob Sie über die 2 bewilligten Fehlstunden hinaus der nächsten Sitzung fernbleiben dürfen, weise ich Sie darauf hin, daß es erstens in Ihrem eigenen Interesse ist, die Lehrveranstaltungen in Ihrem Studium regelmäßig zu besuchen, und zweitens, daß die eingeräumten 2 Fehlstunden durchaus nicht für Vorträge oder außerplanmäßige Sitzungen anderer Seminare vorgesehen sind, sondern für den Krankheitsfall. Ich gehe also davon aus, daß Sie wirklich gesundheitlich angeschlagen waren und sich nicht lediglich in der "Planung" Ihrer Fehlstunden verkalkuliert haben. Ich empfehle Ihnen unbedingt, an der Sitzung teilzunehmen; 3 Fehlstunden von 13 Sitzungen sind immerhin fast ein viertel, und es ist die Frage, inwieweit die Ausstellung eines Papiers, das Ihnen "erfolgreiche Teilnahme" bescheinigt, im Falle Ihres dreimaligen Fehlens gerechtfertigt wäre. Sollten Sie nach Abwägung dieser Einwände dennoch zu dem Entschluß kommen, der Sitzung fernzubleiben, werde ich Ihnen den Schein – Erfüllung der übrigen Anforderungen vorausgesetzt – nicht verweigern. Bedenken Sie aber bitte, daß es für Ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen, die immer anwesend waren und sich dasselbe Papier hart erarbeitet haben, vielleicht nicht auf das größte Verständnis stößt, wenn andere denselben Schein mit weitaus weniger Aufwand bekommen.
Mit freundlichem Gruß
T. Th.
Pionierweg bei Loch
Ich war einst hier und doch war ich nie hier. Ich kenne diesen Ort von je, er aber hat mich vergessen, sich abgewandt, ein fremdes Gesicht aufgesetzt. Ich kehre zurück und bin doch fremd hier, so fremd, daß ich nicht einmal zum Eindringling tauge, denn der Ort, der Weg, das Schweigen wirft mich zurück, ohne meinen Schritt je gespürt zu haben. Ich stampfe auf, klaube einen Stein aus dem Lehm im Weg, schlage ein Stück Borke von einer Kiefer. Aber ich berühre den Ort nicht, die Flächen bleiben glatt, und was für Spuren ich auch hineintrage, und was für Zeichen meiner Existenz ich den Dingen auch zumute, die Wunde am Baum, das Loch im Boden, die Spritzer einer Pfütze – kaum halte ich still in meinem Toben, in meinem stammelnden Trotz, so gleitet alles in ein innerliches Wesen zurück und wird augenblicks uralt; so uralt, daß mein eigenes Atmen zu einem lächerlichen Nichts wird davor, und alles, was ich hinzufügen oder anrichten kann (verschönern, beschmutzen, zerstören, beduften), ist immer schon gewesen, wie aus den Dingen, ihrer Tiefe selbst hervorgewachsen, vor Jahr und Tag.
Und auch der Lehm an meinen Fingern hat nur noch mit mir zu tun, ist mein Lehm, mein ureigener Schmutz, er gehört zu mir wie mein Geruch und meine Ausscheidungen, und zwischen den Striemen auf meiner Hand und dem Loch im Boden hat sich jeder Zusammenhang verflüchtigt. Abends krümelt sich auf dem Flur vielleicht ein Bröckchen Erde, eine Fichtennadel stakt in der Wolljacke, man möchte das als Zeichen nehmen. Aber den Ort, wo früher ein Zuhause war, ich habe ihn abermals verfehlt.
Mittwoch, 23. Januar 2008
Ein Stückchen
Oder so ähnlich und vielleicht auch nicht. Vorläufig geht es aber weiter, und wenn ich um sechs in der Früh aufstehe, ist wieder eine Menge zu tun.
Was Coffein in Verbindung mit Bewegung und frischer Luft so alles zutage fördert ist, wirklich erstaunlich.
Dienstag, 22. Januar 2008
Wieder am Ende, am Anfang
Ein Hemmschuh ist auch meine fatale Eigenschaft, an einmal glänzend Fomuliertem festhalten zu wollen, um jeden Preis: Ich tue mich unsäglich schwer damit, eine gelungene Szene wieder wegzugeben, wenn sie nicht mehr in ein (wieder mal) umgekrempeltes Gesamtkonzept paßt. Dann versuche ich, das Gelungene doch noch irgendwie unterzubringen, mit dem Ergebnis, daß alles sich aufbläht und überkonstruiert und überkompliziert gerät. Besser wär’s freilich, einfach das Konzept so lange durchzukauen, bis es feststeht, und dann erst mit einzelnen Szenen und Formulierungen zu beginnen, wenn ich mir ganz sicher bin.
Verdammt, ich war mir bereits ganz sicher. Wie oft, weiß ich schon gar nicht mehr.
Freitag, 11. Januar 2008
Nachtrag zu untenstehender Liste
- Warum sind die letzten Listeneinträge ohne Punkt?
- Warum sind die Punkte verrutscht?
- Warum ist der Zeilenabstand doppelt?
- Warum ist der Zeilenabstand normal, wenn der Eintrag kein Link ist?
- Wozu hat man ein html-Hilfsprogramm, wenn's nicht funktioniert?
- Hätte ich wirklich alle "<a href= undsoweiter" von Hand formatieren müssen?
- Ich meine, von Hand???
Lektüren 2007
(Mit % bezeichnete Bücher blieben liegen.)
- The curious incident of the dog in the night-time (Haddon)
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Schnee (Pamuk) -
Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus (Delius) -
Gobi. Die Wüste in mir (Messner) -
Die Römische Republik (Bringmann) -
%Creepers (Morrell) -
Ο λαβύρινθος (Καρνέζης) -
Dessous (Assouline) - Blanche oder Das Vergessen (Aragon)
-
O άγγελος της στάχτης (ΛΑΜΠΑΔΑΡΙΔΟΥ-ΠΟΘΟΥ) -
Quicksilver (Stephenson) -
Midnight's children (Rushdie) -
Die Sonnenuhr ('t Hart) -
Russisch Blau (Peper) -
%Die Brüder Karamasow (Dostojewskij) -
Maria Stuart (Zweig) -
Possession (Byatt) -
Mein Jahr in der Niemandsbucht (Handke) -
Afterdark (Murakami) -
Eifelkreuz (Berndorf) -
Eifelwasser (Berndorf) -
Das Rubinhalsband (Boetius) -
Dein Gesicht morgen (I. Fieber und Lanze) (Marías) -
Dein Gesicht morgen (II. Tanz und Traum) (Marías) -
The english patient (Ondaatje)
Am Eßtisch:
- What
does a Martian look like? (Cohen & Stewart) - Neither
here nor there (Bryson) - Streiflichter
aus Amerika (Bryson) -
Berlin--Moskau (Büscher) -
Deutschland -- eine Reise (Büscher) -
Fast nackt (Hickman) -
The world without us (Weisman)
Ich habe weniger Abgebrochen im letzten Jahr. Entweder hatte ich mehr Durchhaltevermögen, was ich, angesichts von Unleserlichem wie „Blanche oder Das Vergessen“ oder „O άγγελος της στάχτης“ nicht für unwahrscheinlich halte, oder ich hatte einfach ein glückliches Händchen bei der Auswahl. Vermutlich ist beides der Fall.
Eine weitere Entdeckung war Rushdie, dessen „Midnight’s Children“ ich im Sommer las. Beeindruckend in Sprache und Stil, ein Feuerwerk an Einfallsreichtum, Skurrilem, Zauberhaftem, Magischem, daß es dröhnt und quietscht und kracht. Allerdings muß man sagen: In der zweiten Hälfte wäre weniger mehr gewesen, da franst es nämlich.
Und noch eines, nein zwei: Dostojewskij lese ich nicht mehr. Das ist mir einfach zu blöd. Ich muß mir allmählich nicht mehr sagen lassen, was ein gutes Buch ist. Und das „Rubinhalsband“ von Henning Boetius ist einfach nur stuß.
Übrigens lese ich gerade „Away“ von Jane Urquhart: Eines der Bücher, die nur solange begeistern, wie man sie liest. Eine kurze Pause genügt, und die Begeisterung ebbt ab. Schade, daß die Handlung so merkwürdig und unglaubhaft ist. Die Sprache hätte einen schöneren Plot verdient (oder weniger davon). Gerade beendet habe ich Passig & Scholz „Lexikon des Unwissens“. Mehr darüber nächstes Jahr.
Ach noch etwas: Empfehlungen für 2008?
Dienstag, 8. Januar 2008
Ecce undique ... clamor
Es ist wie eine lange zurückgehaltene, angestaute Energie, die sich plötzlich Bahn bricht: Die Straßen summen und vibrieren von nahem oder fernem Verkehr, Gehwege und Plätze sind dicht von Fußgetrappel, überall ein Blinken und Zucken und Lärmen verschiedenster Maschinen, und selbst der Fahrradständer vor dem Supermarkt ist völlig verschraubt und verklemmt von Blech.
Jedes Jahr zweimal dasselbe Phänomen, nach dem Drei-Königs-Tag und dann am ersten Schultag im August, diese plötzlich überschießende Aktivität, als sei alles und jeder froh, daß es endlich weitergehe mit der Betriebssamkeit. Genug geruht, jetzt muß wieder gelärmt und geschwurbelt und herumhektisiert werden. Nur nicht stillestehen! Nur keine Stille! Nur nicht nachdenken müssen und ins Grübeln kommen. Hauruck!
Während ich selbst gerade erst angefangen habe, den Lärm abzulegen und in diese köstliche Stille zwischen Jahresende und Jahresanfang hineinzuwachsen und dann endlich selbst bis in die Tiefe hinein ruhig zu werden, poltert schon wieder das Getriebe los, rollt an, startet durch und trifft in mir auf einen bereits entwöhnten, empfindlich bloßliegenden, aller Verhärtungen und Panzer entbehrenden Kern. Ich habe es natürlich falsch gemacht: Lieber jetzt Urlaub nehmen und diesem Fleißausbruch entkommen, als die ohnehin stillen Tage wandern gehen. Nie ist es angenehmer auf Straßen und in den Zügen als gerade zu diesen ruhigen Zeiten. Sofern „angenehm“ im Zusammenhang mit „Straßen“ und „Zügen“ überhaupt ein sinnvoller Terminus ist. Die einzige Zeit, in der es in den Menschenpferchen, die man „Städte“ nennt, erträglich ist, ist Sonntags zwischen 5 und halb acht. Sagen wir also: Zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag ist es nicht ganz so schlimm. Ausnahmen sind die geradezu absurden Menschenmassen, die am Silvestervormittag in die Supermärkte einfallen und Waren an sich raffen in Quantitäten, als gehe anderntags die Zivilisation unter. (Was angesichts der Mengen an Explosivstoffen, die da erworben werden, manchmal gar nicht so unwahrscheinlich scheint.)
Manchmal versuche ich mir vorzustellen, wie eine Welt aussehen könnte, in der Ruhe herrscht, eine sanfte, feierliche Ruhe, ein Leuchten in der Luft, ein Glanz auf den Dingen, wie ein gelöstes, nach Innen gerichtetes, dem Geheimnis zugewandtes Lächeln.
Freitag, 21. Dezember 2007
Solstitium (consecutio temporum)
Das Gewicht der Schmerzlosigkeit, des Gewicht der Leere.
Als wäre die Jahre danach alles, was uns einmal verbunden hatte, nur mehr in Schmerz ausdrückbar gewesen, fühle ich nun die vielleicht schönste Zeit meines Lebens (ganz sicher sind wir nicht; es könnte auch die zweitschönste sein) zu einem Nichts verblaßt. Ohne den Schmerz hat das alles keine Geltung, war nur als Nachleiden noch gültig, nur so lange, nur vorläufig. Zuerst sehnte ich mich nach E., jetzt sehne ich mich nach dem Schmerz. Eine Zeit nach aller Zeit, wo?, nirgends. So verliert man selbst den Verlust noch, die gelebte Zeit. So verschwindet das Leben hinter einem, schließt sich, ist fort, hat es bereits nie gegeben.
Selbst ihr Name nicht, gilt nicht mehr. Wenn ich sie denke, nunmehr unter dem Gewicht des Schmerzmangels, denke ich sie nur noch als Bild, als Haar, als Mund, als Sprache, als Klang, als Flöten, als Tierlaut. So wie ich neulich zusammenzuckte, abends am Südbahnhof; sie in der Tiefe der gelben Laternen zu sehen meinte; ohne Sprache dachte ich sie; das Aufzucken im Innern namenlos, wortlos das Erkennen.
Die Schwierigkeit besteht darin, daß ich ja nicht mehr weiß, wen ich da eigentlich geliebt haben soll, noch viel weniger, wer das ist, die mir nach der Liebe den Schmerz eingab. Ich kann mich ja kaum noch erinnern; was einen ganz neuen Schmerz bedeutet, Schmerz über den Verlust eines Schmerzes, einen Schreck wie beim Sturz, wenn das letzte haschende, panische Zucken nur Luft, Leere, haltlosen Schwung zu greifen bekommt. Kein Tempus ist hier richtig, ich habe E. geliebt und ich liebe E. sind gleichermaßen zu widerlegen und zu bekräftigen. Um diese Geschichte zu formulieren, jenseits jeder Chronologie nachzubuchstabieren, bedürfte es einer völlig neuen Grammatik, einer Sprache, die Erinnerungen besser abbilden, ihre Lebendigkeit und Bedeutung ebenso wie ihr Verblassen, ebenso wie ihren weitausfallenden Schattenwurf besser umreißen könnte.
Ich versuche, es zu finden, finde keins: ein Tempus, das irgendwie von jener vergangenen und zugleich unvergänglichen Zeit handeln würde, ein Tempus, das die Kraft hätte, sich auf dieses Niemandsland von erinnertem Leben und verlebter Erinnerung zu beziehen, jenes Erinnerungsraums, in dem ich absurde Römische Dichter lese und morgens die Kaffeetasse mit kaum vernehmbarem Hallen aufs Klavier absetze, hinausblinzele in das Quietschen der Güterzüge, während du noch schläfst, das Gesicht in den Kissen, Strudel von Haar darüber, und dein Name noch E. ist.
Mittwoch, 19. Dezember 2007
...
Freitag, 14. Dezember 2007
Wiedersehen am Südbahnhof
Ein Schreck auch für mich, dieser vertraute Gang, das unverkennbare Schlenkern der Füße, dein blasses Gesicht, als könnte ich bis hier hören, wie du die Nase in der Kälte hochziehst, und dann die Flucht, der Schmerz und der andere, und am Ende, im Zug, als ihr doch noch eingestiegen wart, da warst es gar nicht du.